# taz.de -- Plädoyer für aufgeklärten Konservatismus: Der AfD das Konservati… | |
> Die aktivistische Generation besinnt sich auf Werte der alten | |
> Mittelschicht. Dazu gehört Verzicht, Verantwortung und | |
> Gemeinwohlorientierung. | |
Bild: Politisch wird die subjektive Identitätsbildung erst, wenn sie ihre Selb… | |
Ein grauer Dresdner Novemberabend: „Was ist konservativ?“ lautete der Titel | |
einer Podiumsdiskussion, ausgerichtet von der ultrarechten, in Gründung | |
befindlichen [1][Spengler-Stiftung]. Beteiligt waren drei führende, | |
allesamt männliche AfD-Politiker, ergänzt um den bundesweit bekannten | |
neurechten Verleger Götz Kubitschek. Auch der Moderator und Cellist | |
Matthias Moosdorf ist seit 2016 Mitglied der Blauen. | |
Seit der Ankündigung dieser Veranstaltung auf [2][Kubitscheks Webseite] | |
sezession.de, die sich als „bedeutendste rechtsintellektuelle Zeitschrift | |
in Deutschland“ versteht, war ich elektrisiert; hin- und hergerissen | |
zwischen Neugier und Wut. Wütend war ich, weil sich die Herren einen | |
besonders symbolträchtigen Ort ausgesucht hatten, der klischeehaft der | |
Vorstellung eines bürgerlichen Salons entspricht: den Festsaal des Dresdner | |
Pianosalons im rekonstruierten Coselpalais, vis à vis der Frauenkirche. | |
Die selbstbewusste Neue Rechte hatte damit neben Straßen und Plätzen | |
(Pegida) auch die prachtvollen Paläste der Barockstadt erobert; rund 150 | |
Gäste sind zudem für derartige Veranstaltungen eine ganze Menge. Aber | |
besonders ungehalten war ich, weil mir eben ein Begriff geklaut wurde, der | |
mir nicht gleichgültig ist. Ja, ich bin ein Konservativer – dazu gleich | |
mehr! Die Veranstaltung verlief ohne große Aufreger. | |
Klar, diese fünf Politprofis auf dem Podium sind auch gebildete | |
Intellektuelle, die durchaus anregend und eloquent einen Abend | |
durchplaudern können. Im Kern war der Ertrag aber ziemlich mager und | |
vorhersehbar. Wenn man sich am homogenen Nationalstaat des 19. Jahrhunderts | |
orientiert und ansonsten überall Verschwörungen und Dekadenzphänomene – vom | |
charakterlichen Elitenversagen bis zum „Bevölkerungsaustausch“ – wittert, | |
ist ein radikaler Kulturpessimismus die logische Konsequenz. | |
Der Protest der Antifa fiel kläglich aus. Am Schluss hörte man ein paar | |
dünne „Nazischweine“-Rufe, doch privater Sicherheitsdienst und Polizei | |
hatten die Lage zu meiner Erleichterung fest im Griff. Seltsam, wie sich | |
die Blickrichtung verschiebt, wenn man selbst Teil einer solchen | |
Veranstaltung ist; niemand hat schließlich Lust, zwischen die Fronten zu | |
geraten. Kubitschek lieferte im Nachgang seine eigene Deutung der | |
Ereignisse: | |
## AfD-Politiker diskutieren: „Was ist konservativ?“ | |
Bert Kirsten, der Inhaber des Pianosalons sah sich demnach „Droh- und | |
Protestschreiben der Antifa“ ausgesetzt. Das ist sicher übertrieben. Wir | |
sind schließlich in Dresden, nicht in Kreuzberg oder Connewitz. Mir | |
schreibt Kirsten lediglich von „Belästigungen“ seiner Mitarbeiter; | |
tatsächlich haben sich wohl auch einige seiner eigenen Kunden im Vorfeld | |
kritisch über die Zusammensetzung der Runde geäußert. Natürlich erkenne ich | |
die rechte Skandalisierungsabsicht, die gleich vom „linken Meinungsterror“ | |
schwadroniert. | |
Ich bin aber kein investigativer Journalist, der „rechte Netzwerke“ | |
aufdeckt. Mir liegt vielmehr daran, dass ein charismatischer Macher wie | |
