Introduction
Introduction Statistics Contact Development Disclaimer Help
# taz.de -- Konservative Heimatsehnsüchte: Das Herz schlägt rechts
> Wo bleiben die wahren Konservativen? Die mit intellektuellem Anspruch
> Pläne für eine lebenswerte Zukunft entwickeln?
Bild: Traumwelt vieler Konservativer: die 50er Jahre in der BRD
„Im politischen Spektrum Deutschlands gibt es seit den Tagen des Schwarzen
Riesen Helmut Kohl ein Vakuum auf der Rechten“, so schrieb schon vor zehn
Jahren Norbert Bolz, der inzwischen pensionierte Professor für und mit
Medienpräsenz und wackere Kämpfer gegen Öko-Puritaner, fanatische
Feministinnen, Familienzerstörer und linke Meinungshegemonen. Ein Vakuum im
Spektrum? Nun ja.
Der schnelle Gedankenbrüter beklagte jedenfalls das Fehlen eines
„anspruchsvollen Konservatismus“, der nach der Zwangssozialdemokratisierung
und [1][Entmännerung der CDU] eine „neue geistige, nämlich (!) konservative
Heimat“ bieten könne. Professor Bolz’ Sehnsucht zielte auf eine Partei für
die „Erfolgreichen“, auf eine Politik, die gegen den „vorsorgenden
Sozialstaat“ kämpft, für Christentum, Familie und Gymnasium – vor allem
aber für einen „unzweideutigen Schutz des Eigentums“, diesen „Stachel im
Fleisch der Loser“.
Nun, statt des ersehnten „Coming-out“ konservativer „Starintellektueller�…
setzten sich ein paar frustrierte Studienräte, erfüllt von Träumen einer
„konservativen Revolution“, und ein von der „süßen Krankheit Gestern“
befallener alternder Ex-Beamter an die Spitze einer krausen politischen
Bewegung: Xenophobe und Frauenfürchter, DM-Nostalgiker, enttäuschte
Spätstalinisten, Rentner, denen das Weltbild, Kleinhändler, denen die
Kundschaft abhandenkam, und, am beängstigendsten, schlecht ausgebildete
junge Männer aus entvölkerten Regionen.
Eine Mischung aus Ressentiment, Schlichtheit, aber auch verstehbarer Wut
über politische Stagnation angesichts drängender Notlagen und Probleme.
Eine disparate Bewegung, die durch nichts als Außendruck und vulgäre
Demagogie zusammengehalten wird, eine Partei, deren destruktive Gewalt
zunehmen wird, solange so viele Probleme von den Parteien der „Mitte“ nicht
angegangen werden. Parteien, die miteinander koalitionsfähig sind, aber
allesamt in sich zwei Flügel haben, die einander neutralisieren:
kosmopolitisch versus kommunitaristisch, wirtschaftsliberal versus
sozialstaatlich, grünkapitalistisch versus ökologisch-fundamental. Dieser
Binnenpluralismus und der real existierende Parlamentarismus verschleifen
alle Diskussion über Alternativen, erlauben schon gar keinen „Großen Plan“
zur Transformation der Gesellschaft.
An der [2][Höcke-Gauland-Truppe] ist nichts konservativ oder bürgerlich
außer ihrer Selbstetikettierung. Und die ist ärgerlich, denn ein
„anspruchsvoller“ Konservatismus, der seine Werte – Naturverbundenheit,
Heimatliebe, Pflichtbewusstsein, Gemeinschaft, Tradition, Christentum –
nicht nur zu Floskeln pervertierte, sondern zu konkreten Forderungen
zuspitzte, könnte den verstockten Sinn für Zukunft lockern.
Er wäre [3][radikalökologisch,] aus Achtung vor der Schöpfung und Vorsorge
für die Nachgeborenen, er würde die Zerstörung der Landschaft und der
Innenstädte bekämpfen, die Massentierhaltung verbieten. Er würde die
Privatisierung von Heimen und Kliniken rückgängig machen und über
Bürgerpflichten wie ein soziales Jahr nachdenken. Er würde Wohnungs- und
Produktionsgenossenschaften fördern, den Preis von Baugrund und Ackerland
kontrollieren, lokale Banken, Bürgerfonds und regionale
Wirtschaftskreisläufe stärken.
