# taz.de -- Probleme mit Quarantäne in China: Zu Hause gefangen | |
> Der Alltag unter Quarantäne in China führt zu steigenden Fällen | |
> häuslicher Gewalt. Frauenrechtlerinnen schlagen Alarm. | |
Bild: Hochzeiten im Januar in Harbin – inzwischen sind Standesämter mit mehr… | |
Peking taz | Nachdem die Standesämter in der zentralchinesischen Metropole | |
Xi’an vor einer Woche erstmals nach dem Virusausbruch ihre Pforten | |
öffneten, kam es zu einem nie dagewesenen Ansturm: Termine für Scheidungen | |
seien in einigen Behörden über Wochen ausgebucht, berichtet die Global | |
Times. „Als Folge der Epidemie hocken viele Paare über einen Monat | |
ununterbrochen zu Hause aufeinander, was viele unterschwellige Konflikte | |
hervorbringt“, wird ein örtlicher Beamter zitiert. | |
Am Montag vermeldete der Gesundheitsausschuss in Peking mit landesweit | |
lediglich 40 Infektionen innerhalb der letzten 24 Stunden [1][den | |
niedrigsten Wert seit Beginn der statistischen Erhebung im Januar]. Auch | |
die 22 Todesfälle sind im Vergleich eine positive Entwicklung. | |
Zwar sind mit über 80.700 Personen noch immer mit weitem Abstand die | |
meisten Virusinfizierten in der Volksrepublik beheimatet, dennoch scheint | |
die Epidemie weitgehend unter Kontrolle: Außerhalb der am stärksten | |
betroffenen Provinz Hubei flacht die Wachstumskurve bereits seit einem | |
Monat ab. Dort gibt es – laut offiziellen Statistiken – praktisch bis auf | |
aus dem Ausland eingeflogene Fälle keine Neuinfektionen mehr. Der Grund | |
dafür liegt in den drastischen Quarantänemaßnahmen, von Hausarresten bis | |
hin zu Reiseverboten. Rund die Hälfte der 1,4 Milliarden Chinesen sind | |
davon betroffen. | |
Ein Nebeneffekt des Alltags unter dem Virusausbruch sind jedoch gestiegene | |
Fälle häuslicher Gewalt, von denen Frauenrechtsaktivisten berichten. Laut | |
der Pekinger Frauenrechtsorganisation „Weiping“ sei die Zahl der | |
Beschwerden von Opfern dreimal so hoch wie noch vor der Quarantäne. Die | |
[2][BBC zitiert die Frauenaktivistin Guo Jing aus Wuhan], wonach sich viele | |
junge Chinesen in verzweifelten Telefonanrufen an sie wenden: Sie berichten | |
von gewalttätigen Vätern und Ehemännern, doch wissen nicht, an wen sie sich | |
wenden können. Andere Frauenrechtlerinnen erzählen laut Medienberichten von | |
„gefangenen“ Ehefrauen: Aufgrund der Quarantäne und Reisebeschränkungen | |
können sie nicht zu Verwandten oder Bekannten, um Unterschlupf suchen. | |
## Nachbarschaftliche Achtsamkeit | |
„Seitdem das Virus ausgebrochen ist, rufen Frauen doppelt so oft bei der | |
Polizei an wie zuvor. Fast alle Fälle häuslicher Gewalt haben indirekt auch | |
mit dem Virus zu tun“, postet Wan Fei, pensionierter Polizeibeamter aus dem | |
Landkreis Jingzhou und Gründer einer Frauenrechtsorganisation, auf dem | |
sozialen Netzwerk Weibo. Seiner Meinung nach würden viele Konflikte | |
eskalieren, weil die Leute ständig unter Angst stünden und | |
Verdienstausfälle wirtschaftlichen Druck herbeigeführt haben. | |
In vielen Wohnsiedlungen hängen Anwohner Infozettel an die schwarzen | |
Bretter, um vor häuslicher Gewalt zu warnen: „Wir kämpfen gegen das Virus | |
gemeinsam. Ich hoffe, ganz egal wie unterschiedlicher Meinungen Sie sind: | |
Benutzen Sie keine Gewalt“, heißt es auf einem solchen auf Weibo geposteten | |
Flyer: „Wenn Sie innerhalb Ihrer Familie oder in der Nachbarschaft Gewalt | |
mitbekommen, dann rufen Sie die Polizei.“ | |
Ein anderer Nutzer kommentiert: „Durchschnittlich wird in China alle 7,4 | |
Sekunden eine Frau von ihrem Ehemann geschlagen: Allein die Daten beweisen, | |
dass häusliche Gewalt tödlicher ist als das Virus selbst.“ Laut offiziellen | |
Statistiken von 2016 haben 30 Prozent aller verheirateten Frauen schon | |
einmal Gewalt in den eigenen vier Wänden erlitten. Im selben Jahr hat die | |
Volksrepublik ein längst überfälliges Gesetz zum Schutz vor häuslicher | |
Gewalt erlassen. Erstmals sei diese überhaupt als Strafdelikt anerkannt | |
worden. | |
Noch bis 1990 hatte China mit drei Viertel eine der höchsten | |
Beschäftigungsraten der Frauen. Mittlerweile liegt diese bei nur mehr knapp | |
über 60 Prozent. Auch beim „Gender Gap Index“ des Weltwirtschaftsforums ist | |
China in den letzten zehn Jahren stetig abgefallen – auf den 106. Platz von | |
153 Ländern. | |
Zwar verdienen mittlerweile Chinesinnen mehr als je zuvor, sind gebildeter | |
und haben auch eine längere Lebenserwartung. Doch im Vergleich zur | |
männlichen Bevölkerung profitieren sie weitaus weniger von der | |
wirtschaftlichen Entwicklung. Vor allem seit [3][Präsident Xi Jinpings] | |
Amtsantritt hat sich das propagierte Frauenbild deutlich gewandelt: | |
Mittlerweile wird die patriotische Chinesin vor allem für ihre Rolle im | |
Haushalt gepriesen. | |
9 Mar 2020 | |
## LINKS | |
[1] /China-und-der-Corona-Virus/!5670018 | |
[2] https://www.bbc.com/news/world-asia-51705199 | |
[3] /!t5007916/ | |
## AUTOREN | |
Fabian Kretschmer | |
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