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# taz.de -- Familienzusammenführung II: Ein zähes Mädchen
> Narges Zahra* ist ohne ihre Familie von Griechenland nach Berlin
> geflohen. Die Behörden dort kümmerten sich gar nicht um Flüchtlinge.
Bild: Aus Sicherheitsgründen und weil Narges* minderjährig ist, hier nur ein …
Berlin taz | Wenn Narges Zahra* aus Afghanistan ihre Geschichte erzählt,
liegt ein zartes Lächeln auf ihrem dezent geschminkten, von einem hellen
Hidjab umrandeten Gesicht. Dabei berichtet die 16-Jährige von
Geschehnissen, die niemand erleben sollte: Wie sie mit 12 Jahren als
Flüchtling im Iran zweieinhalb Jahre lang, sieben Tage die Woche als
Näherin schuften musste, wie sie im Flüchtlingslager Moria auf Lesbos neun
Stunden am Tag für Essen anstand, drei Stunden für jede Mahlzeit. „Und
abends gab’s oft nur ein Ei“, sagt sie – und wieder gehen ihre Mundwinkel
nach oben. Nur als Narges nach ihrer Familie gefragt wird, füllen sich ihre
Augen mit Tränen. Ja, sagt sie knapp, sie telefoniere täglich mit den
Eltern. Und ein stummes Kopfschütteln folgt auf die Frage, ob sie weiß, wie
es nun weitergeht.
Seit drei Monaten ist Narges in Berlin, Vater, Mutter und die fünf
Geschwister sind in Athen. „Die Behörden dort kümmern sich gar nicht um
Flüchtlinge“, erzählt sie. Es gebe keinerlei Unterstützung und keine
Lebensgrundlage. Zuvor hat die Familie aus Kabul zehn Monate in Moria
gelebt, unter den bekannten unmenschlichen Bedingungen. „Wir sind aus
Afghanistan weggegangen, weil wir Angst um unser Leben hatten. Aber in
Moria war es nicht besser. Erst mussten wir eine Woche auf der Straße
schlafen. Dann haben wir zwei kleine Zelte bekommen. Aber die bieten keinen
Schutz, nachts überfallen Leute die Flüchtlinge, nehmen ihnen Handys und
Geld ab. Aus Furcht haben wir nie richtig geschlafen“, erzählt sie.
Um die Zeit im Lager zu nutzen, nahm sich Narges vor, Englisch zu lernen:
Sie lernte den dänischen Flüchtlingshelfer Salam Aldeen von der
Organisation Team Humanity kennen, der neben dem Lager ein Zentrum für
Frauen und Kinder eingerichtet hat (inzwischen wurde er deswegen in
Abschiebehaft genommen), und half ihm bei seiner Arbeit.
„Sie war ein Flüchtling und hat selbst anderen Flüchtlingen geholfen“, sa…
Andreas Tölke mit Stolz in der Stimme. Der Chef des Vereins Be an Angel und
des Flüchtlingsrestaurants Kreuzberger Himmel hat sich in Berlin der jungen
Afghanin angenommen und gerade die Vormundschaft für sie beantragt, damit
er ihr beim Asylverfahren und dem Nachholen der Familie helfen kann. Tölkes
Adresse hatte Narges von Salaam Aldeen bekommen, als sie und ihre Familie
in Moria einen „schwarzen Stempel“ in ihren Flüchtlingsausweis bekamen und
damit die Insel Richtung Athen verlassen konnten.
## „Wir schaffen das“
Narges Familie nach Berlin zu bringen, werde nicht einfach, erklärt Tölke.
Erst müsse ihr Asylverfahren hier eröffnet werden, also Deutschland sich
für ihren Fall zuständig erklären – EU-Einreiseland ist ja Griechenland �…
dann müssten die griechischen Behörden beim Bamf die
Familienzusammenführung beantragen. „Das alles kann dauern, zumal die
griechische Bürokratie ja noch eine größere Katastrophe ist als unsere“,
sagt Tölke. Besonders schwierig könnte es zudem für ihre volljährige
Schwester werden – Nachziehen dürfen eigentlich nur minderjährige
Geschwisterkinder. „Aber wir schaffen das“, schiebt er schnell in Richtung
Narges nach, der bei diesen Aussichten wieder die Tränen kommen.
Dass sie zäh genug ist, auch diesen Kampf durchzustehen, glaubt man sofort.
Das Clearing-Verfahren zur Altersfeststellung liegt hinter ihr, den Versuch
des Jugendamts, sie nach Brandenburg zu überweisen, habe sie „bravurös
abgewehrt“, erzählt Tölke anerkennend. Nach vier Stationen in Einrichtungen
für unbegleitete minderjährige Flüchtlinge lebt sie nun in einer WG mit
fünf Altersgenossinnen, inklusive zweier anderer afghanischer Mädchen. Sie
geht in die Schule, lernt Deutsch, spielt Fußball. „Ja, ich habe viele
Freunde gefunden. Es geht mir gut“, sagt sie und lächelt.
*Name geändert
24 Dec 2019
## AUTOREN
Susanne Memarnia
## TAGS
Schwerpunkt Flucht
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Linda Teuteberg
Schwerpunkt Flucht
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Familiennachzug
Sea-Watch
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