# taz.de -- Achtung, ein Corona-freier Text!: Bäume pflanzen gegen die Angst | |
> Tag des Waldes am 21. März – „Deutschland forstet auf“: Die Nachfrage | |
> nach den Pflanzaktionen ist groß. Waldexperten zeigen sich hingegen | |
> skeptisch. | |
Bild: Aufforstungsaktion in Leuenberg: Leonie Maier (li.) und Tarek Annan (re.)… | |
Trotz des nasskalten Wetters haben sich an diesem ersten Samstag im März | |
rund 20 Helfer*innen auf dem Hof des Biobauern Ralf Behring im | |
brandenburgischen Leuenberg eingefunden. Gemeinsam wollen sie heute mit der | |
Pflanzung von rund 1.500 Bäumen die Lücken in einem Waldstück füllen. Die | |
meisten Freiwilligen kommen aus Berlin, manche sind aus der Gegend, andere | |
von weiter her angereist, fast alle haben über das Internet hergefunden. | |
Auf der [1][Onlineplattform „Deutschland forstet auf“] können sich | |
umweltbewusste Bürger*innen für Aktionstage anmelden, die | |
Förster*innen und Waldbesitzer*innen zuvor eingestellt haben. | |
Allein an diesem Märztag finden im Bundesgebiet vier Aktionen statt. So | |
werden zum Beispiel auf einer Waldbrandfläche im brandenburgischen | |
Klausdorf von rund 180 Leuten 12.000 Bäume gepflanzt. | |
Hauptmotivation für den lohnlosen Arbeitseinsatz ist für die angereisten | |
Freiwilligen der Klimaschutz: „Das ist die generelle Sorge, die einen | |
umtreibt, wenn man sieht, wie viel wärmer es geworden ist, wie wenig Regen | |
fällt … Wälder, die brennen – da scheint mir das ein kleiner Beitrag, den | |
man ohne Problem leisten kann“, sagt etwa Wenzel Mielke, der mit seiner | |
Freundin aus Berlin gekommen ist. | |
Bäume zu pflanzen ist also nicht nur gut für die Umwelt, sondern hilft auch | |
gegen die Angst vor dem Klimawandel. Das findet auch Gesa Müller-Schulz, | |
eine der Gründer*innen von „Deutschland forstet auf“. Das Projekt hatte | |
seine Genese in einer Angstkrise, die Müller-Schulz einholte, als ihre | |
neugeborene Tochter aufgrund der starken Sommerhitze ins Krankenhaus | |
musste. Eine Angst, die sie nun mit konkreten Taten bekämpfen will. „Es ist | |
wichtig zu sehen, dass man mit seinen Fähigkeiten eine ganze Menge bewirken | |
kann“, sagt die 36-Jährige. | |
## Es fehlt an Geld – und Menschen | |
Sie meint damit nicht nur die besorgte Bevölkerung, sondern auch die | |
betroffenen Förster*innen und privaten Waldbesitzer*innen. Müller-Schulz | |
und ihre fünf Mitstreiter*innen haben im letzten Jahr mit etlichen von | |
ihnen gesprochen. Viele hätten die starken Waldschäden völlig überwältigt. | |
Es fehle nicht nur an Geld für Aufforstungen, sondern auch an Menschen, die | |
die Setzlinge in die Erde bringen können. | |
Auch Waldbesitzer Ralf Behring sagt, dass er die heutige Aufforstungsaktion | |
ohne die Freiwilligen nicht stemmen könnte. Allein für das Pflanz- und | |
Zaunmaterial habe er über 2.500 Euro ausgegeben. Und anders als vor 23 | |
Jahren, als Behring den sechs Hektar großen Wald auf ehemaligem Ackerland | |
anlegte, gebe es heutzutage keine staatliche Förderung dafür. | |
Behring erklärt den Freiwilligen, was zu tun ist. Auf 2.250 Quadratmeter | |
Fläche sollen sowohl Nadel- als auch Laubbäume gepflanzt werden. Behring: | |
„Ein Mischwald ist sehr viel resistenter als die Kiefernmonokultur, die wir | |
hier in Brandenburg meist haben.“ Es werden heute besonders | |
trockenheitsresistente Bäume wie Lärchen, Vogelkirschen, die seltene | |
Elsbeere sowie die Amerikanische Roteiche gesetzt. „Meiner Meinung nach | |
sollte man nicht mehr so fundamentalistisch sein und nicht sagen, wir | |
pflanzen nur heimische Baumarten“, sagt Behring. „Unser Klima verändert | |
sich. Wir müssen experimentieren.“ | |
Jörg Nitsch, Sprecher des Bundesarbeitskreises Wald des BUND, ist da | |
anderer Meinung. „Man sollte mit einheimischen Baumarten arbeiten, weil die | |
ja auch für die einheimischen Tiere und Pflanzen nötig sind, die mit oder | |
von den Bäumen leben“, sagt der Experte. „Es gibt zum Beispiel eine | |
Schmetterlingsart, die nur an der Stieleiche ihre Eier ablegt. Und wenn es | |
statt der nur noch Amerikanischen Roteichen gibt, dann stirbt auch die | |
Schmetterlingsart.“ | |
## Wald repariert sich selbst | |
Dabei sind sich Experten nicht nur uneinig, wie der im Zuge des | |
Klimawandels stark geschädigte Wald wieder aufgeforstet werden soll. | |
Gestritten wird auch über die Frage, ob überhaupt gepflanzt werden soll. | |
„Der Wald ist in der Lage, sich selbst zu reparieren“, sagt Pierre Ibisch, | |
Professor für Naturschutz an der Hochschule für nachhaltige Entwicklung | |
Eberswalde. | |
