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# taz.de -- Autorin Julie Otsuka über ihren Roman: Schreiben ist Detektivarbeit
> Der Roman „Als der Kaiser ein Gott war“ von Julie Otsuka handelt von
> einer Zeit, als die Japanese Americans potenziell als innere Bedrohung
> galten.
Bild: Japanischstämmige AmerikanerInnen warten auf den Zug während der Evakua…
taz am Wochenende: Frau Otsuka, nach dem Angriff der Japaner auf Pearl
Harbor 1941 wurden viele in den USA ansässige japanische Familien in Lager
deportiert. Von einer solchen Familie erzählen Sie in Ihrem Roman „Als der
Kaiser ein Gott war“. Ihre eigene Familie hat Ähnliches erlebt?
Julie Otsuka: Ja, auch die Familie meiner Mutter wurde damals deportiert.
Es war eine wohlsituierte Familie, denn mein Großvater war
Hauptgeschäftsführer einer japanischen Handelsgesellschaft in San
Francisco. Meine Mutter war damals erst zehn Jahre alt und verlebte eine
angenehme Kindheit in Berkeley. Doch das änderte sich plötzlich, als der
Krieg ausbrach.
Ihr Familie wurde ins berüchtigte Wüstenlager Topaz im US-Bundesstaat Utah
gebracht.
Zuerst kamen sie in ein Sammellager auf der Pferderennbahn Tanforan in San
Bruno, Kalifornien. Dort wurden sie in Baracken gesperrt. Andere wurden in
die Pferdeställe gepfercht. Nach ein paar Monaten überführte man sie in
einem Zug mit verhängten Fenstern nach Utah. Die Reise dauerte zwei Tage
und zwei Nächte.
„Als der Kaiser ein Gott war“ ist Julie Otsukas Debütroman. Darin erzählt
sie von der Deportation einer namenlosen amerikanischen Familie japanischer
Herkunft: vom Abschied von zu Hause, dem Tanforan-Sammellager, der Zugfahrt
in die Wüste, dem Lager in Topaz und der Heimkehr nach dem Krieg.
Ihr Roman beginnt mit der Figur der namenlosen Mutter. War sie die
Keimzelle dieses Romans?
Am Anfang stand tatsächlich ihr Bild. Als ausgebildete Malerin und
Bildhauerin denke ich sehr visuell. Eines Tages hatte ich das Bild einer
japanischen Frau im Kopf, die einen dieser Aushänge liest, auf denen damals
alle Japaner aufgefordert wurden, sich für die Deportation zu sammeln. Das
wurde der Einstieg für meinen Roman.
Und dann erzählen Sie die Geschichte dieser Familie bis zu ihrer Heimkehr
nach dem Krieg. Ihre Familie mütterlicherseits hat dasselbe durchlebt.
Wurde zu Hause darüber gesprochen?
Kaum. Ich erinnere mich nur, dass ab und zu das Stichwort camp fiel. Doch
meine Mutter erwähnte es nur in sehr leichtem Tonfall. Es ging dann immer
um Sonne und Sand und dass man sich zum Essen anstellen musste. Deshalb
dachte ich als Kind, sie würde von einem Ferienlager erzählen. Erst später
wurde mir bewusst, dass sie von [1][amerikanischen Internierungslagern]
sprach.
Wie gingen Ihre Verwandten nach dem Krieg mit den Erfahrungen aus dieser
Zeit um?
Meine Familie hatte alles verloren, was sie sich vor dem Krieg erarbeitet
hatte. Ich spürte immer, dass es bei uns viel unterschwellige Trauer und
Wut gab, über die aber nie geredet wurde. Ich glaube, dass ich deshalb auch
Autorin geworden bin: weil so viel geschwiegen wurde. Schreiben ist eine
Art Detektivarbeit.
Hat Ihre Mutter Ihre Romane gelesen? Wie hat sie darauf reagiert?
Als ich anfing, meinen ersten Roman zu schreiben, war meine Mutter leider
schon an Alzheimer erkrankt. Und als das Buch dann fertig war, konnte sie
es nicht mehr lesen und verstehen. Aber mein Vater war sehr stolz auf mich.
Ich bin ja eine richtige Spätzünderin. Viele Jahre lang habe ich versucht,
als Malerin zu leben. Weil das nicht geklappt hat, habe ich gekellnert und
auch als Sekretärin gearbeitet. Es hat lange gedauert, bis ich zum
Schreiben gekommen bin.
