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# taz.de -- Tokio nach der Olympia-Verschiebung: Die Spiele sind weg, Corona is…
> Die Tokioter trauern um die Verschiebung der Olympischen Sommerspiele.
> Noch dazu nehmen die Neuinfektionen mit dem Coronavirus wieder zu.
Bild: In Fukushima fotografieren Menschen das olympische Feuer
Tokio taz | Am Mittwochmorgen schaltete die Countdown-Uhr vor dem
Hauptbahnhof von Tokio plötzlich um. Statt der Zahl „122“ für die
verbliebenen Tage bis zur Eröffnungsfeier am 24. Juli zeigten die
Digitalziffern nun das Datum „25. 3.“ an. Am selben Tag [1][sagten die
Olympiaorganisatoren] den [2][Fackellauf] durch alle 47 Präfekturen ab, der
am Donnerstag in Fukushima beginnen sollte.
Aber die Flaggen und Wimpel mit dem Emblem für „Tokyo 2020“ schmücken noch
viele Straßen und Einkaufszonen von Tokio. An einem Souvenirstand im
Bahnhof Ikebukuro wurden Süßwaren mit dem Logo weiter gekauft.
Zwar hatten in einer Umfrage vor zwei Wochen 70 Prozent geantwortet, sie
rechneten nicht mehr mit einer regulären Austragung der Spiele in diesem
Sommer. Aber als daraus eine Tatsache wurde, war die Nation geschockt.
„Die Verschiebung ist eine traurige Last“, gestand ein Mann auf der Straße
vor einem TV-Mikrofon ein. „Shikata ga nai“, da kann man nichts machen,
meinte eine Frau, eine andere nannte die Entscheidung „weise“. „Eine
feierliche Atmosphäre wäre nicht möglich gewesen“, ergänzte jemand.
## Tausende Freiwillige hatten sich schon schulen lassen
Viele zeigten sich offen enttäuscht. Zu Millionen hatten sich die Japaner
bei mehreren Verlosungen im Internet meist vergeblich um Eintrittskarten
bemüht. Bei den Glücklichen, die zum Zuge kamen, schlug die Vorfreude auf
das Sportereignis nun in die Sorge um, ob sie ihr Geld zurückbekommen
(vermutlich nicht) oder ihre Karten auch 2021 gültig sind (noch unklar).
Viele der 80.000 Menschen, die sich als Freiwillige gemeldet hatten,
fühlten sich um ein Erlebnis betrogen – sie haben schon viel Freizeit in
die Teilnahme an Schulungsseminaren gesteckt. „Meine Sommerpläne sind jetzt
total ruiniert, und nächstes Jahr habe ich keine Zeit mehr“, klagte eine
19-jährige ehrenamtliche Helferin.
Klare Zustimmung dagegen kam vom Nationalen Verband der Menschen mit
Behinderung: „Die Extrazeit sollte für mehr barrierefreie Zugänge zu
Gebäuden und Sportstätten genutzt werden“, meinte Verbandsfunktionär
Masayoshi Imanishi. Zuvor hatten sich ausländische Sportler, die zu den
Paralympics kommen wollten, über ungenügende bauliche Vorbereitungen
beschwert.
Der Gefühlssturm nahm bald eine politische Färbung an. Ohne den positiven
Konsumeffekt der Olympischen Spiele braucht Japans blutarme Wirtschaft noch
mehr staatliche Hilfe. Damit fällt die Bilanz von sieben Jahren
Abenomics-Wirtschaftspolitik mit ihrer lockeren Geld- und Fiskalstrategie
plötzlich ziemlich dürftig aus. Dauerpremier [3][Shinzo Abe] gerät nun
unter Handlungsdruck, sonst erlebt er Olympia 2021 womöglich nicht mehr im
Amt.
## Der Verdacht bleibt, dass die Zahlen gefälscht worden waren
Noch mehr bewegte jedoch das Land, dass die Tokioter Gouverneurin Yuriko
Koike nur einen Tag nach der Olympiaverlegung vor einem explosiven Ausbruch
von Covid-19 warnte. Die Zahl der Infektionen in Tokio habe innerhalb
weniger Tage stark zugenommen, meinte sie und forderte die
Hauptstadtbewohner auf, am Wochenende zu Hause zu bleiben. Ihre Drohung mit
einer Ausgangssperre kam für viele Japaner überraschend, nachdem die Zahl
der Infizierten und Toten seit Wochen nur sehr langsam zugenommen hatte.
Das Timing der Warnung vor einer Ausbreitung war Wasser auf die Mühlen
jener Kritiker, die der Regierung unterstellt hatten, die Epidemie
herunterzuspielen, um die Austragung der Olympischen Spiele nicht zu
gefährden. Viele Leute mit Covid-19-Symptomen würden nicht getestet, und
die Bestatter seien angewiesen, an einer Lungenentzündung Verstorbene
binnen 24 Stunden einzuäschern, schrieb die Aktivistin Ema Tanaka auf
Twitter.
Doch die Gouverneurin dementierte am Donnerstagabend im TV-Sender TBS einen
Zusammenhang zwischen der niedrigen Zahl von Tests und der
Olympiaaustragung. Stattdessen sammelte Koike mit der Bitte an das IOC,
sich an den Verlegungskosten zu beteiligen, Bonuspunkte für die
Gouverneurswahl am 5. Juli, bei der sie wieder antritt.
Viele Bewohner der Hauptstadt ahnen ohnehin, warum die Infektionszahl
steigt. Als Premier Abe am 14. März darauf verzichtete, den Notstand
auszurufen, verstanden viele Japaner dies als Entwarnung, gingen wieder aus
und feierten sogar [4][Kirschblütenpartys]. Nun werden sie gleich doppelt
aus ihren Träumen gerissen: Olympia ist in weite Ferne gerückt und die
Epidemie wieder da.
27 Mar 2020
## LINKS
[1] /Verschobene-Sommerspiele-in-Tokio/!5670725
[2] /Plan-B-fuer-die-Olympischen-Spiele/!5667603
[3] /Kommentar-Wahlausgang-in-Japan/!5456620
[4] /Japanischer-Umgang-mit-dem-Virus/!5673106
## AUTOREN
Martin Fritz
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