# taz.de -- Corona-Pandemiepläne: Organisierte Planlosigkeit | |
> Sars-CoV-2 hat Deutschland erreicht. Mit Pandemieplänen von gestern sind | |
> wir leider nicht sehr gut vorbereitet. | |
Bild: Die Nachfrage nach Desinfektionsmitteln ist wegen des Coronavirus stark g… | |
Die Welt steht an der Schwelle einer [1][Corona (COVID-19)- Pandemie]. In | |
Deutschland sind bereits über 1.000 Fälle bestätigt. Die Krankenhäuser | |
bereiten sich auf einen Massenanfall Erkrankter vor, auf Bundesebene hat | |
sich ein Krisenstab von Bundesgesundheits- und Innenministerium | |
konstituiert und in den Supermärkten sind erste Hamsterkäufe zu beobachten. | |
Auf allen Ebenen laufen die Pandemievorbereitungen auf Hochtouren. Wir | |
dürfen uns glücklich schätzen; denn wir leben in einem hochentwickelten, | |
wohlhabenden Land mit exzellenter medizinischer Versorgungsstruktur. | |
Dennoch sind wir rechtlich erschreckend schlecht aufgestellt, was im | |
schlimmsten Fall Menschenleben kosten kann. Schon die | |
„Schweinegrippepandemie“ 2009 und der EHEC-Ausbruch 2011 boten genug | |
Anlass, die deutsche Organisationsstruktur zur Seuchenbekämpfung zu | |
überdenken. Gleichwohl ist hierzulande – frei nach dem Motto „Ist ja | |
nochmal gut gegangen“ – seitdem wenig passiert. | |
Unsere föderal strukturierte Rechtsordnung ist für saisonale Grippewellen | |
gut gerüstet. Das Infektionsschutzgesetz hält einen [2][breiten | |
Maßnahmenkatalog] für die Gesundheitsbehörden der Länder bereit. Schon | |
gegenüber bloß „Ansteckungsverdächtigen“ können berufliche Tätigkeiten | |
verboten oder unter bestimmten Voraussetzungen sogar Quarantäne angeordnet | |
werden. In der Pandemiesituation ist die Kleinstaaterei dagegen ineffektiv. | |
Möchte man etwa – wie [3][aktuell in Italien] – durch Schulschließungen d… | |
Ausbreitung einer Krankheit aufhalten, dann muss man sie in allen | |
Ausbruchsgebieten gleichzeitig anordnen, um die Ausbreitung der | |
Infektionskrankheit zu verzögern. | |
Das kann nur gelingen, wenn man Bundesministerien oder -behörden eine | |
entsprechende Weisungsbefugnis gegenüber die Landesgesundheitsbehörden | |
einräumt. Ansonsten kann jeder Oberbürgermeister und Landrat frei | |
entscheiden, ob er der Empfehlung der Bundesbehörden folgt oder nicht. | |
Derzeit fehlt es an verbindlichen Bestimmungen, um die Maßnahmen bei | |
bundeslandübergreifenden Seuchenausbrüchen zu koordinieren. | |
Wie schlecht Deutschland organisatorisch auf Pandemien vorbereitet ist, | |
zeigt sich auch am desolaten Zustand der sogenannten Pandemiepläne. | |
Problematisch ist schon, dass die darin enthaltenen Empfehlungen auf | |
Influenzapandemien zugeschnitten sind. Was davon nun auf den | |
Corona-Ausbruch übertragbar ist, bleibt unklar. In den Plänen werden | |
Vorbereitungs- und Bekämpfungsmaßnahmen sowie Kriterien für die Vergabe | |
knapper Medikamente beschrieben. Die konkreten Empfehlungen orientieren | |
sich eng an den Pandemiestufen der Weltgesundheitsorganisation. Allerdings | |
hat die Weltgesundheitsorganisation ihr Pandemie-Phasenmodell mehrfach | |
geändert. Statt früher sechs Pandemiephasen gibt es nur noch vier. Der | |
Bundespandemieplan wurde darauf angepasst. | |
Die ganz überwiegende Zahl der Landespandemiepläne ist dagegen hoffnungslos | |
veraltet. Viele der Pläne sind über zehn Jahre alt. Lediglich drei Länder, | |
