# taz.de -- Verfassungsklage in Norwegen: Teilerfolg für das Klima | |
> Norwegen muss den „exportierten Klimagasausstoß“ der Öl- und | |
> Gasproduktion berücksichtigen. Greenpeace und Co hoffen auf mehr. | |
Bild: Ölfeld in der Nordsee | |
STOCKHOLM taz | „Auch wenn die Klage abgewiesen wurde, sind wir einem Sieg | |
einen wirklich großen Schritt näher gekommen“, meint Helga Lerkelund vom | |
norwegischen Naturschutzverband Naturvernforbundet. Am Donnerstagmittag | |
verkündete das „Borgarting lagmannsrett“ in Oslo das Berufungsurteil in | |
einem Verfassungsrechtsstreit, bei dem es im Grunde um die Frage geht, | |
welche Verantwortung der norwegische Staat für die Auswirkungen der Öl- und | |
Gasförderung des Landes auf das globale Klima hat. | |
Die Antwort: Gar keine, soweit es nicht um die Klimagasemissionen auf dem | |
eigenen Territorium geht. [1][So hatte es zumindest vor zwei Jahren die | |
Vorinstanz entschieden.] Es ergebe sich aus dem Völkerrecht, dass jedes | |
Land lediglich für den Klimagasausstoß auf seinem eigenen Territorium | |
verantwortlich sei. Für die norwegische Öl- und Gaspolitik sei es deshalb | |
irrelevant, welche Folgen die Verbrennung der fossilen Energieträger auf | |
das Klima habe, nachdem diese exportiert worden seien. | |
Das sieht die Berufungsinstanz nun jedoch grundsätzlich anders. Norwegen | |
habe bei politischen Entscheidungen im Bereich seiner Öl- und Gaspolitik | |
„den gesammelten Klimagasausstoß zu berücksichtigen, sowohl was dieser bei | |
der Förderung wie auch beim Verbrennen an schwerwiegenden Auswirkungen für | |
Klimaänderungen“ haben könne. Daher könnten die auf diesem Sektor | |
getroffenen politischen Entscheidungen unter entsprechenden Gesichtspunkten | |
auch im Rahmen einer Verfassungsklage rechtlich gewürdigt werden. Bei der | |
konkreten Frage, um die sich die jetzige Klage drehe, könne aber nicht | |
bejaht werden, dass Oslo gegen eine solche Verpflichtung verstoßen habe. | |
## Norwegens „Umweltartikel“ | |
Der Klage liegt ein Detail der norwegischen Ölpolitik zugrunde. Am 10. Juni | |
2016, nur wenige Tage nachdem das Land das Pariser Klimaabkommen | |
unterzeichnet und sich damit zum Ziel bekannt hatte, den globalen | |
Temperaturanstieg auf möglichst 1,5 Grad – maximal aber 2 Grad – zu | |
begrenzen, waren von der konservativ-rechtspopulistischen Regierung in | |
einer „23. Konzessionsrunde“ zehn neue Ölfelder in der Barentssee zur | |
Erkundung und möglichen Förderung an 13 Ölkonzerne zugeteilt worden. | |
Ölfelder, die weiter nördlich in der Barentssee liegen als alle bislang | |
erschlossenen. | |
Dagegen klagten die skandinavische Sektion von Greenpeace, die | |
Umweltschutzorganisation „Jugend und Umwelt“, der Naturschutzverband und | |
die „Klimaaktion der Großeltern“. Ihre Argumentation: Noch mehr Öl bedeut… | |
noch mehr CO2 und mit der ungezügelten Erschließung immer neuer Öl- und | |
Gasfelder trage Oslo massiv zur Klimakrise bei, was wiederum ein | |
Verfassungsverstoß sei. | |
Die juristische Grundlage ihrer Klage war dabei der „Umweltartikel“, den | |
Norwegen als eines der weltweit ersten Länder 2014 in seine Verfassung | |
aufgenommen hat. Dieser Artikel 112 gibt „jedermann“ das Recht zu einer | |
