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# taz.de -- Proteste im Iran: Zeit für diplomatische Härte
> Die Europäische Union will das Atomabkommen mit Iran um jeden Preis
> retten. Die Verlierer dabei sind die Oppositionellen im Land.
Bild: Iraner bei einer Mahnwache am 11. Januar für die Opfer des abgeschossene…
Seine Mutter stand neben ihm, als eine Kugel den Schädel von Puya
Bakhtiari zerbarst. Gemeinsam mit ihr und seiner Schwester war der
27-Jährige in der iranischen Stadt Mehrshahr auf die Straße gegangen, um
gegen massiv erhöhte Benzinpreise zu protestieren. Am 16. November 2019
wurde Puya eines der ersten Opfer des iranischen Regimes, das [1][die bis
dahin größten Proteste seit Gründung der Islamischen Republik] 1979 mit
äußerster Gewalt niederschlug.
Der US-Sonderbeauftragte für Iran, Brian Hook, erklärte Anfang Dezember,
also gut zwei Wochen nach Beginn der Demonstrationen, dass es mehr als
1.000 Todesopfer gegeben habe; etwa 7.000 Protestierende waren bis zum 26.
November laut offiziellen iranischen Angaben inhaftiert worden. Zu den
Toten gehören laut Amnesty International auch Minderjährige; der 15-jährige
Mohammad Dastankhah wurde mit einem Schuss in die Brust getötet, als er auf
dem Heimweg von der Schule war.
Die deutsche Reaktion angesichts der faktischen Hinrichtung Hunderter von
Menschen Ende letzten Jahres? Der Protest der Iraner sei „legitim“ und
verdiene „Respekt“, hieß es von der Bundesregierung. Die Gewalt gegen die
Demonstranten sei „unverhältnismäßig“.
## Europas Strategie ist nicht aufgegangen
Nun ist die drängendste Frage in der EU: Wie geht es weiter mit dem
Atomabkommen? Die Europäer wollen verhandeln und die Iraner überzeugen, im
Abkommen zu verbleiben. Diese Woche wurde [2][der sogenannte
Streitschlichtungsmechanismus ausgelöst]. All das, während in Iran wieder
Menschen auf die Straße gingen und gegen das iranische Regime
protestierten. Wieder gab es Verhaftungen. Mit diesem Regime, glauben die
Europäer weiterhin, ließe sich ernsthaft verhandeln. Natürlich muss jede
Lösung des Konflikts in der Diplomatie und nicht im Militärischen liegen.
Aber die Strategie der Europäer gegenüber Iran ist bisher nicht
aufgegangen.
Denn auch Demonstrationen in den Jahren zuvor waren vom iranischen Regime
niedergeschlagen worden. Dass die Regierenden bei den Protesten Ende
letzten Jahres kurzen Prozess gemacht haben, liegt auch daran, dass sie von
EU-Seite keinerlei Konsequenzen dafür erfahren mussten, als sie auch in den
vorherigen Protesten Menschen massenhaft inhaftiert und getötet hatten. Im
Gegenteil; mit dem Atomabkommen aus dem Jahr 2015 gewann das Regime sogar
an internationaler Legitimierung. Die Hoffnungen, die die iranische
Bevölkerung in das Atomabkommen gesetzt hatte – ökonomische Erleichterungen
–, haben sich nie erfüllt. Das Geld, das durch die Lockerung von Sanktionen
ins Land floss, steckten sich Angehörige des Regimes und der
Revolutionsgarden in die Taschen. Außerdem finanzierte das Regime die
militärischen und politischen Interventionen im Irak, in Syrien und im
Libanon.
Die Europäer verkennen, dass das Regime großer Profiteur des Atomabkommens
ist. Die Führungsriege um Revolutionsführer Ajatollah Chamenei war anfangs
gegen einen Deal. Aber auch sie haben inzwischen verstanden, wie opportun
dieses Abkommen für sie ist. Das ist der wesentliche Grund dafür, warum
Iran noch immer nicht ausgestiegen ist – obwohl [3][die USA, der wichtigste
Vertragspartner, das Abkommen schon lange nicht mehr stützen.]
## Aggressive Politik Teherans
Muss man Iran von einer Atombombe abhalten? In jedem Fall. Aber die Lösung
kann nicht sein, eben jenes Regime zu unterstützen und zu stärken, von dem
man die Bombe fernhalten will. Israel war von Anfang an gegen das
Atomabkommen – obwohl es wohl das erste Opfer einer iranischen Atombombe
wäre. Das iranische Regime hat mit seiner antisemitischen und
antiisraelischen Rhetorik immer wieder klargemacht, dass es nicht zögern
würde, Israel direkt anzugreifen – über die Unterstützung von Hamas und
Hisbollah tut es das bereits auf indirektem Wege. Warum also ist Israel
gegen das Abkommen? Weil es unter der aggressiven Regionalpolitik Irans
leidet und dies auch mit dem Atomabkommen in Verbindung bringt.
Nicht nur Israel fühlt sich von Europas Politik im Stich gelassen. Jene
Iraner und ihre Familien, die seit Jahren gefoltert, eingesperrt und von
ihrem eigenen Regime massakriert werden, zählen schon lange nicht mehr auf
die Europäer. Die EU-Politik setzt seit Jahren auf „Stabilität“ im Nahen
Osten. Dass es dabei die iranische Bevölkerung in ihrem Aufbegehren gegen
das Regime nicht nur nicht unterstützt, sondern regelrecht schwächt,
scheint die EU-Regierungen nicht zu kümmern.
Die Regierenden in Teheran sind nervös. Auch wenn sie in der Öffentlichkeit
wenig Beachtung finden: Iraner, die gegen das Regime sind, laut oder leise,
gibt es viele. Viele Menschen im Land haben genug von Korruption,
wirtschaftlicher Misere und Repression. Jetzt ist nicht die Zeit, das
Regime durch finanzielle Hilfen oder diplomatisches Entgegenkommen
aufzupäppeln. Das macht weder das Risiko einer militärischen
Auseinandersetzung noch einer iranischen Atombombe kleiner. Denn auch das
Atomabkommen beendet die nuklearen Ambitionen Irans nicht, es bremst sie
nur. Warum die EU hofft, die Situation mit Iran würde sich in den
nächsten Jahren entspannen, erschließt sich nicht. Die USA sanktionieren
Angehörige des Regimes, die Menschenrechtsverletzungen begehen, konsequent.
Die Europäer sollten sich dieser US-amerikanischen und von Israel
unterstützten Politik und der – selbst nur rhetorischen – Unterstützung d…
inneriranischen Regimegegner anschließen. Nun kann man von Trump und seiner
Nahostpolitik halten, was man will. Aber die Regimegegner in Iran nehmen
sehr wohl wahr, ob sie von der Welt gesehen und gehört werden.
Nur das kann glaubwürdige Politik gegenüber einem Regime sein, das seine
eigene Bevölkerung foltert, einsperrt und tötet. Puya Bakhtiari und
Mohammad Dastankhah sind nur zwei der vielen Opfer, die dieses Regime auf
dem Gewissen hat.
18 Jan 2020
## LINKS
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## AUTOREN
Gilda Sahebi
## TAGS
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