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# taz.de -- Queens-Club für heterasexuelle Frauen: Erotik ohne Patriarchat
> Für drei Wochen eröffnet auf Hamburg-St. Pauli ein Kunst-Club mit
> Performern, die sich den weiblichen Besucher*innen persönlich widmen.
Bild: Raum für Heterasexualität: Queens-“Pimp“ Sibylle Peters und einer d…
Hamburg taz | Ins „Queens“, den „Heteraclub“, der für drei Wochen den
„Angelclub“ am Hamburger Fischmarkt besetzt, kommt man nicht ohne Ritual.
Eidglas Xavier, ein lockiger Mann in Strumpfhose und goldenem Jackett,
führt kurz in die Regeln im Clubraum hinter dem Perlenvorhang ein: Keine
Grenzüberschreitung und keine männlichen Gäste. „Hier ist nur ein Ort für
euch, das ist sicher: Nur Queens haben Einlass. Transgender willkommen.
Geschlechter wechseln.“ Darunter Hinweise wie: „No Penis Penetration“ ode…
„Zungenküsse sind rein privat“.
Eidglas übergibt die kleine Liste, von der er einige Punkte vorgelesen hat.
Hinter dem Vorhang wird man also zur Queen. Eine Symbolik, die markieren
soll, dass man sich hier keinen männlichen Wünschen fügen muss, manche
Queens setzen Goldkronen auf, die sie von Eidglas bekommen haben. Neue
Queens werden mit Applaus begrüßt.
Der Heteraclub ist gelb und rot beleuchtet, es ist wahnsinnig warm und
riecht leicht nach Schweiß und Parfum. Auf einer Art Futon sitzt ein Mann
und spielt auf einem Hang, einem Blechklanginstrument, das wie eine
Wokpfanne mit Deckel aussieht und beim Schlagen dunkle Melodien erzeugt. Zu
diesen Tönen trainieren oberkörperfreie Männer und eine Frau auf Yogamatten
ihre Bauchmuskeln.
Die Frau heißt Sibylle Peters und steht hinter dem Konzept des Heteraclubs.
Sie hat kurze Haare und trägt eine schwarze Leggins, darüber eine rote
Unterhose, obenrum ein tief ausgeschnittenes schwarzes Top und einen roten
BH. Um den Hals eine dicke Goldkette mit den Buchstaben „Pimp“, dem
englischen Begriff für Zuhälter. „Das ist meine Selbstbezeichnung hier im
Club“, sagt sie. „Was immer die Queens von den Performern wollen, klären
sie erst mit mir. Ich teile sie dann entsprechend zu für
Eins-und-Eins-Performances im Separée. Von daher bin ich hier vielleicht
wirklich so etwas wie ein Zuhälter“, sagt sie und grinst.
„Ich lebe seit 25 Jahren auf Sankt Pauli und hatte langsam die Schnauze
voll“, sagt sie. Vom Rotlichtviertel, das komplett auf hetero-männliche
Begierde abgestimmt sei. „Die Annahme, dass Heterosexualität etwas
Gleichberechtigtes sein soll, ist einfach falsch“, sagt sie. „Wir Frauen
performen nur in heterosexuellen Szenarien und sollen Reize setzen. Single
zu sein, bedeutet Druck. Stimmt mein Gewicht, meine Körperbehaarung, mein
Alter? Es geht kaum um die Lust der Frau, die Heterasexualität.“
So hat die Performance-Künstlerin einen Raum geschaffen, der es sich zur
Aufgabe macht, das Patriarchat für ein paar Stunden auszuhebeln, drei
Wochen lang von Donnerstag bis Samstag, bis zum 23. Februar. Das Queens
ist eine Koproduktion mit [1][Kampnagel], der Elbkulturfonds fördert das
Projekt. 20 Euro kostet der Eintritt, ermäßigt neun. Mit im Preis ist eine
Eins-und-eins-Performance von einer halben Stunde.
Der Abend beginnt aber in der Lounge. Dort hat Charlotte, Sibylles
„Co-Pimp“ in einem goldenen Negligé, sich gerade ein Mikrofon geschnappt.
„Wir spielen jetzt Entweder-Oder“, sagt sie zu den Performern und den fünf
Queens, die sich mittlerweile eingefunden haben. Sie macht elektronische
Musik an und tanzt auf der Stelle. „Sanft“, sagt sie und zeigt rechts neben
sich auf eine kleine Bühne „oder heftig“. Sie deutet nach links. „Oben o…
unten“, sagt Charlotte. Bei „Dirty Talk oder Mund halten“ lächelt sie.
