# taz.de -- Kolumne Der Rote Faden: Kunst des Abschieds | |
> Es sollte Seminare in Abschiedsmanagement geben. Die CDU, die Katholische | |
> Kirche – viele tun sich schwer damit. Nur bei der taz klappt es ganz gut. | |
Bild: Annegret Kramp-Karrenbauer und Mike Mohring verabschieden sich nach der T… | |
Die Dinge im Griff haben – wer will, ja wer muss das nicht? Im | |
Büro-Posteingang türmen sich die unbearbeiteten Mails, auf dem Nachttisch | |
ungelesene Bücher und im Familienkalender die Termine, die es vorzubereiten | |
und einzuhalten gilt. Den LADEN IM GRIFF HABEN gilt als Grundvoraussetzung | |
gesellschaftlichen Erfolgs. Denn wer es nicht schafft, die Kinder | |
regelmäßig zum Zahnarzt zu schicken, Texte pünktlich abzuliefern oder sich | |
darum zu kümmern, dass ein Landesverband sich an die Parteirichtlinien | |
hält, die es verbietet, mit Faschisten zu kooperieren, der oder die ist | |
unten durch. Und dann heißt es Abschied nehmen vom Selbstbild als gutes | |
Elternteil, als tüchtige Arbeitnehmerin, als gute Chefin, als | |
Parteivorsitzende oder als Thüringer CDU-Chef. Was in den letzteren beiden | |
Fällen auch den [1][Abschied vom Amt] bedeutet. | |
Abschied nehmen, das hat diese Woche gezeigt, ist eine hohe Kunst. | |
Eigentlich müsste es Seminare für vorbildliches Abschiedsmanagement geben. | |
Denn damit ein Abschied gelingt und keinen Schaden anrichtet, ist vieles zu | |
beachten: Zum Beispiel den richtigen Zeitpunkt zu erwischen. Nicht zu früh | |
hinwerfen – aber auch nicht so lange abwarten, dass die | |
Rücktrittsforderungen überlaut aus allen Ecken des Internets und der | |
Öffentlichkeit schallen. | |
Dass Annegret Kramp-Karrenbauer am Montag ihren Rücktritt als | |
Parteivorsitzende und den Verzicht auf die Kanzlerkandidatur bekannt gab, | |
war, so gesehen, gerade noch rechtzeitig. Viele hatten es kaum abwarten | |
können, dass die als Vorsitzende unfähige und als Kanzlerkandidatin | |
ungeeignete AKK ihren Platz räumt. Und dass [2][Mike Mohring] dann am | |
Freitag die Reißleine zog, um weiteren Schaden von der angeschlagenen | |
Thüringen-CDU abzuwenden, war konsequent. Ein Abschied darf also auch mal | |
schnell gehen; allerdings gilt es, zu vermeiden, dass dadurch Lücken und | |
Risse entstehen, die man so leicht nicht wieder gekittet bekommt. Denn | |
jeder Abschied ist auch ein Neuanfang – fragt sich nur, für wen und wann. | |
Die Abschieds-Zeitschiene ist das größte Problem für die CDU. AKK will | |
offenbar einen planvollen Übergang gestalten: Kandidatensuche bis zum | |
Sommer und erst auf dem Parteitag im Dezember dann die Übergabe des | |
Vorsitzes an den oder die Gekürte. Damit macht sie denselben Fehler wie | |
Merkel, die ja auch dachte, sie könnte einen selbstbestimmten Abschied von | |
der Macht nehmen. In einem Großkonzern mögen solche modernen | |
Abschiedsmanagementmethoden vielleicht funktionieren, aber nicht im | |
machtversessenen und autoritätsfixierten Traditionsladen CDU. Da glichen | |
Vorsitzendenwechsel bislang eher Shakespeare-Dramen, mit Dolch im Gewand | |
und brutalem Herrscher-Meucheln. Alles oder nix, Chef(in) oder weg, Triumph | |
oder Niederlage, anders geht es anscheinend nicht. | |
## Abschied vom Zölibat? Fehlanzeige | |
Man kann sich gar nicht vorstellen, wie so ein langsamer Abschied für das | |
fragile GroKo-Gebilde funktionieren soll: Soll die SPD etwa in aller | |
Gemütsruhe die Krönung eines Friedrich Merz hinnehmen? Und mit dem dann | |
einfach so weiterregieren? Und soll Angela Merkel weiter die | |
unerschütterliche Dauer-Weltkanzlerin geben, die DEN LADEN IM GRIFF hat, | |
während sich neben ihr ein Merz breitmacht und vermutlich stänkert, wo er | |
nur kann? Oder während ein Armin Laschet oder ein Jens Spahn versucht, in | |
ihrem langen Schatten zur Sonne, zum Licht zu wachsen? Nein, es wird wohl | |
etwas schneller gehen müssen, gerüchteweise fragt die Partei bereits in | |
Großhallen Termine für den Frühling an. Die drei [3][Herren aus NRW] können | |
ihren Auftritt anscheinend kaum abwarten. | |
Manchmal werden Abschiede auch herbeigesehnt und finden dann doch nicht | |
statt. Papst Franziskus hat Mitte der Woche sein lang erwartetes Schreiben | |
zur Amazonien-Synode vorgelegt. Die durch den dramatischen Priestermangel | |
in den Amazonasgebieten aufgeworfenen Reformfragen beschied er darin | |
allesamt negativ: Verheiratete Männer als Priester? Nein. Öffnung des | |
Priestertums für Frauen? Nochmals nein. Frauen sollten ihren Beitrag zur | |
Kirche lieber leisten, „indem sie die Kraft und Zärtlichkeit der Mutter | |
Maria weitergeben“. Und der, besonders in Deutschland erhoffte Abschied vom | |
Zölibat? Kein Wort darüber. Reform fällt aus. Zumindest in den westlichen | |
Ländern wird dies den unfreiwilligen Abschied von der Macht der Kirche | |
beschleunigen. | |
Bei so viel Abschiedstheorie stellt sich die Frage, wie gut die taz es kann | |
mit den Abschieden. Der Donnerstag hat gezeigt: gar nicht so schlecht. Zwar | |
schmerzt es, wenn eine lieb gewonnene Mitarbeiterin ohne Not die | |
heimatliche Meinungsredaktion verlässt, um sich in Trump’s own country | |
Tennessee als rasende Wahlreporterin auszuprobieren. Aber zu einem guten | |
Laden, der SICH IM GRIFF HAT, gehört eben auch, Abschiede würdig über die | |
Bühne zu bringen. Und das haben wir gemacht: mit Reden, Geschenken, | |
Whiskey, falschen Elvis-Koteletten. Und einer offenen Tür zurück ins | |
Mutterhaus: Johanna Roth wird den Roten Faden weiter schreiben, ab sofort | |
mit Wochenrückblicken aus den wahlkämpfenden Südstaaten. | |
15 Feb 2020 | |
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## AUTOREN | |
Nina Apin | |
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