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# taz.de -- Coronavirus und Weltwirtschaft: Zur Globalisierung verdammt
> Fabriken stehen still, Lieferketten sind unterbrochen – die
> Globalisierung beenden wird das Coronavirus aber nicht.
Bild: Temperatur-Messen am Flughafen von Jakarta, nachdem es einen ersten Coron…
Das Coronavirus verbreitet sich global – also liegt der Gedanke nahe, dass
die Epidemie etwas mit der Globalisierung zu tun haben könnte. Claus
Leggewie hat daher gefordert: „Deglobalisiert euch!“ ([1][taz vom 6. 3.
2020)]. Doch so einfach ist es nicht.
Zunächst fällt auf, dass sich das Virus meist nicht über Handelswege
verbreitet, sondern fast immer von Touristen übertragen wird. Zur
Krankheitsfalle werden Kreuzfahrtschiffe, aber auch Pilgerfahrten können
gefährlich sein: Griechenland hat 73 Coronakranke – 47 haben sich auf einer
Reise nach Jerusalem angesteckt.
Pilgerfahrten reichen weit zurück. Schon in der Antike reisten Europäer
nach Jerusalem; auch in Indien gab es vor zweitausend Jahren die ersten
Pilger. Ähnliches gilt für Mekka, das bereits in vorislamischer Zeit ein
Wallfahrtsort war. Es werden also uralte Rituale aufgegeben, wenn jetzt
Bethlehem abgeriegelt wird oder die Hadsch nach Mekka ausfällt, um die
Verbreitung des Coronavirus zu stoppen.
Die Globalisierung ist kein modernes Phänomen, wenn damit gemeint ist, dass
Menschen überregional in Kontakt stehen. Selbst auf deutschen Äckern lassen
sich erstaunliche Funde machen. So wurde beim Bau der Autobahn A 20 in der
Nähe von Anklam ein Silberschatz entdeckt – mit arabischen Münzen aus dem
siebten bis neunten Jahrhundert. Das Geld war in Nordafrika, in Bagdad und
im Iran geprägt worden, eine Münze stammte sogar aus Masar-i-Scharif in
Afghanistan.
## Geschwindigkeit vervielfacht
Die Geschichte der Krankheiten dokumentiert ebenfalls, wie eng die
Beziehungen waren. Im Jahr 1330 kam die Beulenpest in Zentralasien auf, und
es dauerte weniger als zwei Jahrzehnte, bis sie ihren Seuchenzug durch
Europa antrat und etwa ein Drittel der Bevölkerung auslöschte.
Seither gab es natürlich Veränderungen: Die Menge der Reisenden und die
Geschwindigkeit des Transports hat sich vervielfacht. Das Coronavirus
benötigte nicht mehr Jahre, um von China [2][nach Europa vorzudringen],
sondern war schon nach wenigen Wochen hierzulande eingetroffen.
Aber es ist bemerkenswert, dass sich die Methoden noch immer ähneln, wie
einer Epidemie begegnet wird – nämlich durch Quarantäne. Das Wort stammt
aus dem Italienischen und Französischen: Schon im 14. Jahrhundert glaubte
man, dass man die Pest nur bekämpfen könne, indem man mögliche Kranke für
vierzig (quaranta) Tage isolierte.
Aber eine Quarantäne – der Name sagt es schon – ist als vorübergehende
Kontaktsperre gedacht. Die Rede von der „Deglobalisierung“ hingegen legt
nahe, dass die Beziehungen für immer gekappt werden sollen, die die
Menschheit seit Jahrtausenden verbinden. Das wirkt weltfremd. Die Menschen
werden auch in Zukunft reisen und ihre Keime verstreuen.
## Stillgelegte Fabriken
Allerdings wird der Begriff „Globalisierung“ oft enger und rein ökonomisch
verwandt. Gemeint ist dann der weltweite Austausch von Waren und
Dienstleistungen. Auch Leggewie scheint vor allem diese Globalisierung zu
meinen, denn er fordert eine „Regionalisierung der Märkte“. Der Zeitpunkt
wirkt günstig: Durch das Coronavirus [3][stehen sowieso weltweit Fabriken
still, und Lieferketten sind unterbrochen].
Prinzipiell ist es nicht falsch, eine Regionalisierung des Handels
anzustreben. Es belastet die Umwelt extrem, dass ständig mehr Güter um den
Globus gekarrt werden. Wer den Klimaschutz ernst nimmt, wird künftig ohne
Handys aus China auskommen müssen. Aber seltsamerweise glaubt Leggewie,
dass es einen „behutsamen Rückbau“ der Handelsbeziehungen geben könnte.
„Behutsam“ klingt harmlos, vorsichtig und pragmatisch. Es wirkt wie ein
moderater Politikvorschlag, der die „Mitte“ der Wähler nicht verschreckt.
Dies ist eine Irreführung. Jede „Deglobalisierung“ wäre eine Revolution.
Selbst ein „behutsamer Rückbau“ würde den Kapitalismus zum Einsturz
bringen.
Die Globalisierung ist nämlich kein bedauerlicher Irrweg, sondern der Kern
des Kapitalismus, wie schon Marx und Engels erkannten: Das Kommunistische
Manifest endet mit den weltberühmten Worten „Proletarier aller Länder,
vereinigt euch!“ Ganz bewusst stand dort nicht, dass nur die deutschen
Arbeiter zusammenstehen sollten. Die beiden Sozialisten sahen bereits 1848
voraus, dass der Kapitalismus alle Grenzen sprengt.
## Zwang zur Expansion
Natürlich wussten auch die Unternehmer, dass sie grenzüberschreitend
agieren mussten. Die Brüder Siemens waren dafür typisch: 1847 gründeten sie
ihre Firma in Berlin, 1850 hatten sie eine Tochter in London und 1855 in
Sankt Petersburg. Bereits 1867 verlegten sie ein Telegrafenkabel von London
nach Kalkutta und 1874 ein Kabel von England in die USA. Die Brüder Siemens
wussten von Anfang an, dass es nicht reichte, in einem Berliner Hinterhof
abzuwarten. Sie drängten sofort ins Weltgeschäft.
Marx hat bereits 1867 in „Das Kapital“ richtig beschrieben, warum Firmen
ihre Kapazitäten und ihre Märkte ständig ausdehnen müssen: Die Produktion
von Gütern wird umso billiger, je mehr Stück man herstellt. Für vier Autos
lohnt sich kein Industrieroboter; bei 10.000 Autos machen die Maschinen
jedes einzelne Auto günstiger.
Deutschland wäre zu klein für seine Industrie. Nur weil es den Weltmarkt
gibt, lohnt sich die Technik, die in den Unternehmen eingesetzt wird. Eine
„Deglobalisierung“ wäre das Ende der deutschen Industriestruktur. Nur zur
Erinnerung: Deutschland exportiert knapp 50 Prozent seiner
Wirtschaftsleistung.
Es ist wahr, dass die globale Vernetzung fossile Energie frisst und keine
Zukunft hat, wenn es nicht zu einer Klimakrise kommen soll. Aber einem
„behutsamen“ Rückbau wird die Deglobalisierung nicht ähneln – und das
Coronavirus ist dafür weder Anlass noch Konzept. Der Erreger löst eine
Epidemie aus. Nicht weniger, aber auch nicht mehr.
9 Mar 2020
## LINKS
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## AUTOREN
Ulrike Herrmann
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