Julie Otsukas zweiter Roman „Wovon wir träumten“ wurde bereits 2012 ins
Deutsche übersetzt. Dieser Roman löst sich von Otsukas Familiengeschichte
und basiert vor allem auf historischen Recherchen. In einer beeindruckenden
Wir-Perspektive kommen darin japanische „Importbräute“ zu Wort, die Anfang
der 20. Jahrhunderts in die USA kamen, um dort ansässige Männer japanischer
Herkunft zu heiraten.
Sie beschäftigen sich in Ihrem Werk sehr intensiv mit der Geschichte der
Japanese Americans. Wird diese Geschichte heute in amerikanischen Schulen
gelehrt?
Zu meiner Zeit noch nicht. Und auch als ich an meinem Debüt arbeitete, das
2002 auf Englisch erschien, gab es noch kaum etwas dazu. Dabei schwelte das
Thema ja in unseren Familien, und ich fand, dass ich mit meiner Geschichte
eigentlich ziemlich spät kam. Heute ist das anders. Mittlerweile werden
viel mehr farbige AutorInnen publiziert als früher. Deswegen kennt man
inzwischen auch unsere Geschichten ein bisschen besser.
Einer der wenigen Romane zur Geschichte der japanischstämmigen Amerikaner
ist der Roman „No-No Boy“ von John Okada aus dem Jahr 1957. Auch in Ihrem
Roman treten am Rande einige No-No Boys auf.
No-No Boys wurden die Japaner genannt, die im Lager einen
Loyalitätsfragebogen bekamen und zwei Fragen darauf mit Nein beantworteten.
Die erste Frage lautete: Würden Sie für die Armee der Vereinigten Staaten
kämpfen? Und die zweite war: Schwören Sie Ihrer Treue zum japanischen
Kaiser ab? Das war eine tückische Prüfung, weil die meisten Japaner dem
Tenno gar nicht treu waren und es also nichts zum Abschwören gab.
Andererseits waren manche aber auch nicht bereit, für ein Land zu kämpfen,
das ihre Familien internierte. Wer zwei Mal mit Nein antwortete, kam ins
gefürchtete Männerlager Tule Lake in Kalifornien.
Viele antworteten aber auch mit Ja-Ja, um ihre Loyalität unter Beweis zu
stellen.
33.000 Japanese Americans dienten im Zweiten Weltkrieg im amerikanischen
Militär. Sie hatten eigene Einheiten und wurden auf schlimme Einsätze an
der Westfront geschickt. Erst kürzlich erfuhr ich, dass auch eines der
Außenlager von Dachau von solch einer japanischen Einheit befreit wurde.
Diese Soldaten befreiten die jüdischen Gefangenen, während ihre eigenen
Familien in den USA in Lagern saßen.
Das muss das Lager „Kaufering IV Hurlach“ bei München gewesen sein.
Es heißt, dass die Häftlinge dort zunächst dachten, die Japaner hätten den
Krieg gewonnen. Die Soldaten mussten erst erklären, dass sie Amerikaner
waren.
Der Krieg im Pazifik war nach den beiden Atombombenabwürfen auf Hiroshima
und Nagasaki beendet. Japan kapitulierte, und der Tenno gab offiziell seine
Göttlichkeit auf. Nach Gründung der Volksrepublik China 1949, dem Ausbruch
des Korea-Kriegs 1950, dem Kalten Krieg und der Auseinandersetzung mit dem
Kommunismus stieg Japan schnell zum wichtigen Verbündeten der USA im
Pazifik auf.
Das 20. Jahrhundert war für die japanischstämmigen US-Bürger ein Wechselbad
der Gefühle. Wie ist es heute?
Wir sind in erster Linie alle Amerikaner. Aber in den Vereinigten Staaten
kann die Stimmung sehr schnell umschlagen. Eine gute ethnische Gruppe kann
sehr plötzlich als schlechte wahrgenommen werden. Oder umgekehrt. So erging
es den muslimischen Amerikanern nach 9/11. Über Nacht wurden sie für viele
zum Feind. Die US-Gesellschaft gibt uns da leider keine Garantie.
Sie arbeiten aktuell an Ihrem dritten Roman. Wird es wieder ein
historischer Roman, oder führen Sie dieses Mal mehr in die Gegenwart?
Ich werde jetzt eine Geschichte von heute erzählen. Es geht um Alzheimer
und ums Schwimmen – das kann ich vielleicht schon verraten. Die Hauptfigur
ist aber erneut eine Frau, die während des Zweiten Weltkriegs in den Lagern
interniert war. Man wird meine ersten drei Romane am Ende als Trilogie
lesen können.
1 Feb 2020
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## AUTOREN
Katharina Borchardt
## TAGS
Roman
Historischer Roman
USA
Schwerpunkt Zweiter Weltkrieg
Literatur
Literatur
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