Kirsten nicht aus Solidarität mit den angeblich Geächteten ins rechte Lager | |
überläuft. Sein Engagement für die Meinungsfreiheit ist ehrlich, der Rest | |
ist Privatsache. „Was ist konservativ?“ Die Frage ist damit keineswegs | |
erledigt. Im Gegenteil: Sie beginnt jetzt erst richtig spannend zu werden! | |
Zunächst versetzt die Soziologie den Konservativen einen ziemlichen | |
Dämpfer. | |
Bei [3][Andreas Reckwitz] von der Europa-Universität Viadrina in Frankfurt | |
(Oder) findet sich die Vorstellung der Konkurrenz zwischen einer alten | |
traditionellen und einer neuen Mittelschicht. Letztere wird gern als | |
kosmopolitisch und urban, als akademisch gebildet und innovativ | |
beschrieben; sie wählt natürlich grün. Bei der alten oder traditionellen | |
Mittelschicht gibt es dagegen eine höfliche Umschreibung für | |
kleinbürgerliches Spießertum. Zwar ist auch sie fleißig, doch fehlt ihr das | |
innovative Potenzial, um im globalen Wandel zu bestehen. | |
Ihre Werte sind einerseits traditionell, andererseits konsumistisch. Da in | |
der Gesellschaft ein traditionelles Wertefundament zunehmend infrage | |
gestellt wird, neigt sie zu irrationaler Elitenkritik und zum | |
Rechtspopulismus. Angehörige der traditionellen Mittelschicht wohnen am | |
Rande der Metropolen oder in Kleinstädten und fahren Diesel. Das Problem: | |
Ich finde mich in diesem schematischen Dualismus nicht wieder, halte ihn | |
sogar für falsch. | |
Berliner Hipster etwa zählen ganz sicher zur ersten Gruppe, und kommen | |
trotzdem äußerst homogen rüber. Ihr Weltbild ist genauso vorhersehbar und | |
statisch wie das eines Pegidisten – selbst ihre privaten Hobbys kennt man | |
im Grunde schon vorher (bei Männern im Zweifel was mit Craft Beer). Wäre es | |
da intellektuell nicht viel herausfordernder, die beiden Gegensätze in | |
einer Synthese zu versöhnen? Arbeitstitel: Aufgeklärter Konservatismus. | |
Historisch waren Aufklärung und Konservatismus seit jeher Gegner. | |
Da der Konservatismus eine Reaktion auf die Aufklärung war, konnte er sich | |
kritisch an ihr abarbeiten. Schon um 1790 erkannten Intellektuelle wie | |
Edmund Burke die Tendenz der auf der Aufklärung basierenden Französischen | |
Revolution, in radikale Ideologie und Terror umzuschlagen – die „Dialektik | |
der Aufklärung“ steht also auch in einer konservativen Traditionslinie. | |
## Kritik hilft dem Konservatismus aus seiner Statik | |
Umgekehrt verhilft die aufklärerische Kritik am Konservatismus diesem aus | |
seiner Statik, die oft darauf hinausläuft, einfach eine Ideologie zur | |
Verteidigung überkommener Machtverhältnisse zu sein: Patriarchat, | |
Kapitalismus, Kolonialismus. | |
Betrachten wir nun die beiden besonders umstrittenen Felder konservativer | |
Profilierungsversuche, wie die Heimat- und Leitkulturdebatte. Zunächst | |
einmal ist es schlicht peinlich, solche komplexen Phänomene auf Listen zu | |
reduzieren, in denen vom Brauch des Händeschüttelns bis zu Goethes „Faust“ | |
ein paar lose Versatzstücke zusammengetragen werden. Und wie | |
„Nationalromantiker“ à la [4][Björn Höcke] mit ein paar kitschigen Bilde… | |
von Burgen und deutschem Wald eine ungetrübte Idylle suggerieren. | |
Politisch wird die subjektive Identitätsbildung nämlich erst dann, wenn sie | |
ihre Selbstverständlichkeit eingebüßt hat. Andererseits hätten sich sicher | |
viele Ostdeutsche eine Leitkulturdebatte nach 1990 gewünscht; damals wurde | |
