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# taz.de -- Gerichtsverfahren gegen Antifaschisten: Linker wegen Hitlergruß ve…
> In Fürth soll ein Mann aus Protest gegen die AfD den Hitlergruß gezeigt
> haben. Er bestreitet das, ebenso wie die Polizei. Trotzdem wird er
> verurteilt.
Bild: Ist das jetzt strafbar? Demo gegen AfD
Fürth taz | Tatort Fürther Fußgängerzone, Höhe Blumenstraße. Es ist der 1…
Oktober 2018, ein Tag vor der Landtags- und Bezirkstagswahl in Bayern. Ein
Mann, mittleres Alter, durchschnittliche Statur, wenig Haare nähert sich
dem Wahlkampf-Stand der [1][AfD]. Was dann passiert, dazu gibt es – grob
gesagt – drei Versionen.
Am Mittwoch sind sie Gegenstand einer Berufungsverhandlung am
Oberlandesgericht Nürnberg. Es geht um den Vorwurf des Verwendens von
Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen. Genau gesagt: Darum, ob der
Angeklagte Alexander B. den Hitlergruß gezeigt hat.
Das Skurrile daran: Der Angeklagte ist Kulturmanager und Pädagoge, hat als
solcher unter anderem am Dokumentationszentrum Reichsparteitagsgelände
gearbeitet und sich in verschiedenen Kontexten antifaschistisch engagiert.
Er steht nicht im Verdacht, ein Anhänger der AfD zu sein, ihre Präsenz
provoziert ihn.
[2][„Heilt Höcke!“] mit t, drei Mal, zu diesem Ausruf habe er sich
hinreißen lassen, sagt er selbst. Um, so steht es in der Erklärung, die B.
vor Gericht verliest, seiner Sorge um den Erosionsprozess der Demokratie
Ausdruck zu verleihen und Parallelen zum Nationalsozialismus zu
illustrieren. Nicht die ausgestreckte Hand, sondern die Faust habe er in
die Luft gereckt, die linke noch dazu. Wenn das stimmt, hat sich B. nicht
strafbar gemacht. Seine Begleiterin an dem Tag bestätigt in der Verhandlung
diesen Hergang. Alle anderen Zeugenaussagen weichen davon ab.
## Die AfD spricht von einem „Zivilisationsbruch“
In den Worten der Zeugen aus den Reihen der Fürther AfD klingen die
Vorgänge besonders dramatisch. Kreisvorsitzender Andreas H.: „Ich habe es
als Zivilisationsbruch wahrgenommen.“ Spätestens nachdem ihm auch noch die
Zunge herausgestreckt worden sei, sei ihm klar geworden, dass es sich beim
Angeklagten nicht um einen Anhänger handle.
Wichtiger: H. erinnert sich an die Wortkombination „Heil Höcke“. Daneben
seien weitere, weniger „markante“ Aussagen gefallen, an die er sich nicht
erinnern könne. Wegen des erhobenen Arms habe er sofort Anzeige erstattet.
Die Schilderung seines Parteikollegen Johannes S. gleicht dem
weitestgehend, nur dass S. eben ganz sicher und ganz laut auch „Heil
Hitler“ gehört haben will.
Dann ist da die AfD-Anhängerin Anni B., Rentnerin, sie ordnet den Vorfall
zwar zeitlich falsch zu, Europawahlkampf 2019, ist sich andererseits aber
absolut sicher: Der Angeklagte habe sie, die AfD, als Nazis hinstellen
wollen. Er sei zielgerichtet auf sie zugekommen. Direkt vor ihr habe der er
sich aufgebaut. „Ich sah den Hitlergruß ganz deutlich“, so die Rentnerin.
## Polizei sah es anders
An dieser Stelle wird es interessant. Die fünf Polizist*innen, die den
Wahlkampfstand den Tag über beaufsichtigten, sagen aus, von diesem Gruß
nichts gesehen zu haben: „Das ist ausgeschlossen“, „Definitiv nein“, �…
wäre mir im Gedächtnis geblieben.“
Und auch wenn sich die Aussagen der Polizisten in Details unterscheiden,
gehört haben sie alle exakt denselben verwunderlichen Ausruf: „Heil, Heil“,
Pause, „Sieg“. Kein Hitler, kein Höcke, keine Heilung. Und damit womöglich
auch keine strafbare Handlung.
