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# taz.de -- Mit dem Elektromotor in den Alpen: Die Formel 1 der Bergradler
> Stau und zähfließender Verkehr zwischen Watzmannhütte und Gipfelkreuz:
> Elektrisch verstärkte Mountainbikes erobern die Alpen.
Bild: Interessenkonflikt zwischen E-Biker und Wanderer
Dass eine Verkehrswende nötig ist, hat sich inzwischen auch im
Scheuer-Ministerium herumgesprochen, auch wenn man dort den Eindruck zu
vermeiden versucht, dass damit die Freiheit der Autofahrer beschränkt
werden könnte. Dieser Eindruck wäre aber nötig: Eine Verkehrswende, die
diesen Namen verdient, wird auch auf Kosten derer gehen müssen, die ihre
Umwelt mit motorisierten Privatfahrzeugen behelligen.
Umso grotesker ist die diametral entgegengesetzte Entwicklung, die sich im
Moment dort vollzieht, wo überhaupt noch nie Motoren zugelassen waren und
von Verkehrsproblemen gar keine Rede sein konnte: im alpinen Gelände. Dort
also, wo man sich bisher nur mit der Langsamkeit des Fußgängers bewegen
konnte, oder – im Winter – auf Skiern. Worum es geht? Um die
[1][Mountainbiker, die immer zahlreicher und immer weiter ins Gebirge
vordringen.]
Die Zeiten, da sich vereinzelte Pedaltreter die Hänge hinaufquälten, sind
nämlich vorbei. Inzwischen ist mehr als jedes zweite in Deutschland
verkaufte MTB ein Pedelec. Das heißt, es ist mit einem Elektromotor
ausgestattet, der sich beim Treten zuschaltet und so ungeahnte
Möglichkeiten eröffnet.
Mit den Produktionszahlen ist auch das Leistungsvermögen der Aggregate
signifikant angestiegen. Bei vielen Modellen liegt es inzwischen bei einer
Spitzenleistung von 600 Watt, ohne dass es dafür irgendeines Tunings
bedürfte.
Dass nach EU-Recht eigentlich nur Geräte bis 250 Watt Nennleistung als
Pedelecs anerkannt sind, scheint niemanden zu stören – weder den deutschen
Gesetzgeber noch die Ordnungsämter und schon gar nicht die Industrie, die
munter weiter produziert und Zweirad-Boliden auf den Markt wirft, die die
E-Bikes der ersten Generation als Kinderspielzeuge erscheinen lassen.
## Mit Hightech die Berge rauf
Mit solchen Hightech-Geräten fliegen die Radler jetzt geradezu die Hänge
hinauf, dreimal schneller als ohne Unterstützung, begrenzt einzig durch die
Tatsache, dass die auf Anschlag gefahrenen Motoren nach rund einer halben
Stunde automatisch ihre Leistung drosseln, um Überhitzungsschäden zu
vermeiden.
Die Zahl derer, die in die Formel 1 der Bergradler überwechseln, steigt im
Moment auch deshalb so explosiv an, weil die Zweiradindustrie es geschafft
hat, das E-Bike vom Negativimage zu befreien, eine Mobilitätsprothese für
die Großelterngeneration zu sein.
So konnten Trenddesigner wie die von „Bosch ebike systems“ eine ganz neue
(Motor-)Sportart und Erlebnisdimension ausrufen: Das „Uphillen“ und den
„Uphill-Flow“. Passend dazu wurden hie und da sogar schon Steilwandkurven
ins Gelände gefräst, damit die Outdoorsportler auch beim Aufwärtsfahren die
Fliehkräfte genießen können. Im Sattel eines „Enduro“-Modells kann man
steilste Anstiege, Sprünge über Hindernisse und das Überfahren von Absätzen
und Stufen bewältigen. Wer bisher in einer Stunde vierhundert Höhenmeter
schaffte, schafft nun tausend Meter und mehr, ohne sich das T-Shirt
durchzuschwitzen.
Auf der Kitzbühler Webseite ist von „Genussbikern mit dem Erlebnis
Gipfelsieg“ die Rede, ein Veranstalter im Schweizer Val Müstair lockt mit
den Worten „Schneller, weiter, höher hinaus... Muskelkraft ist gut – mit
Batteriekraft geht’s jedoch besser“. Auf allen Fotos seiner Webseite sind
die Radler auf schmalsten Bergwegen unterwegs.