man lediglich auf das Grundgesetz, den Rechtsstaat und die soziale | |
Marktwirtschaft verwiesen, die durch einen formalen Rechtsakt über Nacht | |
auf einmal Gültigkeit auch für 16 Millionen Ostdeutsche erlangten. Und was | |
für Ostdeutsche gilt, dürfte auch bei Migranten nicht falsch sein. | |
Immerhin hat jetzt sogar die [5][CSU einen ersten muslimischen | |
Bürgermeisterkandidaten]! Verschiebt man nun die Debatte über die | |
Leitkultur vom (imaginären) Ursprung zu einer offenen Zukunft, entfaltet | |
sie plötzlich eine ganz neue Dynamik. Niemand „besitzt“ einen exklusiven | |
Anspruch auf Identität und Heimat, denn diese sind selbst Gegenstand | |
offener Aushandlungsprozesse. Stopp! Womöglich gehe ich jetzt doch etwas zu | |
weit. | |
„Aushandeln“ klingt nach Hippie-Kommune und Putzplan oder dem Jargon linker | |
Politikwissenschaft, wo dann natürlich auch das „solidarisch“ nicht fehlen | |
darf. Konservativ ist das eigentlich nicht. Aufgeklärt konservativ wäre der | |
Versuch, maximale Freiheit mit Gebundenheit zu kombinieren. Gegenüber den | |
Utopien des rein Wünschenswerten bedeutet das, dass gewisse Grundparameter | |
des kommunikativen Handelns bereits vorliegen: also das Grundgesetz zum | |
Beispiel, die deutsche Sprache und die kulturelle Tradition. | |
Und ja, auch Burgen und deutscher Wald existieren ja wirklich. Eher | |
habituell konservativ ist die von Andreas Reckwitz zuletzt geforderte | |
„Kultur der emotionalen Abkühlung“. Dies gilt nicht nur für Highperformer, | |
die einzig in intensiven Momenten so etwas wie Lebenssinn erkennen, sondern | |
auch für Trolle in sozialen Netzwerken. Leider gilt sie auch für linke | |
Aktivisten wie Philipp Ruch, dessen Anfang Oktober in der taz | |
veröffentlichte apokalyptische Fixierung auf 1933 die Kehrseite zu rechten | |
Bürgerkriegsfantasien bildet. | |
Anstelle einer hypermoralischen Cancel Culture, die Rechten lediglich einen | |
Opferstatus verschafft, wäre es viel intelligenter, sich als Patriot zu | |
positionieren. Nicht nur aus Blödelei und Lust an der Provokation, sondern | |
auch um zu signalisieren, dass man sich dieses Land nicht einfach wegnehmen | |
lässt! Doch was heißt das nun für aktuelle Megathemen wie beispielsweise | |
den Klimawandel? | |
## Positionierung als Patriot statt Cancel Culture | |
Es ist unbestritten, dass wir unseren Lebensstandard senken müssen, doch | |
staatliche Regulierungen oder gar Verbote kommen bei den Wählern schlecht | |
an. Aber auch die neue urbane Mittelschicht stellt ein Problem dar: Solange | |
Verzicht einem Hype folgt, eignet er sich zur Statusbestätigung. Ohne | |
Attila Hildmanns „Vegan for“-Kochbücher beispielsweise würden viele | |
Neuveganer noch heute den Kult um halbblutige Steaks zelebrieren. | |
Doch das urban-kosmopolitische Selbstverständnis ist auf Langstreckenflüge | |
angewiesen wie der Veganer auf Sojamilch. Die aktivistische Generation der | |
20-Jährigen scheint sich indes gerade auf andere Werte zu besinnen. Hier | |
erleben Verantwortungsbewusstsein, freiwilliger Verzicht, Disziplin und | |
Gemeinwohlorientierung eine Renaissance. Dass es sich dabei letztlich um | |
die konservativen Werte der alten Mittelschicht handelt, taugt nicht nur | |
als Schlusspointe. | |
26 Jan 2020 | |
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## AUTOREN | |
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