Bayern, Baden-Württemberg und Schleswig-Holstein, verfügen über operable | |
Dokumente. Viele Bundesländer sind daher de facto planlos. Man kann darauf | |
hoffen, dass besonnene Landesbeamte gleichwohl wissen werden, was zu tun | |
ist. In der Regel führt Planlosigkeit in einer Katastrophensituation jedoch | |
eher zu Koordinationsproblemen, uneinheitlichen Entscheidungen und Fehlern. | |
Während der Schweinegrippepandemie resultierte daraus eine derartig | |
widersprüchliche Öffentlichkeitsarbeit der verschiedenen Behörden, dass die | |
verunsicherte Bevölkerung größere Angst vor der Impfung entwickelte als vor | |
der Seuche selbst. Während der EHEC-Krise wurden völlig unbeteiligte | |
Gemüsebauern in die Insolvenz getrieben. | |
Um die Koordinierungsprobleme zu bewältigen, fordert [4][der | |
Bundespandemieplan] ab einer bestimmten Gefährdungsstufe richtigerweise, | |
auf Bundesebene Krisenstäbe, Expertengremien und Bund-Länder-Arbeitsgruppen | |
zur bundeslandübergreifenden Koordination zu bilden. Diese Gremien wurden | |
im Hinblick auf die Bedrohung durch das neuartige Coronavirus bereits | |
eingesetzt. Was in der Berichterstattung jedoch völlig untergeht, ist, dass | |
es sich bei den Pandemieplänen um rechtlich völlig unverbindliche Texte mit | |
Empfehlungscharakter handelt. Rechtlich verbleiben alle wesentlichen | |
Kompetenzen auf Landesebene. Die Bundesministerien, Krisenstäbe, | |
Expertengremien und das Robert-Koch-Institut verfügen lediglich über | |
Informations-, aber nicht über Entscheidungsbefugnisse. | |
Um in Deutschland bessere Rechtsgrundlagen zu schaffen, kann man sich gut | |
am Epidemiengesetz der Schweiz orientieren. In diesem Gesetz werden der | |
Regierung und dem Gesundheitsministerium für besondere und außergewöhnliche | |
Lagen besondere Koordinierungs- und Entscheidungsbefugnisse zuerkannt. | |
Speziell für die Pandemiepläne (in der Schweiz: Notfallpläne) sieht das | |
Gesetz eine kontinuierliche Fortschreibungs- und Koordinationspflicht vor. | |
Schließlich enthält die auf Grundlage des Gesetzes erlassene | |
Epidemienverordnung Bestimmungen dazu, wie knappe Medizinprodukte | |
bevorratet und verteilt werden können. In Deutschland fehlt es an solchen | |
Regelungen, so dass schon jetzt kaum noch Atemschutzmasken zu bekommen | |
sind. Zugleich gehen in deutschen Apotheken fiebersenkende Medikamente zur | |
Neige. | |
Zum Glück ist die Mortalitätsrate von COVID-19 nicht so hoch wie | |
ursprünglich befürchtet, so dass kein Grund besteht, in Panik auszubrechen. | |
Doch das Pandemierisiko ist allgegenwärtig. Angstvoll blicken | |
Gesundheitsexperten der WHO auf verschiedene Influenzavirusstämme. Das | |
Virus A(H5N1), das zum Glück noch nicht von Mensch zu Mensch übertragbar | |
ist, hat beispielsweise eine Mortalitätsrate von 60 Prozent. Sollte dieses | |
Virus je die Fähigkeit entwickeln, sich über Tröpfcheninfektionen zu | |
verbreiten, so wird jeder Fehler im Umgang mit der Seuche in Menschenleben | |
bezahlt. Wir sollten daher die derzeitige gesundheitliche Notlage von | |
internationaler Tragweite zum Anlass nehmen, das deutsche | |
Infektionsschutzrecht um verbindliche Bestimmungen für Pandemiesituationen | |
zu ergänzen. | |
9 Mar 2020 | |
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## AUTOREN | |
Anika Klafki | |
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