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# taz.de -- Pressefreiheit auf der Krim: Berufsverbot für Kritiker
> Mykola Semena hat jahrzehntelang als Journalist auf der Krim gearbeitet.
> Nach der russischen Annexion durfte er das nicht mehr.
Bild: Nach über 30 Jahren auf der Krim hat der Journalist Mykola Semena die Ha…
Mit einer großen Kamera vor der Brust steht Mykola Semena an einem Dienstag
in Kiew in der Nähe der Roten Universität am Denkmal des Nationaldichters
Taras Schewtschenko. Er beobachtet eine Kundgebung zum Thema Krim.
Eigentlich nichts Besonderes für einen Journalisten von der Krim.
Doch für Semena ist es ein Event, dass er wieder seinem Beruf nachgehen
kann. Bis Ende 2019 hatte der Mann, der seit 50 Jahren Journalist ist und
über 30 Jahre auf der Krim gelebt hatte, Berufsverbot. Mit diesem war er
belegt worden, weil er über das berichtet hatte, was in seiner Heimat, der
Halbinsel Krim, geschieht. Schon im Frühjahr 2014 war das aber nicht mehr
so möglich wie vorher. Was Semena vor Ort gesehen hatte, war nicht das, was
die russischen Medien berichteten.
Er sah, wie Personen, die sich für den Verbleib der Krim bei der Ukraine
ausgesprochen hatten, mit Gewalt von Angehörigen der „Selbstverteidigung
der Krim“ aus Veranstaltungen gedrängt wurden. Oder er hatte von russischen
Sondereinheiten erfahren, die auf Schiffen der Schwarzmeerflotte, in
Kirchen und Sanatorien versteckt, in ziviler Kleidung auf Veranstaltungen
für die Angliederung an Russland agitiert hatten.
Unter russischer Herrschaft wurde Semena seine Arbeit erschwert. Mit
Pseudonymen bemühte er sich um Unauffälligkeit. Doch man hatte ihn bemerkt.
Am 19. April 2016 machten die russischen Behörden bei ihm eine Haussuchung.
Sie fanden einen Text, in dem sich Semena für den Verbleib der Krim bei der
Ukraine ausspricht. Beschuldigt wurde er dann damit, die territoriale
Integrität Russlands verletzt zu haben.
## Kritik am Verstoß gegen internationales Recht
Vergeblich hatte er bei den Verhandlungen 2017 und 2018 versucht, das
Gericht davon zu überzeugen, dass die Angliederung der Krim an Russland
nicht nur internationalem Recht widersprach, sondern auch russischem Recht
und bilateralen Verträgen Russlands mit der Ukraine. Man verurteilte ihn im
September 2017 zu einer zweieinhalbjährigen Bewährungsstrafe und einem
dreijährigen Berufsverbot.
Von da an tauchten regelmäßig Bewährungsbeamte in der Wohnung von Semena
auf, befragten auch dessen Nachbarn, ob er trinke und gewalttätig sei. Ein
Jahr nach dem Urteil wurde das dreijährige Berufsverbot auf zwei Jahre
reduziert. Ende 2019 wurde die Bewährungsstrafe aufgehoben, am 18. Februar
2020 konnte Semena ungehindert nach Kiew reisen.
Der Zustand der Medien auf der Krim sei heute beklagenswert, sagt Semena
der taz. Diese seien nur noch Propagandainstrumente der russischen
Behörden. Ukrainische Sender und Zeitungen seien systematisch verdrängt
worden.
Konnte man vor der Annexion in den Kiosken der Krim noch die Zeitungen
kaufen, die es auch in Kiew gibt, sind heute ukrainische Zeitungen auf der
Krim verboten. Nachdem er eine Zeit lang über eine Spedition Zeitungen aus
Kiew erhalten hatte, seien diese Sendungen von den russischen Behörden
beschlagnahmt worden.
## Menschenrechtslage katastrophal
Heute, so weiß er von Kollegen, die noch auf der Krim arbeiten, sitze in
jeder Redaktion ein Angehöriger des russischen Inlandsgeheimdienstes FSB,
der darüber wache, dass auch das Gewünschte veröffentlicht werde. Und den
Redaktionen lägen Listen mit Personen vor, über die man nur positiv
berichten dürfe, aber auch schwarze Listen mit Personen, über die nicht
oder nur negativ berichtet werden dürfe.
Typisch für die Medien der Krim heute sei, so Semena, dass diese vor allem
das Futur liebten: Gerne berichteten sie über Schulen und Straßen, die es
in Zukunft geben würde. „Aber Pläne können doch keine Nachrichten sein“,
sagt Semena.
Menschenrechtlich sei die Situation auf der Krim derzeit ebenso
katastrophal. Semena erinnert an den proukrainischen Aktivisten Reschat
Ametow, der 2014 im Vorfeld des Referendums für den Verbleib bei der
Ukraine demonstriert hatte, dann von Uniformierten entführt und wenig
später mit Spuren von Folter tot aufgefunden worden war. Dieser sei nicht
der einzige proukrainische Aktivist auf der Krim, der in den letzten Jahren
spurlos verschwunden sei.
23 Mar 2020
## AUTOREN
Bernhard Clasen
## TAGS
Schwerpunkt Pressefreiheit
Russland
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