Und das, obwohl nach § 43 des eidgenössischen Straßenverkehrsgesetzes
„Wege, die sich für den Verkehr mit Motorfahrzeugen oder Fahrrädern nicht
eignen oder offensichtlich nicht dafür bestimmt sind, mit solchen
Fahrzeugen auch nicht befahren werden [dürfen]“.
Für die Naturräume der Alpen hat dies handfeste Konsequenzen. Sie verlieren
den Charakter als Schutzraum vor der technischen Zivilisation, die ihre
Karriere begründet hat. Bis vor Kurzem fand die rollende Fortbewegung ihre
natürliche Grenze noch dort, wo das Gelände so unwegsam wurde, dass
Mountainbiker hauptsächlich im Schiebe- und Tragemodus unterwegs waren.
## Den Wanderfreunden hinterher
Jenseits dieser Grenze konnte man eben nur noch tun, wofür uns die Natur
bestens ausgestattet hat – zu Fuß gehen. Mit den auch noch mit einer
Schiebehilfe ausgestatteten Spezialfahrzeugen folgt die Motorenwelt dem
Wanderer nun auch dorthin, wo er bislang vor ihr sicher war – bis hinauf zu
den Gipfelkreuzen (wo die Outdoor-Magazine und die Werbevideos die
hochalpinen Genussradler besonders gerne zeigen).
In der Fremdenverkehrsbranche wird die ausgebrochene Materialschlacht
natürlich begrüßt: erreicht man damit doch eine ganz neue Zielgruppe –
weniger trainierte Zeitgenossen, die eben noch anderswo in die Pedale
traten, weil sie die alpine Topografie abgeschreckt hatte. Dass man dieser
Gästeschicht den Weg frei machen möchte, ist nicht verwunderlich.
Irgendwie müssen die Einnahmerückgänge des Wintersportgeschäfts ja
kompensiert werden. Nicht nur lässt sich die Zahl der Skifahrer schon seit
Jahren nicht mehr steigern, aufgrund des Klimawandels fallen auch viel
höhere Kosten an, um die Hänge in weiße Wedelpisten zu verwandeln. Als
Rettungsanker erscheinen nun die Bergradler, die sich zum Genussradeln und
Downhillen auch mal gerne mit der Seilbahn hinaufschaffen lassen.
Deshalb werden die Probleme auch kleingeredet, vor allem die Konflikte mit
den Wanderern, die in vielen Alpengegenden gerade außer Kontrolle zu
geraten beginnen. Fast überall belässt man es bei Appellen zur
gegenseitigen Rücksichtnahme. Man müsse sich einfach nur ein bisschen in
Toleranz üben, sich in die anderen Wegenutzer reinzuversetzen lernen – und
schon herrsche wieder Frieden!
## Asymmetrische Begegnungen
Dass sich die Probleme auf diese Weise lösen lassen, ist reine
Selbstbeschwörung. Die Asymmetrie zwischen den Nutzergruppen ist ja allzu
offensichtlich. Während der Wanderer weder Helm noch Schutzkleidung trägt,
ist der sicherheitstechnisch aufgerüstete und durch Helm und Brille
anonymisierte Mountainbiker mit weit größerer physikalischer Energie
unterwegs und kann seiner Umwelt auf diese Weise regelrecht gefährlich
werden.
Dazu kommt, dass hier zwei grundverschiedene Erlebniswelten
aufeinanderprallen, die sich gegenseitig ausschließen. Fern davon ein
sportliches Grenzerlebnis zu suchen, wollen die meisten Wanderer heute mit
offenen Sinnen in die Landschaft eintauchen, in eine Beziehung mit der
Natur treten, in der diese mehr ist als ein zu überwindender Widerstand.
Die älteste und natürlichste aller Fortbewegungsarten praktizierend,
braucht man auch keine gesteigerte Aufmerksamkeit für seinen Raumgewinn und
genießt den selbstläufigen Prozess des Schrittwechselns, bei dem, wie man
zu sagen pflegt, der Weg das Ziel ist.
Wird jemand, der sich dem Rhythmus seiner Gehwerkzeuge überantwortet hat,
in kürzerer Zeit zwei oder drei Mal von schnell von hinten kommenden
Radlern aufgeschreckt, so findet er kaum noch zu seiner vorherigen mentalen
Windstille zurück. Immer wieder ertappt er sich nun dabei, sich beim
kleinsten nicht eindeutig lokalisierbaren Geräusch nervös umzudrehen. Statt
mit allen Sinnen da und offen zu sein, verbraucht er einen Teil seiner
sensorischen Energie dafür, sich auf die nächste böse Überraschung
vorzubereiten, die sich von hinten nähert. Die innere Ruhe ist dann dahin,
das spezifische In-der-Welt-Sein des Wanderers ausgehebelt.
