# taz.de -- Corona in Griechenland: Kein Gottvertrauen mehr | |
> Die Regierung zieht die Reißleine. Bis Monatsende darf kein Gottesdienst | |
> mehr stattfinden. Dem Klerus und vielen Gläubigen geht das gegen den | |
> Strich. | |
Bild: Virusbekämpfung statt Gebet: Das Kastritsis Kloster in Ioannina | |
ATHEN taz | Es war bestimmt keine leichte Entscheidung für den griechischen | |
Premierminister Kiriakos Mitsotakis. Doch am Montagabend war Schluss. Da | |
verfügte die Regierung, dass in den Kirchen bis auf Weiteres keine | |
Gottesdienste mehr stattfinden dürfen. | |
Der Schritt dürfte Mitsotakis nicht leichtgefallen sein. Seine konservative | |
Partei Nea Dimokratia pflegt traditionell enge Beziehungen mit der | |
mächtigen orthodoxen Kirche des Landes. Mitsotakis hatte deshalb die | |
Verantwortung zunächst einmal bei der Kirche belassen und dem Athener | |
Erzbischof am vergangenen Wochenende nahegelegt, eine Krisensitzung der | |
orthodoxen Bischöfe einzuberufen. | |
Doch die Bischöfe konnten sich lediglich darauf einigen, den Gottesdienst | |
vorerst während der Woche einzustellen. Sonntags sollte es weiterhin eine | |
Messe geben. Das ging dem Premier nicht weit genug, und er griff ein. | |
Dabei waren noch am vergangenen Sonntag viele Gläubige in die Kirche | |
gegangen. So auch in die Kirche des Ai Giannis, des heiligen Johannes in | |
Athen. Etwa fünfzig Gläubige verfolgten den Gottesdienst, weniger als an | |
einem normalen Sonntag. Darunter alte Menschen, aber auch viele Familien. | |
Andere gingen nur kurz hinein und warteten dann draußen oder am Eingang. | |
## Ungeküsste Ikonen | |
So auch der 28-jährige Romanos, ein schlanker Mann mit Brille und Bart. Er | |
wolle auf den Gang zur Kirche nicht verzichten, sagte er: „Ich küsse aber | |
die Ikonen nicht mehr, fasse keine Kerzen an. So wie ich überall aufpasse, | |
tue ich es auch in der Kirche.“ Schließlich wolle er keine anderen Menschen | |
anstecken, vor allem die älteren nicht. | |
Doch trotz [1][Corona-Pandemie] wollte die orthodoxe Kirche auf den | |
Gottesdienst für ihre Gläubigen nicht verzichten. Und: Sie wollte weiter | |
die Heilige Kommunion spenden – eine äußerst umstrittene Entscheidung. Denn | |
in der Orthodoxie besteht die Kommunion aus Wein und Brotkrümeln und wird | |
aus demselben Kelch mit einem gemeinsamen Kommunionlöffel gereicht. | |
Trotzdem könne das Virus dadurch nicht übertragen werden, so die | |
Überzeugung der Kirche. | |
Die Kommunion oder Eucharistie sei die wichtigste sakrale Handlung, | |
erklärte der Bischof von Dimitriada und Almyros, Ignatios. „Mithilfe des | |
Heiligen Geistes verwandeln sich der Wein und das Brot in Leib und Blut | |
Christi.“ | |
Neben dem Glauben, dass die Kommunion risikofrei sei, spreche hier auch die | |
Erfahrung, so Ignatios. „Nachdem alle Gläubigen die Kommunion zu sich | |
genommen haben, trinken wir Geistlichen, das, was im Kelch übrig geblieben | |
ist.“ Und doch sei noch nie ein Priester dadurch krank geworden, sagte | |
Ignatios. | |
## Eine andere Sprache | |
Die Wissenschaft spreche da aber eine andere Sprache, sagt Despoina | |
Tosonidou, Vorsitzende des Ärztevereins im Athener Asklipio-Krankenhaus. | |
Selbstverständlich könne ein durch Tröpfchen übertragenes Virus auch durch | |
die Kommunion überspringen. | |
Auch einige Regierungspolitiker verstiegen sich öffentlich zu der Aussage, | |
sie glaubten an das Wunder der Kommunion und würden weiter zur Eucharistie | |
gehen. In einem Versuch, sich von solchen Aussagen aus den eigenen Reihen | |
zu distanzieren, sagte Premierminister Kiriakos Mitsotakis daraufhin in | |
einer Fernsehansprache: „Der Glaube, den wir jetzt brauchen, ist der | |
Glaube, dass wir diese Krise überwinden werden, wenn wir alle den | |
Ratschlägen der Ärzte und Spezialisten folgen.“ | |
Dies sei eine längst überfällige Ansage, findet die Ärztin Despoina | |
Tosonidou. Denn das griechische Gesundheitssystem hätte im Falle einer | |
Ausbreitung des Coronavirus überhaupt keine Chance. | |
Nach zehn Jahren [2][harter Sparmaßnahmen] fehlten schon unter normalen | |
Bedingungen Tausende Ärzte und Pfleger. Das Krankenhauspersonal habe jetzt | |
schon kaum Schutzmasken und landesweit gebe es nur etwas mehr als 500 | |
Plätze auf den Intensivstationen, warnt Tosonidou. | |
## Für den Notfall gewappnet | |
Das griechische Gesundheitssystem werde durchaus für den Notfall gewappnet, | |
kontert die Regierung. Sie hat 2.000 Neueinstellungen für das | |
Klinikpersonal angekündigt. Das öffentliche Nimits-Krankenhaus soll sich | |
ausschließlich auf Coronapatienten spezialisieren, und ein neues privates | |
Krankenhaus muss seine Betten zur Verfügung stellen. Ziel sei es, 1.900 | |
Klinikbetten vorhalten zu können, so der griechische Premier Mitsotakis. | |
Auf einen Gottesdienst im Rahmen ihrer Kirchengemeinde müssen die Gläubigen | |
in Griechenland vorerst bis zum 30. März verzichten. Danach wird die | |
Regierung prüfen, ob die Maßnahme verlängert werden muss. | |
Vielen Gläubigen missfällt das. „Wer fest an Gott glaubt, hat doch nichts | |
zu befürchten“, sagt Niki, eine ältere Frau in Athen. Sie sei noch | |
vergangenen Sonntag zur Kommunion gegangen. Und eine andere Passantin | |
kontert: „Der Gang zur Kirche wird uns verwehrt, aber in volle Busse und | |
Bahnen dürfen wir nach wie vor. Das verstehe ich nicht!“ | |
Die Ärztin Tosonidou hingegen hofft, dass alle bisherigen | |
Sicherheitsmaßnahmen so lange wie möglich bestehen bleiben und es keinen | |
Gottesdienst mehr gibt, bis die Gefahr vorbei ist. | |
Sie befürchtet, dass sonst spätestens zu Ostern, dem wichtigsten Fest der | |
orthodoxen Christen, wieder viele Gläubige in die Kirchen kommen könnten. | |
Dann endet die christliche Fastenzeit. Für viele ist das ein Grund, nicht | |
nur zum Gottesdienst zu gehen, sondern auch an der Kommunion teilzunehmen. | |
18 Mar 2020 | |
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## AUTOREN | |
Rodothea Seralidou | |
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