# taz.de -- Haftfortdauer im Fall Lübcke: „Keine plausible Erklärung“ | |
> Der Verdächtige im Mordfall Lübcke beschuldigt einen früheren Freund der | |
> Tat. Der Bundesgerichtshof weist das zurück – der Verdächtige bleibt in | |
> Haft. | |
Bild: Droht weiter lebenslange Haft: Stephan Ernst, Tatverdächtiger im Mordfal… | |
BERLIN taz | Es sollte nach einer spektakulären Wende klingen: Mitte Januar | |
erklärte Stephan Ernst, der Verdächtige für den Mord am Kasseler | |
Regierungspräsidenten Walter Lübcke, dass nicht er, [1][sondern der | |
Mitbeschuldigte Markus H. im Juni 2019 den CDU-Politiker erschossen habe]. | |
Man habe gemeinsam eine Aussprache mit Lübcke gesucht, dann habe sich | |
„versehentlich“ der tödliche Schuss gelöst. | |
Nun macht der Bundesgerichtshof (BGH) klar, was er von dieser Aussage hält: | |
sehr wenig. In einem am Montag veröffentlichten Beschluss wird die | |
Fortdauer der Untersuchungshaft gegen Ernst begründet. Deutlich heißt es | |
dort: „Eine plausible Erklärung für die geänderte Einlassung (…) liegt | |
nicht vor“. Es gelte weiter, dass sich Ernst „mit hoher Wahrscheinlichkeit | |
des Mordes strafbar gemacht hat“. | |
Ernst war zwei Wochen nach dem Mord an Walter Lübcke festgenommen worden. | |
Der Kasseler Rechtsextremist hatte die Tat zunächst gestanden: Sie sei eine | |
Reaktion auf eine Kritik des CDU-Politikers an Geflüchtetengegnern gewesen. | |
Dann aber zog Ernst sein Geständnis zurück. Um nun, Mitte Januar, den | |
[2][Mitbeschuldigten Markus H. als vermeintlich wahren Täter zu | |
präsentieren]. | |
Der Bundesgerichtshof hält diese Version indes für unglaubwürdig: So habe | |
Ernst nicht begründen können, warum er die vermeintliche Tatmitwirkung von | |
Markus H. bisher verschwiegen und den Mord zunächst allein auf sich | |
genommen habe. Ernst hatte dazu ausgeführt, dass er sich von dieser Aussage | |
den Schutz seiner Familie versprochen habe. Auch das aber zieht der BGH in | |
Zweifel: Es sei „unklar, von wem und vor was die Angehörigen des | |
Beschuldigten geschützt werden hätten sollen“. | |
## Kein Mord „aus Versehen“ | |
Auch, dass der Mord ein Versehen gewesen sein soll, wie Ernst zuletzt | |
behauptete, glauben die Richter nicht. Nach derzeitigem Ermittlungsstand | |
habe sich Ernst vielmehr zu Lübcke angeschlichen, dessen „Arglosigkeit“ | |
ausgenutzt und ihn aus einem bis zwei Meter Abstand in den Kopf geschossen, | |
halten sie fest. Zudem belaste Ernst eine gefundene DNA-Spur an der | |
Kleidung von Lübcke. | |
Der BGH hält damit an der ursprünglichen Geständnisversion von Ernst fest. | |
Diese sei weiter „glaubhaft“, konstatieren die Richter. „Anlass, an dem | |
Wahrheitsgehalt dieser Einlassung zu zweifeln, besteht im derzeitigem | |
Ermittlungsstadium nicht.“ | |
Damit, so der BGH, bleibe es bisher dabei, dass Ernst „aus niedrigen | |
Beweggründen“ einen Menschen getötet habe. Lübcke sollte „für die von i… | |
vertretene Linie in der Flüchtlingspolitik abgestraft werden“. Ernst drohe | |
somit weiter lebenslange Haft, der Haftbefehl sei aufrechtzuhalten. Auch | |
unterhalte der 45-Jährige „enge Kontakte in die rechtsnationale Szene, die | |
ihm im Falle eines Untertauchens hilfreich sein könnten“. | |
## Mitbeschuldigter wird entlastet | |
Einen weiteren Mitbeschuldigten entlastet der Bundesgerichtshof dagegen: | |
den Trödelhändler Elmar J. aus NRW, der Ernst 2016 die Tatwaffe für 1.100 | |
Euro verkauft haben soll. Bereits Mitte Januar war dessen Haftbefehl | |
aufgehoben worden. Es sei bisher nicht nachzuweisen, dass J. bereits im | |
Jahr 2016 vom späteren Tatplan Ernsts wusste, begründen die Richter nun den | |
Schritt. | |
Den Revolver habe Elmar J. damals im Rahmen einer „illegalen | |
Geschäftsbeziehung“ zusammen mit anderen Waffen an Ernst verkauft. Zwar | |
hätten beiden Männer nach eigener Auskunft auch über Flüchtlinge oder | |
„Massenvergewaltigung“ gesprochen, so die Richter. Aber auch Ernst habe | |
nicht ausgesagt, den Händler in seine Anschlagspläne eingeweiht zu haben. | |
Der Vorwurf der Beihilfe zum Mord sei damit zu jetzigem Stand nicht mehr zu | |
halten, so der BGH. Offen bleibe aber eine mögliche fahrlässige Tötung und | |
ein Waffendelikt. Elmar J. selbst bestreitet, Ernst überhaupt die Tatwaffe | |
verkauft zu haben. Auch will er ihm eine politisch motivierte Tötung nicht | |
zugetraut haben. | |
Gleichzeitig legte der Bundesgerichtshof am Montag offen, mit welchem | |
Aufwand bisher im Fall Lübcke ermittelt wurde. Demnach seien bisher 342 | |
Zeugen vernommen und 31 Durchsuchungen durchgeführt worden. Auch seien 450 | |
Datenträger und 77 Kontoverbindungen ausgewertet worden. Rund 400 Hinweisen | |
aus der Bevölkerung wurde nachgegangen. Zu letzteren zählten auch Angaben | |
von Kasseler AfD-Politikern, die bei der Polizei eingeräumt hatten, | |
[3][dass Ernst an Wahlkampfaktionen teilgenommen hatte]. | |
27 Jan 2020 | |
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## AUTOREN | |
Konrad Litschko | |
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