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# taz.de -- Treffen der 4-Stunden-Liga: Vorkämpfer für kürzere Arbeitszeit
> Vier Stunden Arbeit bei vollem Lohnausgleich: Was wie eine Utopie klingt,
> ist die ernst gemeinte Forderung eines neuen Bündnisses.
Bild: Arbeiten? Immer freitags! Work-Life-Balancer Robbie Williams, 2019 in Ber…
Als der englische Popstar Robbie Williams von einem Produzenten gefragt
wurden, wann er denn immer so zum Arbeiten ins Studio käme, lautete
Williams Antwort knapp und präzise: „freitags“. Was wie ein Witz klang, war
allerdings ernst gemeint, wie der Sänger erklärte: Am Freitag schlage er
irgendwann für ein paar Stunden auf, höre sich die Aufnahmen von
vergangener Woche an, ergänze ein paar Vocals und verabschiede sich dann
wieder. Endlich Wochenende.
Zum allgemeinen Leidwesen ist das, was als Künstler mit Millionen auf dem
Konto funktionieren mag, im durchschnittlichen Berufsleben noch recht
schwer zu vermitteln. Um das zu ändern, hat sich in Berlin die
4-Stunden-Liga aufgestellt. Die Forderungen der im vergangenen Herbst
gegründeten arbeitspolitischen Gruppe: ein vierstündiger Arbeitstag bei
vollem Personal- und Lohnausgleich. Am 14. Februar lädt das Bündnis zum
offenen Treff in den Blauen Salon in der Gneisenaustraße in Kreuzberg, um
sich mit anderen Politgruppen, Aktiven und Neugierigen zu vernetzen.
„Es ist uns klar, dass wir mit Bündnisarbeit und einer öffentlichen
Kampagne nicht sofort die 40-Stunden-Woche abschaffen. Langfristig ist das
natürlich schon unser Ziel“, sagt Jessica Kurz vom Bündnis. „Wir wollen
zunächst ein Bewusstsein für das Problem schaffen: Der bestehende
Arbeitsethos im Kapitalismus ist grundsätzlich infrage zu stellen – durch
die technologische Entwicklung wäre es schon heute möglich, die Arbeitszeit
drastisch zu reduzieren.“
Die 26-Jährige arbeitet in Vollzeit als Teamleiterin im
Kommunikationsmarketing – in ihrer Branche gebe es gar keine
Teilzeitstellen, sagt Kurz. Und oft bleibe es auch nicht bei 40 Stunden,
sondern gehe eher in Richtung der 50. „Wenn Sie neun Stunden auf der Arbeit
verbringen und dann auch noch pendeln, bleibt kaum Zeit für
Eigengestaltung, Hobbys, die Pflege von Angehörigen, Reproduktionsarbeit
oder politisches Engagement“, sagt Kurz. Wie der 4-Stunden-Tag umzusetzen
sei? „Die Frage nach der Umsetzung auf Arbeitgeberseite ist für uns nicht
die entscheidende“, sagt Kurz. Es gehe um die grundsätzliche Umgestaltung
der Art und Weise, wie man wirtschaften und leben wolle. Das müsse in einem
demokratischen Prozess entschieden werden.
Tatsächlich gab es in Schweden immerhin zum 6-Stunden-Tag [1][erfolgreiche
Modellprojekte]. Ein Uni-Krankenhaus in Göteborg fing das Experiment auch
aus Personalnot an – und verbuchte unverhoffte Erfolge: Die Zufriedenheit
unter den Angestellten und die Effizienz stiegen. Zudem fanden sich auf
einmal mehr Beschäftigte – sodass das Modellprojekt mehrfach verlängert
wurde. Wartezeiten sanken, die Wirtschaftlichkeit wuchs. Selbst ein
privatwirtschaftliches Toyota-Autohaus in Schweden stellte fest, dass in
sechs Stunden genauso viel gearbeitet wurde wie zuvor in acht, teilweise
sogar mehr.
In einem kommunalen Pflegeheim in Göteborg sank mit dem 6-Stunden-Tag der
Krankenstand um ein Fünftel. Die Angestellten beschrieben sich als
zufriedener und ausgeruhter, die Bewohner:innen fühlten sich besser
versorgt. Dort wurde das Projekt allerdings wieder abgewickelt, weil den
örtlichen Sozialdemokraten die Zusatzkosten von 80.000 Euro im Jahr zu hoch
waren. Wissenschaftler:innen der Universität Stockholm kritisierten
anschließend in einer Stressstudie, dass vorübergehend steigende Kosten nur
ein Teil der Rechnung seien. Langfristig machten Beschäftigte mit weniger
Arbeitszeit bei vollem Lohnausgleich weniger Fehler, verursachten also bei
weniger Stress auch weniger Kosten.
Kurz sagt dazu: „Uns geht es nicht um die Frage nach Umsatzeinbußen,
sondern darum, wie lange wir unserer Umwelt und den Menschen dieses
Arbeitsregime noch zumuten wollen.“ Angesprochen fühlen sollen sich
grundsätzlich alle: „Jede Person sollte sich die Frage stellen, wie ihr
Leben und eine Gesellschaft aussähen, in der alle nur vier Stunden am Tag
arbeiten.“
Die erste 4-Stunden-Liga in Deutschland gründete sich 2018 in Kassel.
Historisches Vorbild für die sich nun an mehreren Orten aufstellenden
Bündnisse waren die Eight-Hour-Leagues im 19. Jahrhundert in England und
den USA. „Wenn der 8-Stunden-Tag die Antwort der organisierten
Arbeiter*innen-Bewegung auf die Industrielle Revolution war, so soll der
4-Stunden-Tag unsere Antwort auf die sogenannte digitale Revolution und
Arbeit 4.0 sein“, steht [2][auf der Kasseler Website] (die Berliner haben
noch keine).
Und auch wenn das arbeitspolitische Bündnis noch nicht gleich die
Einführung der Robbie-Williams-Woche fordert: Die 40-Stunden-Woche gewinnt
nicht gerade an Beliebtheit. Soziolog:innen behaupten bereits länger, dass
die Sinnstiftung durch Arbeit in zunehmend individualisierten
Gesellschaften abnimmt – entsprechend wachse das Bedürfnis nach Teilzeit
und Selbstverwirklichung.
Wer das ähnlich sieht, kann am 14. Februar in Kreuzberg bei der
4-Stunden-Liga mitmachen. Wann sich die Gruppe trifft? Freitags. Und
vielleicht läuft ja Robbie Williams.
8 Feb 2020
## LINKS
[1] /Arbeitszeit-in-Schweden/!5459426
[2] https://4hour-league.org/startseite/
## AUTOREN
Gareth Joswig
## TAGS
30-Stunden-Woche
Gewerkschaft
Arbeitszeit
Arbeitskampf
Umverteilung
Frank Werneke
Roboter
Arbeit
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