# taz.de -- Der Hausbesuch: Der Computer stand beim Bruder | |
> Heute ist Kaja Santro Programmiererin. Um mehr Frauen für ihren Beruf zu | |
> begeistern, gibt sie IT-Workshops. | |
Bild: Studium, Marokko, Hartz IV: Über einige Umwege ist Kaja Santro zum Progr… | |
Eine Männerstimme ist aus der Küche zu hören, spricht über den Weg zum | |
heutigen Beruf als Programmierer. Kaja Santro drückt auf die Pausentaste | |
des Podcasts, denn jetzt ist sie dran mit Erzählen: „Spätzünderin“ sei s… | |
sagt die 32-Jährige und gießt Gewürztee aus einer Kanne | |
Draußen: Der Putz blättert, Trittspuren sind unten an der Tür. In der Ecke | |
eine leere Flasche Sekt. Um die Ecke ein Tätowierladen, ein Billardtisch in | |
einem Schaufenster, und die Tramstation direkt gegenüber. Dreißig Parteien | |
wohnen in dem Haus im Berliner Stadtteil Prenzlauer Berg. | |
Drinnen: Zwei Paar Fußballschuhe sind im Wohnzimmer aufgereiht, ein | |
blau-weißer Fußball liegt vor dem Bücherregal im Flur. Über den Brettern | |
Bücher wie Bennetts „Feminist Fight Club“, Dostojewskis „Schuld und Süh… | |
und „We Should All Be Feminists“ von Chimamanda Ngozi Adichie. „Ich bin e… | |
großer Fan“, sagt Santro dazu. Schräg gegenüber stehen ein Skateboard, ein | |
Wäschekorb, eine Leiter aus Holz mit Farbspritzern. Erst vor zwei Monaten | |
ist Kaja Santro aus einer Vierer-WG in die Wohnung gezogen, allein. | |
Private Logistik: Im Schlafzimmer stehen zwölf Pflanzen im Topf, eine davon | |
ist eine Palme. Die war eigentlich bei jemand anders zu Hause, wuchs dann | |
aber immer weiter. Bei Santro ist Platz, denn die Decke ist hoch. Küche, | |
Bad, Schlafzimmer, Wohnzimmer, Balkon. „Ich habe mir extra eine große | |
Wohnung genommen, weil ich will, dass mein Freund hier mit einziehen kann“, | |
sagt sie. Aber das ist nicht so einfach. | |
Die LAN-Partys der anderen: Morgens um 8 steht Kaja Santro auf, macht alle | |
Fenster auf, duscht, isst Haferflocken, bevor sie sich mit dem Fahrrad zur | |
Arbeit aufmacht. Seit zweieinhalb Jahren arbeitet die 32-Jährige als | |
Softwareentwicklerin. Fest angestellt. Sie hat erst nach dem Studium mit | |
Programmieren angefangen. [1][Und steht dabei für viele Frauen, die spät | |
zur Informatik kommen.] Oder gar nicht erst. Denn ob sie die Informatik | |
interessiere, habe nie als Frage im Raum gestanden. In der Schule hatten | |
die Jungs Computerspiele und LAN-Partys, und bei ihr war von Beginn an im | |
Kopf: „Das machen die, die anders sind als ich.“ | |
Der erste Computer: In ihrer Familie galt sie lange Zeit als diejenige, die | |
nicht mit Technik umgehen kann. „Weil ich einmal ein Handy in einen Kaffee | |
fallen ließ.“ Als ihr Onkel, ein Informatiker, den ersten Computer bei ihr | |
ins Elternhaus brachte, wurde der ganz selbstverständlich ins Zimmer ihres | |
jüngeren Bruders gestellt. Ihm wurde alles erklärt, sie sei gar nicht erst | |
gefragt worden. Obwohl ihr Bruder „null Interesse an Mathe hatte“, sie aber | |
total. Natürlich habe das ihre Familie nicht mit Absicht gemacht, „das war | |
alles unterbewusst“. Und genau das sei auch das Problem. | |
Philosophie, logisch: Nach der Schule hat sie Philosophie und historische | |
Linguistik studiert. Besonders interessiert hat sie die formale Logik. | |
Irgendwann meinten Bekannte da zu ihr: „Das ist gar nicht so anders als | |
Programmieren, vielleicht macht dir das auch Spaß.“ Zu dem Zeitpunkt habe | |
sie nicht einmal gewusst, was HTML ist, sagt sie heute. Denn aus einer | |
diffusen Angst heraus, einer Angst, dass sie das gar nicht könne, habe sie | |
Technik und Computer nie gemocht. | |
Das marokkanische Hostel: Gegen Ende ihres Bachelorstudiums ist sie zum | |
Surfen nach Marokko. Sie hat sich ein Hostel gebucht, aus den Ferien | |
entstand eine mittlerweile sechsjährige Freundschaft mit dem Besitzer. Der | |
wollte eine Website für sein Hostel machen, hat jemanden damit beauftragt. | |
Dann war irgendwann das dafür vorgesehene Budget verbraucht, aber die | |
Website nur halb fertig. Da meinte er zu ihr: „Du bist doch so schlau, mach | |
