# taz.de -- Hamburger Küche: Aal kann – muss aber nicht | |
> Es gibt gute Gründe dafür, nach Hamburg zu kommen, aber das Essen ist | |
> eher keiner. Oder doch? Erkundungen zwischen Franz- und Fischbrötchen. | |
Bild: Machen vor allem Hamburger Gäste satt: Fischbrötchen | |
Dafür, dass Norddeutsche angeblich wortkarg sind, debattieren sie | |
überraschend gerne. Über Franzbrötchen beispielsweise. Wie teigig darf es | |
sein, wie knusprig muss es sein, wie viel Zimt ist schon zu viel, und wie | |
sehr muss es kleben vor Zucker? Schließlich: Braucht es all die | |
neumodischen Varianten, Kürbis- und Sonnenblumenkern, Streusel, Milchreis, | |
Toffeebröckchen? Dazu hat in Hamburg jede*r eine Meinung. | |
Das Franzbrötchen gilt als kulinarisches Highlight der Stadt. Ob allerdings | |
wirklich irgendwer irgendwo sonst die Hamburger*innen darum beneidet, wie | |
es die Tourismuswerbung behauptet? Nicht mal ein richtiges Brötchen ist so | |
ein „Franz“, eher eine platte Blätterteigschnecke – angeblich ein unter | |
napoleonischer Besatzung fehlgeschlagener Croissantversuch. Beim Spinnen | |
solcher Legenden sind die Hamburger*innen ziemlich kreativ: Entstand hier | |
nicht auch die Ochenschwanzsuppe, die heute, post BSE, nur noch selten | |
wirklich eine ist? Die einen sagen so, die anderen so. | |
Es gibt gute Gründe dafür, nach Hamburg zu kommen, aber das Essen ist eher | |
keiner. Oder? Dass es ein kulinarisches Süd-Nord-Gefälle gibt, ist nicht | |
von der Hand zu weisen, und dass Hamburg verdammt weit weg von, sagen wir, | |
Italien liegt, ebenfalls. Und überhaupt: dieses Protestantische, diese | |
nüchterne Tradition … Was versteht man im Norden schon vom Genießen? | |
Aber genauer besehen sind sie in Hamburg ja Lutheraner*innen, und Luther | |
war das Leibliche so fern nun wieder nicht. Und vor allem gefallen sich die | |
Leude hier als Pragmatiker*innen, die allzu viel Prinzipientreue gerne | |
anderen überlassen. | |
## Bohnen, Backobst und Schweinefleisch | |
Nehmen wir die Aalsuppe, die ebenfalls als typisch hamburgisch gilt: Wird | |
wohl eine Suppe mit Aal sein, oder? Hamburg liegt ja auch an einem Fluss, | |
und keinem ganz kleinen. Laut Thomas Sampl – Koch und Buchautor und, nun | |
ja, eigentlich Ostwestfale – steht der Fisch durchaus im ältesten | |
überlieferten Rezept, so wie Wurzelgemüse, Bohnen, Backobst und | |
Schweinefleisch. Laut Stevan Paul – Foodstylist und -journalist und | |
eigentlich Oberschwabe – ist der Fisch aber keinesfalls fixer Bestandteil | |
der Suppe. Aal kann, muss aber nicht, quasi. | |
Viel wichtiger: ein ordentlicher Schinkenknochen und „Aalkraut“, bei dem | |
aber auch wieder Unklarheiten herrschen. Ist das nun ein bestimmtes | |
Gewächs, das den Fisch besonders gut begleitet? Oder eine Mischung von | |
fünf, sechs Kräutern, also eine Hamburger Entsprechung zum Grünzeug-Kanon | |
der Frankfurter „Grie Soß“, der Grünen Soße? | |
Eintöpfe und Suppen nehmen überhaupt recht viel Raum ein in den örtlichen | |
Kochbüchern, und das hat materielle Gründe: Eine eigene Küche war früher | |
für die Bewohner*innen der teils sehr engen, „Gänge“ genannten | |
innerstädtischen Gassen ein Luxus. Was sie hatten, war ein (Holz-)Ofen auf | |
der Diele. Fürs Kochen wurde der nicht eigens angefeuert, aber warmhalten, | |
wenn man ohnehin heizt, das ging. | |
Wer von typisch Hamburger Küche spricht, spricht überhaupt fast immer vom | |
Essen armer Leute. Das zudem kaum sauber zu trennen ist von dem des | |