Das gelte auch für stark geschädigte Flächen zum Beispiel nach einem | |
Waldbrand oder bei einem von Forstbesitzern so gefürchteten | |
Borkenkäferbefall. Durch das Räumen der toten Bäume richte die | |
Forstwirtschaft großen Schaden an. „Dadurch werden riesige Kahlflächen | |
geschaffen und die Böden der Witterung schutzlos preisgegeben. Durch Sonne, | |
Regen und Wind gehen wichtige Nährstoffe, Organismen und auch Strukturen | |
verloren, die dafür sorgen, dass der Boden mehr Wasser speichern kann.“ | |
Wie der BUND-Waldexperte Jörg Nitsch rät auch Ibisch dazu, das Pflanzen von | |
Gehölz auf die Begründung von neuem Wald zu konzentrieren wie etwa auf oder | |
am Rande von Agrarflächen. Zudem hält Ibisch eine Waldrandbeforstung für | |
sinnvoll und Nitsch die gezielte Pflanzung von Laubbäumen in Monokulturen. | |
Ansonsten solle man den Wald einfach nachwachsen lassen. Ibisch: „Die | |
natürliche Verjüngung eines Waldes ist ein wichtiger Prozess, weil dann | |
Pionierbaumarten kommen, die den Boden für neue Baumarten vorbereiten, die | |
sich ganz von allein einstellen und die sehr viel resistenter sind als | |
Pflanzen aus der Baumschule.“ | |
Einen spontan gewachsenen Wald will Bauer Behring aus Leuenberg aber gar | |
nicht haben. Behring ist auch Forstwirt. Bei den Bäumen, die heute | |
gepflanzt werden, handelt es sich um hochwertige Hölzer, die möglichst | |
gerade und astlos wachsen sollen, damit sie eines Tages als Bau- und | |
Möbelholz verwendet werden können und gutes Geld einbringen. | |
## Bäume vom Großvater gepflanzt | |
Wovon Behring selbst allerdings nichts haben wird, denn bis die Bäume | |
geerntet werden können, vergehen Generationen. Trotzdem verzichtet Behring | |
auf die hohe Pacht, die selbst wenig ertragreiche Ackerflächen heute | |
einbringen, und forstet auf. Behring denkt langfristig, so wie einst sein | |
Großvater: „Der hat in den 1940er Jahren einen Wald angepflanzt, aus dem | |
ich heute ernten kann. Und das, obwohl es damals wirklich andere Probleme | |
gab.“ | |
Für die Freiwillige Leonie Maier ist die Botschaft, dass die Bäume eines | |
Tages wieder gefällt werden, ein Dämpfer. „Hätte ich das gewusst, wäre ich | |
vielleicht gar nicht gekommen“, sagt sie, während sie einen Setzling in die | |
Erde steckt. Aber jetzt ist sie doch froh, dabei zu sein. „Die Bäume stehen | |
ja hundert Jahre, das ist auch gut“, räumt sie ein. Freund Tarek Annan | |
sieht die Angelegenheit weniger kritisch. Es sei ein Fan vom Verbauen | |
nachwachsender Rohstoffe, erklärt er. „Holzwirtschaft ist doch viel besser | |
als Chemielabore.“ | |
Gut, dass der Bauer schon Furchen gepflügt und die Grasnarbe entfernt hat, | |
so lässt es sich leichter arbeiten. Gepflanzt wird meist zu zweit, einer | |
sticht mit dem Spaten ein Loch, der andere setzt das nicht einmal einen | |
Meter hohe Bäumchen in die Erde und schließt das Loch. Andere | |
Helfer*innen sind schon dabei, einen hohen Zaun um das Waldstück zu | |
bauen. Er soll Reh- und Rotwild davon abhalten, die jungen Gehölze zu | |
verbeißen. | |
„Ich habe mir das anstrengender vorgestellt“, sagt Leonie Maier, die sich | |
darüber freut, dass sie heute nicht am Bildschirm, sondern „im | |
dreidimensionalen Raum“ und an der frischen Luft arbeiten darf. „Das ist | |
eine Win-win-Situation“, sagt sie. „Die aus der Stadt wollen raus, und die | |
hier haben helfende Hände.“ | |
Tatsächlich ist auch das ein erklärtes Ziel der Gruppe von „Deutschland | |
forstet auf“: Menschen in den Wald bringen. Ein Ziel, das auch Professor | |
Pierre Ibisch für wichtig hält. Bürgerinnen und Bürger sollten „den Wald | |
besuchen, vom und im Wald lernen, sehen, wie es ihm geht, und Förstern und | |
Waldbesitzern kritische Fragen stellen.“ Vor allem aber sieht Ibisch die | |
Notwendigkeit, in der Bevölkerung das Bewusstsein zu schaffen, dass sie den | |
Wald schützen müssen – und das vor allem als Verbraucher*innen. Ibisch: | |
„Jedes nicht verbrauchte Papier, jede nicht eingebaute Latte ist Holz, das | |
im Wald bleiben kann.“ | |
In Leuenberg hat es zu regnen begonnen. Das ist nicht schlimm, denn die | |
Arbeit ist so gut wie erledigt, und das sehr viel schneller als geplant. | |
Biobauer Behring ist beglückt, so wie auch die Ehrenamtlichen. Leonie | |
Maier: „Heute Abend fallen wir alle zufrieden ins Bett.“ Und etwas ruhiger | |
schlafen können die Helfer*innen vielleicht auch. | |
21 Mar 2020 | |
## LINKS | |
[1] https://deutschland-forstet-auf.de/ | |
## AUTOREN | |
Karlotta Ehrenberg | |
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