# taz.de -- Friedhöfe in Zeiten von Corona: „Joggen kann man auch im Mauerpa… | |
> Friedhöfe erst geschlossen – und jetzt wieder auf: Tillmann Wagner vom | |
> Evangelischen Friedhofsverband Stadtmitte über Friedhofsnutzung. | |
Bild: Und jetzt wegen Corona … | |
taz: Herr Wagner, warum hatte der Verband seine Friedhöfe zeitweise | |
geschlossen? | |
Tillmann Wagner: Die nichtpietätvolle Nutzung unserer Friedhöfe hat sich | |
seit der Coronakrise gehäuft. Es haben sich junge Familien auf Friedhöfen | |
getroffen, die Erdsammlungen als Sandkästen nutzten. Jugendliche trafen | |
sich zwischen den Gräbern zu Pizza und Bier oder spielten Fußball. | |
Friedhöfe wurden vermehrt von Joggern und Radfahrern genutzt, die dann | |
schon mal Trauergesellschaften gebeten haben, aus dem Weg zu gehen. Und | |
dort, wo in der Umgebung öffentliche Toiletten geschlossen wurden, | |
verrichteten Menschen auf Friedhöfen ihre Notdurft. Auch Gassigehen ist ein | |
Thema. Einzelne Friedhöfe sind zu Orten der Drogennutzung geworden. Meine | |
Mitarbeiter sind mit der Entsorgung von Spritzen, leeren Pizzapackungen und | |
anderem Müll überfordert. | |
Friedhöfe sind in dicht besiedelten Innenstadtkiezen oft die grünen Lungen | |
für die Anwohner. Für viele Menschen, die im Homeoffice arbeiten oder aus | |
anderen Gründen zu Hause sind, sind sie die ohne öffentliche Verkehrsmittel | |
erreichbaren Grünflächen. Haben Sie Verständnis, dass viele Berliner gerade | |
jetzt Friedhöfe etwa zum Joggen nutzen? Immerhin sind die Fitnessstudios | |
geschlossen und mit öffentlichen Verkehrsmitteln bis in den Grunewald zu | |
fahren, kann auch problematisch sein. | |
Doch, ich habe Verständnis. Joggen kann man aber auch im Mauerpark. | |
Evangelische Friedhöfe gelten nicht als öffentlicher Raum. Anders als in | |
öffentlichen Parks üben hier nicht Polizei und Ordnungsamt die Kontrolle | |
aus. Unsere Mitarbeiter kann ich aber nicht zum Bewachen und zur | |
Müllentsorgung abziehen. Sie müssen Bestattungen vorbereiten und sich um | |
die Frühjahrsbepflanzung kümmern. | |
Gab es kein milderes Mittel als die Schließung? Menschenansammlungen von | |
mehr als zwei Personen sind ohnehin verboten. Sie könnten zusätzlich ein | |
Hundeverbot aussprechen und das Müllabladen untersagen. Wenn sich jetzt | |
alle Jogger im Mauerpark treffen, wird es dort mit dem Mindestabstand | |
schwer. | |
Wer soll die Einhaltung von Recht, Gesetz und Pietät kontrollieren? Die | |
Entscheidung war uns nicht leicht gefallen. Aber wie die Politik justieren | |
auch wir täglich nach, um uns den Umständen anzupassen. Vorläufig öffnen | |
wir ab Donnerstag wieder wochentags zwischen 8 und 13 Uhr, am Wochenende | |
voraussichtlich ganztags. | |
Warum haben Sie sich dazu entschlossen? | |
Wir haben diese Tage gebraucht, um uns voll und ganz auf die Bestattungen | |
zu konzentrieren, die ja nach den neuen Regelungen des Senats ablaufen | |
müssen. Das hat gut funktioniert. Deshalb können wir ab Donnerstag auch | |
wieder probehalber unsere Friedhöfe für Besucher öffnen. Und wir hoffen, | |
dass diese jetzt verstanden haben, was auf Friedhöfen möglich ist und was | |
nicht. | |
Sie könnten Ordnungsamt oder Polizei anfordern. | |
Das wäre denkbar. Da überlegen wir neu, auch in Abhängigkeit von den dann | |
neuen behördlichen Anordnungen, die niemand voraussagen kann. Aber die | |
Gesellschaft muss umdenken. Vermüllung und pietätlose Nutzung von | |
Friedhöfen, das geht nicht. Es müssen Regeln eingehalten werden im Sinne | |
der Fürsorge für Trauernde. | |
Gibt es nicht angesichts einer potenziell todbringenden Krankheit nicht | |
auch ein höheres Bedürfnis von Berlinern, auf Friedhöfen ihre toten | |
Angehörigen zu besuchen? | |
Beschwerden über die Friedhofschließungen kamen von Menschen, die auf | |
Friedhöfen joggen oder Sport treiben wollen. | |
Was ist mit Bestattungen auf den Friedhöfen? | |
Bestattungen finden natürlich weiter statt. Gegenwärtig sind Trauergruppen | |
nur bis maximal zehn Personen erlaubt. Wegen der Gefahren der Ansteckung | |
mit dem Coronavirus finden Trauerfeiern nicht mehr in Kapellen statt, | |
sondern im Freien. In den Ortsteilen Neukölln, Mariendorf und Kreuzberg | |
müssen wir Urnenbeisetzungen wegen des hohen Krankheitsstands unserer | |
Mitarbeiter leider derzeit auf einen späteren Zeitpunkt verschieben. | |
Erdbestattungen werden aber weiterhin möglich sein. | |
25 Mar 2020 | |
## AUTOREN | |
Marina Mai | |
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