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# taz.de -- Debatte um Verschleierung: Sehen und sehen lassen
> Der Frauenfeind, das sind immer die anderen: Was steckt hinter der
> Aufregung übers ach so fremde Kleidungsstück?
Bild: Nicht flach und doch Projektonsfläche für allerlei: Tuch um Schülerinn…
Hamburg taz | Treffen sich zwei Frauen. Die eine sagt, die andere sei
weniger frei, als sie es sein könnte, ja: müsste. Denn diese Zweite trägt
ein Kleidungsstück, das eigentlich nicht nötig ist; eines, das vielmehr den
Ansprüchen anderer genügen will, denen von Männern – und glaubt auch noch,
sie tut das freiwillig. Klarer Fall von Unterdrückung, weiß aber die
andere: Unterdrückung, der sich die Unterdrückte naturgemäß gar nicht
bewusst sein kann.
Klarer Fall? Und wenn sich dieses Gespräch gar nicht dreht um [1][die so
eindeutig als „fremd“ lesbaren, erkennbar anderen „Kulturkreisen“
entstammenden Gesichtsschleier Burka oder Nikab]? Nehmen wir an, [2][das
heikle Kleidungsstück sei der Büstenhalter – und es unterhielten sich zwei
Angehörige unterschiedlicher Generationen von Feminismus]. Das textile Joch
abzulehnen (und abzulegen), das wäre für die eine dann folgerichtig, sogar
zwingend; die andere fände es hingegen übertrieben.
Zugegeben: Klingt nach Whataboutism, dieser insbesondere online so
beliebten Ablenkungsrhetorik – „Du wirst auf ein schlimmes X angesprochen?
Aber war denn Y nicht mindestens so schlimm?“. Aber die Zutaten lassen sich
ja doch dingfest machen, schon in den [3][Diskussionen ums Kopftuch], und
erst recht, wenn es um die noch extremeren Verhüllungsvarianten geht. Soll
doch die individuelle Burkaträgerin erklären, sie fühle keinen Zwang und
werde nicht erniedrigt: Das überzeugt doch keine*n Kritiker*in.
Es ist, pardon, ein Kreuz mit der Verschleierung. Das dahinter stehende
Menschen-, besser: Manns-Bild – zum Heulen (außer dass genau die Männer,
die es anginge, sich das ja selten erlauben). Weil die beteiligten Typen
sich untenrum nicht beherrschen können könnten, müssen die Objekte der
potenziell überbordenden Begierde sich verhüllen? Nein, das kann ganz
sicher nicht zu uns gehören.
## Projektionsfläche Frau
Bloß: Wer sich allzu behaglich zurücklehnt, sich ausruht auf der eigenen,
all den Bronzezeitscheiß hinter sich lassenden Fortschrittlichkeit, der
liegt auch daneben. Nicht nur ist solches Projizieren von Verantwortung auf
die Frau keine exklusive Eigenschaft des Islams. Dass Frauen Leiber haben
und die ein Problem darstellen, angeblich: Das haben sie sich in den
anderen sogenannten abrahamitischen Religionen ja nun mindestens so sehr
erzählt (und tun es noch).
Wie viele derer, die, wo’s passt, weibliche Autonomie vor muselmännlicher
Tyrannei beschützen zu wollen vorgeben: Wie viele von denen erlauben
denselben Frauen nicht, eine Schwangerschaft abzubrechen? Wie sehr geht es
säkularen Frauenfreunden darum, selbst zu kontrollieren – ehe es der ach so
andere macht?
Historisch gesehen ist der verschleierte Frauenkörper viel weniger
eindeutig eine Sache der Religion, dafür sehr wohl eine der Markierung von
Einflusssphäre, von Kontrolle. Ausdrücklich die Abwehr dessen, was damals
von Konstantinopel aus als „westliche Einflüsse“ verstanden werden konnte,
spielten mit, als im späten 19. Jahrhundert unter Sultan Abdülhamid II. der
bis heute anzutreffende Nikab Einzug hielt. Kaum war der Sultan weg vom
Posten, 1908, wurden auch die Tücher erst mal wieder weniger.
Und heute? [4][Gehen Expert*innen wie die Gender-Studies-Professorin Anna
Mansson McGinty davon aus], dass der Schleier wichtig ist insbesondere für
Frauen, die sich selbst für den muslimischen Glauben entscheiden; demnach
markiert er – vielleicht eher unterstellte als eindeutig gegebene –
spezifisch islamische Vorstellungen über Geschlechterbeziehungen und
Sittsamkeit.
Für so richtig Aufgeklärte ist freilich die Konversion nur die besonders
krasse Ausprägung eines größeren Problems, das Glauben heißt. Warum aber
ist, was diese Leute für Religionskritik halten, mitunter so gar nicht zu
unterscheiden von der Gängelung derer, die einer – und oft nur einer
bestimmten – Religion anhängen?
Nicht von ungefähr hat der UN-Sonderberichterstatter für Religionsfreiheit,
der katholische Theologe Heiner Bielefeldt, im April 2015 das da recht
frische Burkaverbot in Frankreich kritisiert: Es behandele die Trägerin
„als Opfer und zugleich als Störerin“. Auch hat er gerade die
Religionsfreiheit als „säkulares Menschenrecht“ bezeichnet, und aus dieser
Paradoxie gibt es, scheint es, keine leichten Auswege. [5][„Ich bin gegen
die Burka“, hat Bielefeldt das auch noch formuliert, „und gegen ein
Burkaverbot.“]
10 Feb 2020
## LINKS
[1] /!t5397074/
[2] https://www.bpb.de/geschichte/deutsche-geschichte/68er-bewegung/51859/fraue…
[3] /!t5008173/
[4] https://www.researchgate.net/publication/263094838_Emotional_geographies_of…
[5] https://www.tagesanzeiger.ch/leben/gesellschaft/Ich-bin-gegen-die-Burka-und…
## AUTOREN
Alexander Diehl
## TAGS
Burka
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Religion
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Vollverschleierung
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