Konservative denken in historischen Gemeinschaften. Sie wissen deshalb,
dass jeder individuelle Reichtum sich der vergangenen „Arbeit der Nation“
verdankt und deshalb „an der Arbeit, die in unsichtbarer Verkettung alle
leisten … alle berechtigt sind“, wie Walter Rathenau 1917 schrieb, dass
deshalb „Eigentum, Verbrauch und Anspruch nicht Privatsache sind“. Für
diesen bürgerlich-konservativen Industriellen folgte daraus die Forderung,
die „verdienstlosen Massenerben“ zu enteignen und die großen
Industrieunternehmen mithilfe des Aktienrechts auf das Gemeinwohl zu
verpflichten.
Und schließlich: Konservative sind skeptisch gegenüber dem starken
Nationalstaat, emotional eher der Region, intellektuell aber eher einer
gesamteuropäischen Kultur verbunden – und damit Verteidiger einer
Lebensweise, die gegenüber der chinesischen Autokratie und der globalen
Plutokratie nur noch in einem politischen vereinten Europa zu bewahren ist
– auch wenn dazu das Militär gehört. Und als christliche Universalisten
sind sie einer aktiven Politik der globalen Gerechtigkeit verpflichtet –
auch wenn das mit Opfern verbunden ist.
Natürlich hat ein solch radikaler Konservatismus nirgendwo institutionelle
Gestalt angenommen, und koalitionsfähig wäre er schon gar nicht. Aber
unsere Gefühle angesichts der Zerstörung urbaner Lebensweise, des
Schrumpfens von Mittelstand, der Monetarisierung der Pflege, der
Belastungen des Familienlebens, der Verwahrlosung der Schulen, des
kommerziell angeheizten Hedonismus, der Schändung der Natur, angesichts von
Zwangsdigitalisierung und pathogener Beschleunigung der Gesellschaft –
diese Gefühle sind genuin konservativ. Sie wüten gegen einen Wandel, der
wie ein Schicksal über uns kommt, sie möchten an vielen Stellen bremsen und
rückbauen.
Ich bin sicher – auch wenn ich es nicht beziffern kann –, dass derartige
konservativen Regungen in einer satten Mehrheit der Bürger schlummern. Eine
Partei, die nur aus diesen Gefühlen ihr Programm formte, würde so radikal,
dass sie kaum koalitionsfähig wäre. Aber diesen konservativen Impuls in uns
zu stärken, das könnte die Lücke zwischen unserem Weltgefühl und unseren
politischen Handlungen ein wenig schließen, unser Leben kohärenter machen.
Es gibt da viele Gelegenheiten: im Alltagsumgang mit Lebensmitteln und
Dingen, in Stadträten und Parteiorganisationen, und auf den Wahlzetteln als
Stimme für die Partei, die diesem „anspruchsvollen“ Konservatismus am
nächsten kommt. Vor allem aber darf man das Wort nicht den Feinden der
Demokratie überlassen.
23 Feb 2020
## LINKS
[1] /CDU-nach-dem-Ruecktritt-von-AKK/!5663275
[2] /Pegida-Demonstration-in-Dresden/!5664930
[3] /Klimapolitik-der-Union/!5661106
## AUTOREN
Mathias Greffrath
## TAGS
CDU
Schlagloch
Konservatismus
Schwerpunkt Pegida
CDU
Schwerpunkt AfD
## ARTIKEL ZUM THEMA
Pegida-Demonstration in Dresden: Einheiz- gegen Einheitsfront
Zur 200. Pegida-Demo sprach am Montag Björn Höcke in Dresden. Widerstand
schlug ihm dieses Mal auch aus dem Bürgertum entgegen.
CDU nach dem Rücktritt von AKK: Die Stunde der Jungs
Gleich drei Männer aus Nordrhein-Westfalen bringen sich in Stellung für
Kramp-Karrenbauers Nachfolge. Die Zeit der starken CDU-Frauen geht zu Ende.
Plädoyer für aufgeklärten Konservatismus: Der AfD das Konservative klauen
Die aktivistische Generation besinnt sich auf Werte der alten
Mittelschicht. Dazu gehört Verzicht, Verantwortung und
Gemeinwohlorientierung.
You are viewing proxied material from taz.de. The copyright of proxied material belongs to its original authors. Any comments or complaints in relation to proxied material should be directed to the original authors of the content concerned. Please see the disclaimer for more details.