# taz.de -- Weniger Geld fürs Ehrenamt: Wer sich engagiert, zahlt drauf | |
> Das niedersächsische Sozialministerium fährt Ende des Jahres die | |
> Förderung der ehrenamtlichen Flüchtlingshilfe zurück. Die Grünen finden | |
> das falsch. | |
Bild: Dafür gibt es bald keine Aufwandsentschädigung mehr: Sprachunterricht i… | |
Osnabrück taz | Lilly Hugenberg ist kämpferisch, hochengagiert. Jeden | |
Montag bis Freitag, früh ab 9 Uhr, zeigt sich der Erfolg, den sie dabei | |
hat. Dann beginnt im Osnabrücker Remarque-Haus, einer | |
Erstaufnahmeeinrichtung des Landes Niedersachsen, der Sprachunterricht des | |
Vereins „Solidarisches Osnabrück“. | |
80 Migrantinnen und Migranten aus Stadt und Landkreis nehmen teil, | |
vierzügig, vom Alphabetisierungs- und Basis- bis zum A1-Kurs. Geflüchtete | |
aus Syrien und Ruanda lernen hier Deutsch, aus Russland und Kolumbien, aus | |
China und Afghanistan, aus Gambia und dem Iran. | |
Seit Anfang 2015 gibt es die Schule und viele ihrer Absolventinnen und | |
Absolventen sind heute perfekt integriert, haben eine Wohnung, einen Job. | |
Hugenberg ist die Pädagogische Leiterin. Sechs pensionierte Lehrerinnen und | |
Lehrer stehen ihr zur Verfügung, über ein Dutzend Studentinnen und | |
Studenten. Alle arbeiten ehrenamtlich. | |
Unterstützenswert, sollte man denken. Aber die Sonderförderung des | |
niedersächsischen Sozialministeriums, ausgezahlt über die | |
Freiwilligen-Agentur der Stadt Osnabrück, läuft im Oktober 2020 aus. Keine | |
Aufwands- und Auslagenerstattungen mehr für vorfinanzierte Lehr- und | |
Lernmaterialien, das kleine Pausen-Café, den monatlichen Treff, zu dem auch | |
Ehemalige kommen. „Vollkommen kurzsichtig“ findet Lilly Hugenberg das. | |
„Dann müssen wir wieder rumbetteln, und das ist extrem schwierig.“ | |
## Hilferuf an den Innenminister | |
Beunruhigt hat „Solidarisches Osnabrück“ Niedersachsens Innenminister Boris | |
Pistorius, seit jeher ein großer Unterstützer des Remarque-Hauses, Anfang | |
Januar einen Brief geschrieben. Nicht nur die Sprachvermittlung, auch die | |
psychosoziale Unterstützung sei „massiv gefährdet“. Pistorius möge sich | |
dafür einsetzen, dass die Gelder „zur Verfügung gestellt bleiben“. Eine | |
Antwort ist „bislang noch nicht erfolgt“, wie Ministeriumssprecher Pascal | |
Kübler der taz bestätigt. | |
„Solidarisches Osnabrück“ ist nur ein kleiner Teil des Problems. Auch | |
andere Ehrenamtliche, die Flüchtlingen helfen, bekommen demnächst keine | |
Erstattungen mehr, landesweit. | |
Oliver Grimm, Sprecher des Sozialministeriums, betont zwar, „dass die | |
Integration der vor Krieg und Vertreibung geflüchteten Menschen eine | |
Aufgabe ist, an der sich möglichst viele gesellschaftliche Gruppen | |
beteiligen sollten“, bürgerschaftliches und ehrenamtliches Engagement sei | |
„dabei bis heute eine tragende Säule, für die wir ausgesprochen dankbar | |
sind“. | |
Aber Grimm bestätigt zugleich, das Förderprogramm werde ab 2021 | |
„vollständig auslaufen“, wegen der „stark rückläufigen Zahl von | |
Geflüchteten, die in Niedersachsen Schutz suchen“. Für 2020 stehen noch 2,6 | |
Millionen Euro bereit, danach ist Schluss. Insgesamt sind von 2015 bis 2019 | |
10,76 Millionen Euro geflossen. | |
Zukünftig hätten dann alle Ehrenamtlichen „die gleichen Rahmenbedingungen�… | |
ob in der Flüchtlingsarbeit, im Sportverein oder bei der Feuerwehr. Dass es | |
in der Flüchtlingsarbeit ganz andere Aufwandslagen gibt, schließlich geht | |
es nicht zuletzt um die Ermöglichung gesellschaftlicher Teilhabe teils | |
Mittelloser, findet keine Berücksichtigung. | |
17.000 Euro flossen letztes Jahr nach Osnabrück, nicht zuletzt zu | |
„Solidarisches Osnabrück“. Ein Betrag, für den die Ratsfraktion der | |
Osnabrücker Grünen einen Vorschlag hat: Die Stadt selbst soll notfalls für | |
ihn aufkommen. Die Verwaltung möge in der nächsten Sitzung des | |
Sozialausschusses „eine Alternative“ aufzeigen. Anfang März ist es so weit. | |
Anke Jacobsen, sozialpolitische Sprecherin der Osnabrücker Grünen und | |
Vorsitzende des Sozialausschusses, kritisiert die Landesregierung scharf: | |
„Eine fatale Entscheidung! Es darf nicht sein, das Ehrenamtlichkeit hier | |
dann nur noch denen möglich ist, die es sich leisten können, den kompletten | |
Aufwand selber zu finanzieren.“ Damit nicht „viele ihr Engagement an den | |
Nagel hängen“, gelte es, in Hannover Druck zu machen: „Da sollten | |
nachträglich Gelder in den Landeshaushalt eingestellt werden!“ | |
Was die Stadt Osnabrück zu alldem sagt? Man weiß es nicht. Eine Anfrage der | |
taz ließ sie unbeantwortet. | |
20 Jan 2020 | |
## AUTOREN | |
Harff-Peter Schönherr | |
## TAGS | |
Flüchtlinge | |
Geflüchtete | |
Sprachkurse | |
Ehrenamt | |
Integration | |
Geflüchtete Frauen | |
Flüchtlinge | |
Krieg | |
## ARTIKEL ZUM THEMA | |
Reden über geflüchtete Frauen: Puh, diese armen Frauen! | |
Bei einer Debatte der Integrationsverwaltung über „Geflüchtete als | |
Expert*innen ihrer selbst“ sind geflüchtete Frauen abwesend. | |
Negativpreis für Alternativ-Landkreis: Der Goldene Horst geht ans Wendland | |
Der Landkreis Lüchow-Dannenberg nutzt Geld, das ihm für die Versorgung von | |
Geflüchteten zur Verfügung gestellt wurde zur Haushaltssanierung. | |
Ehrenamt trotz Ruhestand: Gegen das Schweigen ankämpfen | |
Bosiljka Schedlich betreut seit fast 30 Jahren Kriegsflüchtlinge aus | |
Ex-Jugoslawien. Auch mit 70 denkt sie nicht ans Aufhören. |