Spätestens jetzt versteigt sich die Berufungsverhandlung sprachlich in
luftige Konjunktivhöhen. Der Richter: „Wenn der Angeklagte das, was er
gerufen haben soll, so laut gerufen hat, wie von den Zeugen der AfD
angenommen, hätten Sie das dann gehört?“
Die Polizist*innen bejahen dies. Für sie sei in dem Moment zunächst unklar
gewesen, ob eine Strafbarkeit vorliege. Die Beamt*innen nahmen nur die
Personalien, aber keine Zeugenaussagen auf. Verteidiger Brenner: „Das war
katastrophale Polizeiarbeit.“
## Urteil bestätigt
Auf Basis der AfD-Schilderungen hatte das Amtsgericht Fürth Alexander B. im
Oktober zu 70 Tagessätzen à 30 Euro verurteilt. Die Berufungsverhandlung
nimmt zwei Verhandlungstage in Anspruch. Denn: Der vorsitzende Richter des
Oberlandesgerichts Nürnberg bringt die notwendige Geduld auf, um allen
Schilderungen in allen Details noch einmal entsprechend Rechnung zu tragen.
Am Urteilsspruch indes ändert sich dadurch kaum etwas, das Strafmaß bleibt
mit 70 Tagessätzen gleich. Die Kammer könne keinen vernünftigen Zweifel an
den Aussagen der AfD-Vertreter aufbringen. Nur „Heil Höcke“ werde aus der
Strafbarkeit genommen, weil unklar sei, ob das der strafbaren Formulierung
tatsächlich zum Verwechseln ähnlich sei.
Verteidiger Brenner hatte zuvor argumentiert, bei derart uneinheitlichen,
diffusen Aussagen könne niemand mit der notwendigen Sicherheit sagen, was
passiert sei. Und darüber hinaus: Da die Fürther AfD das Verfahren auf der
eigenen Facebookseite genutzt, und Vorsitzender H. sich in einem
Leserkommentar in den Fürther Nachrichten zu Wort gemeldet hatte, sei es
absurd, anzunehmen, es bestünde kein Eigeninteresse auf Seiten der
Parteifunktionär*innen.
Staatsanwältin Silke Weischedel sah durch die Beweisaufnahme hingegen einen
Ablauf inklusive Heil Hitler, Heil Höcke und Hitlergruß als erwiesen an.
Die Mitglieder der AfD seien nicht als Lager mit eigenem Interesse an einer
Verurteilung, sondern als Geschädigte zu betrachten. „Ich habe keinen
Anlass an diesen Aussagen zu zweifeln.“ Die Polizist*innen hätten sich
hingegen sichtlich bemüht, ihre Aufmerksamkeitsdefizite herunterzuspielen.
## „Kein Belastungseifer“
Das Gericht schließt sich dieser Auffassung weitgehend an. Die Aussagen der
Wahlkampf-Zeugen wiesen erhebliche Konstanz auf, gleichzeitig sei ihnen
kein Belastungseifer vorzuwerfen. Die Aussagen aus den Reihen der Polizei
seien die von „Knallzeugen“, die sich dem Geschehen erst in dem Moment
zuwenden, nachdem etwas passiert ist: „Auf diese Aussagen geben wir relativ
wenig“, so der Richter.
Für eine Verurteilung nach Paragraf 86a sei die Gesinnung zunächst
unerheblich, da die Verwendung von Kennzeichen verfassungsfeindlicher
Organisationen durch die Strafbarkeit grundsätzlich eingedämmt werden soll.
Um aus der Sache straffrei herauszugehen, müsste der Protestcharakter für
den neutralen Beobachter offensichtlich sein.
Es ist ein Urteil, das für Tumulte sorgt. Der Angeklagte verlangt, sich zu
Wort melden zu dürfen. Er darf nicht. Im Zuschauersaal gerät seine
Entlastungszeugin mit einem zwirbelbärtigen AfD-Zeugen aneinander.
Natürlich, so der Richter, sei eine Revision möglich. Den Hinweis verbindet
er mit einer Warnung: Es sei nicht auszuschließen, dass die
Staatsanwaltschaft im Zuge dessen Anklage wegen Falschaussage gegen die
Zeugin auf Seiten B.s erheben würde.
20 Feb 2020
## LINKS
[1] /Schwerpunkt-AfD/!t5495296/
[2] /Ist-Bjoern-Hoecke-ein-Faschist/!5662526
## AUTOREN
Andreas Thamm
## TAGS
Hitlergruß
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Antifaschismus
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Alice Weidel
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