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# taz.de -- Nach der Wahl in Thüringen: Der Cowboy lenkt ein
> Thomas Kemmerich wird wohl als Kurzzeitministerpräsident in die
> Geschichte eingehen. Neuwahlen sind aber noch nicht ausgemacht.
Bild: Tritt in Cowboystiefeln ab: Thomas Kemmerich
Erfurt/Dresden taz | Als sich am Donnerstagmittag DemonstrantInnen vor der
Thüringer Staatskanzlei versammeln, ist noch nicht absehbar, dass schon
gute zwei Stunden später ihr Wunsch zumindest zum Teil in Erfüllung gehen
würde. Mehr als tausend Leute werden es wenig später sein, die [1][zum
zweiten Mal innerhalb von zwei Tagen] vor allem eines fordern: den
Rücktritt des neuen Ministerpräsidenten [2][Thomas Kemmerich] von der FDP,
der am Tag zuvor mit den Stimmen der AfD gewählt worden war – und
Neuwahlen.
Als einer der RednerInnen fordert: „Herr Kemmerich, treten sie ab!“,
brandet Applaus unter den DemonstrantInnen auf. Dann rufen sie:
„Rücktritt, Rücktritt, Rücktritt!“, und klatschen rhythmisch dazu.
Ob Kemmerich, der seit Mittwochabend in der Staatskanzlei residiert, das
hört, darf man bezweifeln. FDP-Chef Christian Lindner ist zum Gespräch
angereist, es heißt, er wolle Kemmerich zur Umkehr bewegen. Noch am Morgen
hatte dieser einen Rückzug und Neuwahlen abgelehnt.
Das Krisengespräch der beiden zieht sich, die anschließend anberaumte
[3][Pressekonferenz] verzögert sich. Erst heißt es, Lindner und Kemmerich
träten gemeinsam auf, dann ist von getrennten Terminen die Rede. Auch die
Reihenfolge ändert sich, ebenso der Ort. Die JournalistInnen hetzen von der
Staatskanzlei in ein Hotel, dann wieder in die Staatskanzlei.
## Breitbeinig und in Cowboystiefeln
Um kurz nach zwei steht Kemmerich dann dort vor den Kameras, wie immer
breitbeinig und in Cowboystiefeln. Da ist die Meldung längst über die
Nachrichtenagenturen gelaufen: Die FDP will einen Antrag auf Auflösung des
Landtags stellen, um eine Neuwahl herbeizuführen. Gerade 25 Stunden hat
Kemmerich durchgehalten.
Mit diesem Schritt, sagt der FDP-Politiker dann, wolle man [4][den Makel
der Unterstützung durch die AfD] vom Amt des Ministerpräsidenten nehmen.
„Demokraten brauchen demokratische Mehrheiten, die sich offensichtlich in
diesem Parlament nicht herstellen lassen.“ Und weiter: „Eine Zusammenarbeit
mit der AfD gab es nicht, gibt es nicht und wird es nicht geben.“ Auch
seinen eigenen Rücktritt als [5][Ministerpräsident] kündigt er an, konkret
wird er dabei aber nicht. Wann sein Rücktritt formal vollzogen wird, war am
Donnerstag noch unklar.
Zu seiner Kehrtwende gezwungen, so der Kurzzeitministerpräsident auf
Nachfrage, habe ihn niemand, aber man habe sowohl die öffentlichen als auch
die parteiinternen Reaktionen bewertet. Er habe „in den letzten Tagen immer
in Kontakt mit Herrn Lindner gestanden“, so Kemmerich weiter. Und dann
spricht er wieder von einem „perfiden Trick“ der AfD.
Dabei hatte er am Abend zuvor bereits zugegeben, dass er und seine Fraktion
die Möglichkeit, dass die extrem Rechten für Kemmerich stimmen könnten und
er so ins Amt komme, [6][durchaus in ihre Überlegungen einbezogen hätten].
Hat er einen Fehler gemacht?, will dann ein Journalist wissen. „Nein“, sagt
Kemmerich. Mehr nicht.