Umlands. Viel Fisch gab es – als der Lachs hier noch in Flüssen und Fleeten | |
schwamm, war auch der etwas, an dem sich einfache Leute labten. Dazu Äpfel | |
und Kirschen aus dem Alten Land, Erbsen, Möhren, Spargel, verschiedene | |
Kohlsorten und was Äcker und Weiden noch hergaben. Von denen gab es, bis | |
Hafen und Industrie Platz brauchten, in Hamburg gar nicht mal wenige. | |
## Klöße, Klopse und Büddel | |
So galt etwa die Elbinsel, wo heute die backsteingeprägten Stadtteile | |
Veddel und Wilhelmsburg liegen, lange als „Milchinsel“. Und ehe die | |
Kartoffel sich durchsetzte, kochten und aßen sie hier auch viele Klöße und | |
Klopse und „Büddel“, also im Küchentuch dampfgegarte Mehlspeisen, dem | |
englischen Pudding verwandt. | |
Noch mal zurück zur Aalsuppe. Eine andere sich bis heute haltende Erzählung | |
ist, dass der Name sich statt vom Fisch einfach vom Plattdeutschen | |
herleitet. „Aalns bin“, alles rein, kam demnach, was am Tag zuvor übrig | |
geblieben war: allerbeste Resteverwertung und ein herrlicher Eintopf, nicht | |
nur für die hier so häufigen grauen Tage. Der Aal selbst wurde demnach Teil | |
der Tradition, weil Besucher*innen der Stadt immer wieder danach | |
verlangten. | |
Dieselbe Diskussion lässt sich führen über die Frage, ob zum Labskaus ein | |
Rollmops gehört. An Fisch mangelte es den Seeleuten, die traditionell mit | |
der so leckeren wie unansehnlichen Matschepampe aus Rindfleisch und | |
Kartoffel und Roter Bete verpflegt wurden, ja gerade nicht. Ob es also die | |
Erwartung des küstenfernen Publikums war, dass da Fisch reinmuss? | |
Denn dass die Hamburger*innen dem Fremdenverkehr und seinen Erfordernissen | |
ganz hanseatisch-pragmatisch-prinzipienlos ziemlich vieles unterordnen, das | |
ist unbestreitbar. Und das glaubt spätestens, wer sieht, wie sie hier | |
barkassenweise Musicalpublikum von den Landungsbrücken auf die andere | |
Elbseite verschiffen. Überhaupt die Landungsbrücken: Nicht nur, dass hier | |
besonders viele der zu erwartenden Fischbrötchenhöker herumstehen, um | |
Tourist*innenhunger lukrativ zu lindern – gleich um die Ecke beginnt auch | |
das „Portugiesenviertel“. | |
## Galão, Natas und Krebsfleischbällchen | |
Beziehungen zur kleinen Seefahrer*innen-Nation hat Hamburg seit über 400 | |
Jahren, ab 1590 ließen sich etwa auch sephardische Jüd*innen an der Elbe | |
nieder. Dass heute rund 10.000 Portugies*innen hier leben, hat aber weniger | |
zu tun mit besonders frei machender Hansestadtluft, dafür viel mit den | |
„Gastarbeitern“, die in den 1960er Jahren kamen (und zuletzt wohl mit der | |
sehr unterschiedlichen wirtschaftlichen Lage im Euroraum). | |
So mag Hamburg weit weg sein vom europäischen Süden – auf ihren Galão, also | |
die portugiesische Version des italienischen caffè e latte, sind die Leute | |
hier aber mindestens so stolz wie einst aufs Astra-Pils. Und wer neu in die | |
Stadt kommt, muss denken, vanillepudding- oder grießgefüllte Natas, | |
Krebsfleischbällchen und das bestens zum Katerfrühstück taugende scharfe | |
Schnitzelbrötchen seien urhamburgische Spezialitäten. So oft und gut wie | |
hier gibt es all das angeblich nur in Portugal selbst. | |
Dass aber ein Ausflug an die Elbe den an die Algarve ersetze, das würde | |
wiederum niemand ernsthaft behaupten. Na gut: die Hamburger | |
Tourismuswerbung, die vielleicht doch. | |
23 Feb 2020 | |
## AUTOREN | |
Alexander Diehl | |
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