Umwelt, „die der Gesundheit und einer natürlichen Umgebung förderlich“ is… | |
Der Staat wird ausdrücklich zu einer solchen Politik verpflichtet, „die | |
dieses Recht auch für zukünftige Generationen sichern wird“. | |
Dieser Artikel sei nicht nur eine Programmerklärung, es könnten daraus auch | |
direkt Rechte hergeleitet werden, konstatiert nun das Gericht. Allein mit | |
der Erteilung der fraglichen Prospektierungslizenzen in der Barentssee habe | |
Oslo aber noch nicht gegen diese Vorschrift verstoßen, argumentiert das | |
„Borgarting lagmannsrett“. Momentan sei noch unklar, welche Folgen diese | |
Entscheidung haben werde. Ein möglicher Verfassungsverstoß könne erst | |
beurteilt werden, wenn eine Förderung „nahe bevorsteht“. Also | |
beispielsweise bei der tatsächlichen Genehmigung einer Öl- und Gasförderung | |
aufgrund der fraglichen Lizenzen. | |
„Wir haben verloren, aber wichtige Teilsiege errungen. Für diesen Prozess | |
und die schulstreikenden Jugendlichen“, kommentiert Frode Plym, der | |
Vorsitzende von Greenpeace Norwegen: „Welche Auswirkungen die Verwendung | |
von norwegischem Öl und Gas im Ausland hat, ist also für unsere Gesetze und | |
unsere Politik relevant.“ Man werde nun den nächsten Schritt tun und das | |
„Høyesterett“, den obersten Gerichtshof des Landes, anrufen. „Wir werden | |
entweder im Gerichtssaal gewinnen oder außerhalb des Gerichts“, ist sich | |
Therese Hugstmyr Woie, Vorsitzende von „Jugend und Umwelt“ sicher. Und auch | |
Steinar Winther Christensen von der „Klimaaktion der Großeltern“ betont: | |
„Natürlich kämpfen wir weiter für unsere Kinder, Enkel und künftige | |
Generationen.“ | |
23 Jan 2020 | |
## LINKS | |
[1] /Verfassungsklage-gegen-Norwegen/!5474985 | |
## AUTOREN | |
Reinhard Wolff | |
## TAGS | |
Norwegen | |
Ölförderung | |
Greenpeace | |
Schwerpunkt Klimawandel | |
Schwerpunkt Klimawandel | |
Schwerpunkt Klimawandel | |
Schwerpunkt Klimawandel | |
Ölkonzern | |
Norwegen | |
Ölindustrie | |
## ARTIKEL ZUM THEMA | |
Kampf um Norwegens Ölpolitik: Ein Urteil von gestern | |
Norwegens Ölpolitik ist nicht mehr angesagt. Auch bei seinen Bürgern nicht. | |
Womöglich bekommt das Land bald Nachhilfe von jenseits des Atlantiks. | |
Klimaprozess in Oslo: Anklage gegen Norwegens Reichtum | |
Am Mittwoch geht ein „Jahrhundertprozess“ in die letzte Instanz: Das Urteil | |
könnte Förderung von Öl und Gas von Europas größtem Produzenten beenden. | |
Klimaschutzklage in Norwegen: Das Öl und die Verfassung | |
Ein Osloer Gericht lässt die Klimaschutzklage von Umweltschutorganisationen | |
gegen die Regierung zu. In Deutschland läuft das anders. | |
Norwegischer Pensionsfonds: Weg vom Öl | |
Norwegen will Pensionsgeld nicht mehr in reine Öl- und Gas-Konzerne | |
investieren. Das könnte US-Firmen treffen, die bald die größten Exporteure | |
sind. | |
Verfassungsklage gegen Norwegen: Klima verliert die erste Runde | |
Hält der „Umweltartikel“ in Norwegens Verfassung, was er verspricht? | |
Greenpeace hat geklagt, doch die Vergabe von Ölförderlizenzen war rechtens. | |
Rohstoffförderung in Norwegen: Das „weltweit sauberste“ Öl | |
Erstmals ist in Norwegen eine Mehrheit dafür, die Ausbeutung der Ölvorräte | |
zu begrenzen. Greenpeace & Co. sprechen von einer Trendwende. |