du das doch.“ | |
Und ja, sie macht es: Der Programmierer, der eigentlich dafür zuständig | |
war, habe ihr dann eine kleine Einweisung gegeben. Sie hat daran | |
weitergebaut. Zurück in Berlin, hat sie sich die Nächte um die Ohren | |
geschlagen, hat das Schlafen vergessen – über Fragen wie beispielsweise | |
danach, wie sie es hinbekommen kann, dass die Website des Hostels bei | |
Suchanfragen weit oben auftaucht. „Weil das ist ja eigentlich das | |
Wichtigste daran“, habe sie damals gedacht. | |
Im Tunnel: Verändert habe sie sich durch ihren ersten Programmierworkshop. | |
„Die beste Erfahrung meines Lebens“, sagt sie. Das war bei den „Rails Gir… | |
Berlin“, die sich mittlerweile in „Code Curious“ umbenannt haben. Sie | |
wollen mehr Frauen in die Informatik bringen, [2][und bieten ihnen deshalb | |
kostenlose Programmierworkshops an.] | |
Fehler: „Am Anfang machst du ganz viele Fehler, und das musst du auch“ – | |
niemand könne von Anfang an richtig gut programmieren. Fehler machen, um | |
daraus zu lernen, weiterzukommen. „Wir googeln alle in diesem Job“, habe | |
man ihr gesagt – heute sagt sie das anderen. Denn es gebe immer viele | |
Probleme, deren Lösung man erst recherchieren muss, die man nicht einfach | |
wissen kann. Jetzt ist das ihr Beruf: Jeden Tag acht Stunden bringt sie | |
sich in „ihren Tunnel“, um etwas zu lösen, etwas zum Funktionieren zu | |
bringen, was gerade noch nicht funktioniert. | |
Den Computer anmachen: Mittlerweile organisiert sie selbst, gemeinsam mit | |
fünf anderen Ehrenamtlichen, diese Workshops, „weil mir das selbst so viel | |
gebracht hat und ich anderen diese Erfahrung auch ermöglichen will“. Die | |
liebste Zielgruppe sind: „diejenigen, die den An- und Ausknopf ihres | |
Computers kennen, aber eigentlich auch nicht viel mehr“, sagt Santro. Und | |
jedes Mal wiederhole, erneuere sich das bestärkende Gefühl, das sie aus | |
ihrem ersten Workshop kenne. | |
Linda: In der Coding-Community war dann eine, die eigentlich denselben Weg | |
gegangen ist wie Santro, nur sie selbst immer ein bisschen hinterher. | |
Linda, habe ihr oft wichtige Hinweise gegeben. Zum Beispiel das Buch | |
„Feminist Fight Club“ empfohlen, für ein selbstbewussteres, forderndes | |
Auftreten in Gehaltsverhandlungen, als Santro ihr sagte, wie viel (oder | |
wenig) sie verdient. Sie habe sie so mitgezogen, hochgezogen, sagt Santro | |
über sie. Oft war dann ihr Motto: „Wenn Linda das schafft, dann schaffe ich | |
das auch.“ | |
Über Wasser halten: Jetzt ist sie die einzige Frau im Team, aber „die | |
Männer stärken mir den Rücken“. Auf dem Weg ins Büro sieht sie jeden Tag | |
das Café, wo sie während des Studiums als Kellnerin gearbeitet hat. | |
Zahlreiche Jobs hatte sie in dieser Zeit – sie hat als Barista gearbeitet, | |
noch vor dem Mindestlohn für 6,50 Euro die Stunde, oder im Callcenter, als | |
Nachhilfelehrerin, als Lehrerin für Deutsch als Fremdsprache. Während des | |
Studiums waren da immer nur die Probleme: die Miete zahlen können, genug | |
Geld für Essen haben. Als sie nach dem Studium Hartz IV beantragte, sei ihr | |
von allen suggeriert worden, dass das etwas sei, wofür man sich schämen | |
müsse. Das habe sie überrascht. „Denn eigentlich schäme ich mich für | |
nichts“, sagt sie, „oder fast nichts.“ | |
Anfeindungen: Sie hat immer in Berlin gelebt. Ihr Vater kommt aus Kroatien. | |
„Das ist Teil meiner Identität“, sagt sie. Rassismus in Deutschland | |
beschäftigt sie. Umso mehr nun, da sie und ihr Freund dafür kämpfen, dass | |
er nach Deutschland, nach Berlin, zu ihr ziehen kann. Aber er bekommt kein | |
Visum. Und dann macht sie sich Gedanken, wie das für ihn wäre, hier und | |
jetzt zu leben, vielleicht auf der Straße angefeindet zu werden. Das macht | |
ihr Angst. „Denn das wäre schon eine schlimme Erfahrung für ihn, die er so | |
noch gar nicht kennt.“ Bis jetzt wohnt sie allein in ihrer großen Wohnung. | |
27 Feb 2020 | |
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## AUTOREN | |
Lisa Becke | |
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