## Neuwahlen, und dann?
Wie es nun genau weitergeht? Um tatsächlich Neuwahlen herbeizuführen,
braucht Kemmerich die Unterstützung anderer Fraktionen im Landtag. Mit der
CDU habe er über eine Parlamentsauflösung gesprochen, sagt der
Noch-Ministerpräsident, aber wie sie entscheide, wisse er nicht. Eine
Sitzung von Vorstand und Fraktion hat der CDU-Landesverband für den Abend
angesetzt.
Bislang hatte die Landes-CDU eine zweite Wahl [7][strikt abgelehnt] – wohl
auch aus taktischen Überlegungen. „Die bürgerliche Mitte würde bei
Neuwahlen weiter geschwächt“, begründete Generalsekretär Raymond Walk diese
Verweigerung im Sender Phoenix. In Umfragen war die Union Ende Januar auf
19 Prozent abgerutscht, während die Linke und Bodo Ramelow nochmals
zulegten.
Dass Linkspartei, Grüne und SPD bei Kemmerichs Neuwahlplan einfach so
mitspielen, ist aber ebenfalls nicht gesagt. Darauf weist zum Beispiel die
Aussage von Dirk Adams hin. Der taz sagt der Grünen-Fraktionsvorsitzende,
[8][Thomas Kemmerich] müsse zunächst Klarheit über seine
Rücktrittsabsichten schaffen. „Dieser Rücktritt muss ohne Wenn und Aber
erfolgen“, fordert Adams für seine bündnisgrüne Fraktion. FDP und auch CDU
müssten außerdem erklären, wie es personell bei ihnen weitergehen solle.
„Es muss aber nicht um jeden Preis Neuwahlen geben“, sagt Adams. Damit
lässt er die Möglichkeit eines zweiten Anlaufs zur Wahl von Bodo Ramelow im
Landtag offen und damit doch zu einer Fortsetzung der Koalition von
Linker, SPD und Grünen, wenn auch ohne eigene Mehrheit. Allerdings hätte
man es weiterhin mit dem gleichen und jetzt moralisch verschlissenen
Personal im Landtag zu tun.
## Doch Ramelow?
Sollte es nach Kemmerichs angekündigtem Rücktritt zu einer neuen
Ministerpräsidentenwahl im Landtag kommen, würde [9][Bodo Ramelow] erneut
als Kandidat für eine rot-rot-grüne Regierung zur Verfügung stehen,
erklärt der Vizelandeschef der thüringischen Linken, Steffen Dittes. Er sei
von seiner Partei „ausdrücklich legitimiert“, dies mitzuteilen, sagt er.
Nach Angaben des SPD-Fraktionsvorsitzenden Matthias Hey würde sich Ramelow
nach seiner möglichen Wiederwahl dennoch für Neuwahlen einsetzen, um klare
Mehrheitsverhältnisse herzustellen. Hey und die SPD fordern in einem Brief
ebenfalls den sofortigen Rücktritt Thomas Kemmerichs als Ministerpräsident.
„Wir sind verwirrt über seine Aussagen in der Staatskanzlei“, sagte der
Fraktionschef der taz.
Hey ist überzeugt, dass der unselige 5. Februar negative Spuren bei den
Wählern hinterlassen hat und man um neues Vertrauen werben müsse. Aber auch
die SPD zeigt sich trotz aktueller Prognosen von nur noch sechs Prozent für
Neuwahlen aufgeschlossen. Denn so oder so bleibt dem aktuellen Landtag ein
Makel: Eine Koalition mit eigener Mehrheit ist nicht in Sicht.
6 Feb 2020
## LINKS
[1] /Demonstrationen-gegen-die-FDP/!5662198
[2] /Thueringens-neuer-Ministerpraesident/!5662119
[3] /Nach-Lindner-Besuch-in-Thueringen/!5662292
[4] /Coup-der-AfD-in-Thueringen/!5662211
[5] /Ministerpraesidentenwahl-in-Thueringen/!5662080
[6] /Die-FDP-und-Thueringen/!5658334
[7] /Zerreissprobe-fuer-die-CDU/!5662242
[8] /Ministerpraesidentenwahl-in-Thueringen/!5662080
[9] /Jon-Savage-ueber-die-Eiserne-Lady/!5069542
## AUTOREN
Sabine am Orde
Michael Bartsch
## TAGS
Thomas Kemmerich
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