# taz.de -- Kulturen des Fußballs: Bratwurst oder Gänseleber | |
> Jedes Fußballspiel ist ein kulturelles Ereignis für die Anhänger. Die | |
> sind so unterschiedlich, dass es am Ende nur noch sogenannte Fans gibt. | |
Bild: Fan-Theater in Hoffenheim: Anhänger des FC Bayern München feiern ihren … | |
Im Fußball wimmelt es nur so von Kulturen. Da ist schon mal die | |
Spielkultur. Die ist ein [1][seltenes Phänomen] im deutschen Fußball. Bei | |
Borussia Dortmund soll sie ja ab und an einmal aufblitzen. Der FC Bayern | |
München hat wohl unter Pep Guardiola Spielkultur in München etabliert. Doch | |
dann kamen Carlo Ancelotti und Niko Kovac und zertrümmerten das wertvolle | |
Gut, so wie einst die Taliban die Buddhastatuen von Bamyan vernichtet | |
haben. | |
Buddhastatuen sollen auch einmal beim FC Bayern entfernt worden sein. Der | |
Legende nach wurden sie vom Jürgen Klinsmann an der Säbener Straße | |
angebracht, um eine neue Trainingskultur zu etablieren. Eigentlich ging es | |
um eine Trainingspausenkultur, denn die Spieler sollten Energieflüsse | |
spüren, wenn sie sich auf den Loungesofas der Dachterrasse des | |
Bayerntempels aufhielten. | |
Nicht wenige bezeichneten das als Unkultur. Und auch wenn Klinsmann | |
versicherte, es habe sich bei den Buddhafiguren um nicht viel mehr als um | |
einen innenarchitektonischen Gag gehandelt, meldete sich Bernhard Felmberg, | |
der seinerzeitige Sportbeauftragte der Evangelischen Kirche in Deutschland, | |
und [2][meinte allen Ernstes], den Spielern sei „auf diese Weise quasi eine | |
Religion diktiert“ worden. Für ihn waren die Buddhas ein Bruch mit der | |
Leitkultur im deutschen Fußball. | |
Zu der gehört gewiss auch das Bier und die Stadionwurst, die es inzwischen | |
in manch Stadion auch in veganer Variante gibt. Darüber mag sich der ein | |
oder andere Schweinswursttraditionalist ebenso empören wie über die | |
Entscheidung der Verantwortlichen, bei einem Hochrisikospiel statt normal | |
alkoholisiertem Bier nur leichte Plörre auszuschenken. Sie werden wissen, | |
dass über ihnen in den VIP-Logen, niemand auf die Idee kommen würde, den | |
hochbezahlenden Gästen alkoholfreien Prosecco zu servieren. Auch wird nicht | |
mit einer klassischen Stadionwurst abgespeist, wer ein teures | |
Hospitalitypaket erworben hat. Ein VIP muss, ob er will oder nicht, eher so | |
Sachen essen wie geschmorten Ochsenschwanz mit Gänseleber an | |
Süßkartoffel-Mousseline unter einer Mandel-Vinaigrette. | |
## Der Klub klebt am Porsche | |
Dass sich die Esskultur im Stadion mal zu solchen Höhen aufschwingt, kann | |
der Wurstesser aus der Kurve vielleicht nur schwer nachvollziehen. Seine | |
Fußballsozialisation in der Kurve mag zu einer Zeit begonnen haben, als ein | |
Pausenprogramm mit einer Akrobatikshow der Motorradstaffel der örtlichen | |
Bereitschaftspolizei fast schon ein Saisonhöhepunkt war. | |
Derweil schwärmen andere im Stadion vom unvergessenen Pausenauftritt einer | |
US-amerikanischen Sängerin mit dem russischen Namen Anastasia, die sich | |
Anastacia schreibt und Enasteischa spricht. Der Kurvenfan kann mit solchen | |
Leuten meist nicht besonders viel anfangen. Für ihn sind das wohl eher | |
sogenannte Fans, auch wenn sie ihren neuen Porsche Cayenne mit einem | |
Aufkleber ihres Lieblingsklubs versehen haben mögen. | |
Es ist wirklich nicht einfach mit der Fankultur, die so viele Ausprägungen | |
hat, dass man sich schon wundern muss, wie friedlich es in einem Stadion | |
doch zumeist zugeht. Und auch wenn einem wichtigen Klubkunden schier das | |
Champagnerglas aus der Hand fallen mag, wenn er ein beleidigendes Plakat in | |
der Kurve der in seinen Augen sogenannten Fans erblickt, so wird er doch | |
wissen, dass er auch dann nicht etwas zu befürchten hat, wenn hinter dem | |
Tor „Scheiß Millionarios!“ gerufen wird. Er hat sich vielleicht nie so | |
recht mit den fußballerischen Subkulturen beschäftigt, weiß das Gesinge und | |
Fahnengeschwenke der Ultras aber durchaus zu schätzen. | |
So wie der Ultra dank [3][Uli Hoeneß] wissen wird, dass es die | |
Stehplatzkultur im Stadion auch deshalb gibt, weil der sogenannte Fan im | |
Hospitalitybereich mehr für den Stadionbesuch bezahlt als er. Entscheidend | |
ist eh auf’m Platz – was wiederum eine Frage der Spielkultur ist. | |
7 Mar 2020 | |
## LINKS | |
[1] /Krise-der-Bundesliga-Vereine/!5580679 | |
[2] https://www.tagesspiegel.de/sport/fc-bayern-muenchen-faellt-vom-glauben-ab/… | |
[3] /Uli-Hoeness-zum-Bayern-Abschied/!5151906 | |
## AUTOREN | |
Andreas Rüttenauer | |
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