„Habt ihr vielleicht ein paar Beispiele für mich?“, fragt sie und hält das
Mikro in die Runde. Die meisten ducken sich weg.
Es folgen Wahrheitsspiele, wo die Queens einander Geschichten aus ihrem
Leben erzählen können. Es geht nicht nur um Sex, sondern auch um
Herzschmerz und Einsamkeit. Auch für Emotionen ist Platz. „Queens
unterstützen sich gegenseitig“, sagt Sibylle,. „Es ist in Ordnung,
verwundbar zu sein.“ Dann ruft sie alle Queens zu einem Sitzkreis auf dem
Futon zusammen. Es geht um die Einzelperformances.
Sibylle deutet auf die Performer, die noch arbeitslos an der Bar sitzen und
quatschen und erklärt die Schwerpunkte der jeweiligen Darbietung. Die
variieren von einer Feuerperformance mit Wachs bis hin zu einer
Aggressionsveranstaltung, in der ein Mann im Ganzkörperschutz den Queens
anbietet, an ihm Rache zu üben für alles, was Männer ihnen je angetan
haben. Eine feingliedrige Queen in den Sechzigern ist erschrocken:
„Ehrlich?“ „Er hat gesagt, er sei hier, um um Verzeihung zu bitten“, sa…
Sibylle und nickt. Dann habe sie Lust darauf, sagt die Queen.
Sich Männern auf diese Art und Weise zuzuteilen, ohne dass sie das
mitbestimmen dürfen, wirkt seltsam. Aber an diesem Ort ist es das nicht.
Die Queens wählen keinen Mann, sondern eine Show, die dieser Mann gestaltet
hat und mit der er sich wohlfühlt. Die Performer verschwinden nun durch
einen weiteren Vorhang, um sich vorzubereiten. Dann geht es los.
Die Eins-und-eins-Performances finden im ersten Stock statt. Es geht aus
der brütenden Hitze des Clubs am Notausgang vorbei durch ein unbeheiztes
Treppenhaus in einen warmen Gang mit Kronleuchter an der Decke. An den
Seiten sind kleine Kabinen aufgebaut und Eidglas ist wieder da. Er hat sein
Jackett ausgezogen und trägt jetzt ein schwarzes Bustier und dunkelroten
Lippenstift. „Einfach klopfen“, sagt er aufmunternd und deutet auf eine der
Kabinen, in der eine Performance namens „Geschäftsreise“ bei Viktor
stattfinden soll. Niemand antwortet auf das Klopfen. „Geh einfach trotzdem
rein.“ Im Raum scheint niemand zu sein. Da steht eine Wand mit einem
Guckloch, davor ein Stuhl.
## Gesteuerte Berührungen
Durch das Loch spähend sieht man Viktor nun doch, der sich nackt durch den
Raum bewegt, sich langsam setzt, aufsteht, seine Muskeln an- und entspannt
und einem dabei den Rücken zuwendet. Schließlich dreht er sich um, kommt
zum Guckloch zurück und späht hindurch. „Hi“, sagt er. „Willst du auf
Geschäftsreise gehen?“ Er schiebt ein paar Zettel unter der Stellwand
hindurch, es ist eine erotische Geschichte, die man vorlesen soll. Dabei
berührt er einen sanft oder heftiger, je nachdem, wie schnell man liest.
Das ist der Moment, in dem Grenzüberschreitung wahrscheinlich am
leichtesten passieren kann, aber es fühlt sich alles sicher an. Man muss
hier zu nichts nein sagen, es reicht völlig, dass man nicht ja sagt. Es
passiert nichts, wenn man nicht selbst den Anstoß gibt. Sibylle wird später
erzählen, dass sie für diese Art der Sensibilisierung monatelang mit
Sexualbegleiter*innen und Trainer*innen zusammengearbeitet hätten.
Es ist eine ganz neue Art der Selbstverantwortung. Eine, von der viele
glauben, es gäbe sie bereits für alle, aber hier merkt man, dass das nicht
stimmt. Es ist ein Gefühl, das es erschwert, den Club später wieder zu
verlassen und auf die kalte Straße zu treten. Das „Queens“ wird sich noch
Stunden danach realer anfühlen als die schweigenden Menschen in der U-Bahn.
Überall schwingt noch eine Weile die Trauer mit, zurückgekehrt zu sein aus
einer Welt ohne Patriarchat.
19 Feb 2020
## LINKS
[1] https://www.kampnagel.de/de/programm/queens-der-heteraclub/?datum=&id_d…
## AUTOREN
Sarah Mahlberg
## TAGS
Performance
St. Pauli
Kampnagel
Sexualität
Patriarchat
Vulva
Frau
Vulva
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