Das Erlebniskostüm des Mountainbikers ist da wesentlich robuster – nicht
weil dieser einem anderen Persönlichkeitstypus angehören würde, sondern
weil er sich im Sattel sitzend einer speziellen Mobilitätslogik unterwerfen
muss. Spätestens wenn er die planierten Forstwege verlässt, befindet er
sich in einem Kampf mit den Widerständen einer Bergnatur, die für die
rollende Fortbewegung denkbar ungeeignet ist – und ein hohes Sturzrisiko
birgt.
So muss er sich in jedem Moment konzentrieren, muss aufpassen, dass er den
bergseitigen Felsen und dem talseitigen Abgrund nicht zu nahe kommt, und
muss auch das Auftauchen anderer Hindernisse einkalkulieren –
entgegenkommende Kollegen oder Tiere und Fußgänger, die sich vor ihm auf
dem Weg befinden. Solche Widerstände zu meistern ist integraler Bestandteil
seiner Outdoor-Aktivität.
Angesichts dieser so unterschiedlichen Erlebnis- und Wahrnehmungshorizonte
kann man sich nur schwer der Einsicht verschließen, dass die Folgen des
Aufeinandertreffens für den Fußgänger gravierender sind als für den
Mountainbiker.
## Im Adrenalinrausch
Während Ersterer durch die Begegnung aus seinem Wahrnehmungsmodus
herauskatapultiert wird, erfährt Letzterer eine Störung, die sogleich
wieder vergessen ist, weil mit der nächsten Kurve oder Bodenunebenheit
sofort wieder eine neue Challenge auf ihn wartet. Auf kleinformatigen
Bergwegen bleibt man als Radler im Auseinandersetzungs- und
Anspannungsmodus, den der Wanderer gerade meidet – für die Entspannung
bleiben die Stunden danach, im Wellnessbereich eines Viersternehotels etwa
oder abends auf der Couch. Adrenalin ist sein Lebens- und Überlebenselixir,
im Gegensatz zum alpinen Fußgänger, der nichts weniger sucht und braucht
als dieses oder ein anderes Stresshormon.
Niemand wird daraus schließen, dass die eine Nutzungsform legitim ist und
die andere nicht. Beides sind Weisen, sich mit sich selbst und der Natur
auseinanderzusetzen, wenn auch sehr verschiedene. Sicher ist allerdings
eines: Übersteigt die Zahl der Mountainbiker eine nicht näher zu
bestimmende Grenze, so führt das zu einseitigen Verdrängungseffekten, die
in der Schweiz, in Südtirol und im restlichen Norditalien bereits
offensichtlich geworden sind. Egal, ob sich die Radler rücksichtsvoll
verhalten oder nicht.
Die Entwicklung wäre weniger bedenklich, wenn der Freizeitgeher in andere
Gebiete ausweichen könnte. Aufgrund ihrer rauen Topografie gehören die
Alpen aber längst zu den letzten Refugien der stillen Erholung, zu den
wenigen noch verbliebenen Biotopen der gerätefreien Mobilität. Dieses
Kapital wird nun durch die Omnipräsenz technisch hochgerüsteter
Rollsportler infrage gestellt.
Was tun? Das Radfahren auf klassischen Gebirgswegen ganz verbieten, sagen
die einen, Wanderwege und Trails klar voneinander trennen, die anderen.
Letzteres wird auch deshalb gefordert, weil die Radfahrer das Wegenetz
zerstören, indem sie Spurrillen in die Oberfläche fräsen, die das Begehen
erschweren und die Erosion befördern.
Für Axel Doering vom BUND Naturschutz Bayern hat der Konflikt mit dem
[2][E-Bike-Boom] noch mal an Schärfe gewonnen. Die Unterschiede zwischen
befahrbaren und unbefahrbaren Räumen würden in einer niemals dagewesenen
Form nivelliert – man könne nun überall mit Fahrzeugen unterwegs sein,
Tempo machen und der Gebirgslandschaft die ihr eigene Aura der
Entschleunigung nehmen. Doering, der zugleich Präsident der
Alpenschutzorganisation CIPRA Deutschland ist, spricht deshalb von einer
„neuen Dimension der Motorisierung der alpinen Landschaft“. Was bisher im
Winter durch die Seilbahnen ermöglicht worden sei, werde durch das E-Bike
flächendeckend: „Nach den räumlich noch begrenzten Eingriffen für
Skigebiete und Funparks folgt jetzt die kapillare Erschließung der Alpen,
von der kein Fleck mehr verschont bleibt. “
Gerechtfertigt wird das neue Moto-Cross gerne mit seiner vermeintlichen
Umweltfreundlichkeit – immerhin knattern keine Verbrennungsmotoren und
wehen keine Abgasfahnen über die Hänge. Tatsächlich ist die Nutzung eines
E-Bikes aber nur umweltfreundlich, wenn dies eine Autofahrt ersetzt. Und
wenn man den Stromverbrauch und die katastrophale Umweltbilanz der
Batterietechnik vergisst.
Der Einzelne kann jetzt auch dort, wo Muskelkraft die einzige Antriebsart
war, Energie verschwenden und seinen Beitrag dazu leisten, dass bald noch
der letzte alpine Wildfluss zur Wasserkraftnutzung verrohrt und weitere
zweihundert Meter hohe Windkraftanlagen in die Landschaft gestellt werden.
Schließlich muss man abends nicht nur die Smartphones, GPS-Geräte und
Helmkameras aufladen, sondern auch die leergefahrenen Akkus. Und das alles
in Zeiten des Klimawandels und im Namen des sanften Tourismus!
Besonders erstaunlich ist die abwartende Haltung des als Naturschutzverband
anerkannten Deutschen Alpenvereins. Schließlich droht seiner Klientel der
Verlust ihres angestammtes Terrains. Was ihn zögern lässt, ist die
Einschätzung, dass es sich beim Mountainbiken um einen Natursport handele,
der über allen Zweifel erhaben sei, weil er eine Fortbewegung mit eigener
Körperkraft darstelle.
## Seltsame Unterscheidung
Ein Argument, dem zu folgen es eine gehörige Portion Realitätsverlust
braucht. Wer einmal auf einem E-Bike gesessen und in den Turbo-Modus
gewechselt hat, weiß nämlich sehr genau, dass das mit Eigenleistung nicht
mehr viel zu tun hat. Umso seltsamer, dass der DAV auf die Unterscheidung
von Pedelecs und E-Bikes größten Wert legt und Letztere demonstrativ
ablehnt. Fahrräder, die ganz ohne Treten fahren, spielen im Gebirge nämlich
nicht die geringste Rolle. Man will sich ja bewegen, es soll nur nicht
anstrengender sein als im Flachland. Im falschen Stolz auf den kleinen Rest
von Eigenleistung wird ausgeblendet, dass man als E-Biker Motorsport
betreibt und damit in eine Fahrzeugkategorie wechselt, die im alpinen
Gelände nichts zu suchen hat. Immerhin hat der DAV auf seiner jüngsten
Hauptversammlung die Grundlage für einen Kurswechsel gelegt.
Er wirft die klassischen Mountainbikes und Pedelecs nicht mehr in einen
Topf und hat eine Arbeitsgruppe eingerichtet. Zudem wurden die Hüttenwarte
angewiesen, keine Ladestationen aufzustellen – eine Vorgabe, die inzwischen
aber wieder verwässert wurde: die Rede ist jetzt nur noch von
„individuellen Entscheidungen der Sektionen“, als ob die langfristige
Durchsetzung der Stromtankstellen damit nicht vorprogrammiert wäre.
Dass der größte denkbare Eingriff in die vielbeschworene Freiheit der Berge
droht, scheint inzwischen auch die oberbayerische CSU bemerkt zu haben.
Laut Beschluss des letzten Bezirksparteitags will man vor allem die
„Erholung durch Entschleunigung“ fördern und deshalb „Sperrzonen“
einrichten, in denen jegliches Radfahren verboten ist.
Versäumen es die politischen Entscheidungsträger, gesetzliche Regelungen
folgen zu lassen, so werden sich in wenigen Jahren alle nicht auf felsigem
Untergrund verlaufenden Wanderwege in Fahrrinnen verwandelt haben, in denen
bei Regen das Wasser zu Tal fließt – Wege, die der Alpenverein in den
letzten 150 Jahren sorgsam gepflegt hatte, damit Menschen nicht nur der
äußeren, sondern auch der inneren Natur auf die ursprünglichste Weise
näherkommen können. Zu Fuß nämlich.
21 Feb 2020
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## AUTOREN
Gerhard Fitzthum
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