# taz.de -- Familienzusammenführung III: „Das war Karma“ | |
> Flüchtlingshelfer Andreas Tölke über seinen Fulltimejob beim Verein „Be | |
> an Angel“, die Widrigkeiten des Asylsystems und beglückende Momente. | |
Bild: Andreas Tölke im Restaurant „Kreuzberger Himmel“ | |
taz: Herr Tölke, sind Sie ein Engel? | |
Andreas Tölke: Um Gottes Willen, nein! Engel rauchen nicht, trinken nicht, | |
haben keinen Sex und schweben über allen Dingen! Ich bin das Gegenteil. | |
Warum heißt Ihr Verein dann „Be an Angel“? | |
Das ist nicht mein Verein. Er ist schon vor längerer Zeit gegründet worden, | |
damals von Menschen aus dem Bürgertum, die Kinder in Notsituationen | |
unterstützen wollten. Der Verein lag dann brach. 2015 wurde er | |
revitalisiert und es kamen viele Neuzugänge, unter anderem ich. | |
2015, als die Lageso-Krise mit den vielen unversorgten Flüchtlingen war? | |
Genau. | |
Inzwischen sind Sie der Kopf des Vereins. Sie haben Hunderte Flüchtlinge in | |
Ihrer Wohnung schlafen lassen, hunderte Wohnungen besorgt, Jobs, Anwälte … | |
Hunderte Anwälte nicht! Das sind ungefähr 15. | |
Klingt trotzdem nach einem Fulltime-Job. | |
Ist es. | |
Warum machen Sie das? | |
Ich habe 30 Jahre lang als Journalist im Luxusbereich gearbeitet. Ich finde | |
Luxus wichtig, sinnvoll, nachhaltig: Lieber einen Gucci-Gürtel für 15 Jahre | |
als 50 Primark-Gürtel in einem Monat. Ich habe aber immer gedacht, dass ich | |
wahnsinnig viel von dieser Welt nehme und wenig zurückgebe. Dann hat sich | |
das mit dieser neuen Aufgabe einfach ergeben, das war Karma! | |
War die Lageso-Krise für Sie also ein „Glücksfall“, weil Sie durch Ihr | |
Engagement einen neuen Sinn gefunden haben? | |
Ich möchte jetzt nicht sagen, dass das Elend anderer zu meinem Glück | |
beigetragen hat. Aber ich … (Nachdenkpause) fühle mich sehr wohl mit dem, | |
was ich mache. Und bin nach wie vor sehr glücklich für jeden Einzelnen, bei | |
dem wir etwas bewegen können. Wir arbeiten auch auf politischer Ebene, | |
machen Lobbyarbeit, sitzen in Fachausschüssen. Aber das Tollste ist, wenn | |
jemand nach vier Stunden bei der Ausländerbehörde eine sechsmonatige | |
Duldung bekommt, das noch gar nicht fassen kann und sich auf dem Weg zum | |
Ausgang an die Wand lehnt und nur noch zittert – weil die Last von den | |
Schultern fällt und auf einmal eine Perspektive da ist. Das ist ein Moment, | |
wo ich irrsinnig berührt bin, dass ich – im wahrsten Sinne des Wortes – die | |
Ehre habe, daran teilzuhaben, obwohl ich für diese Person ein wildfremder | |
Mensch bin. Das hört sich pathetisch an, aber so ist es. | |
Aber ist die Arbeit nicht auch frustrierend bei all den Widrigkeiten des | |
Asylsystems? | |
Berlin ist ja in der Summe eine dysfunktionale Stadt. Aber ich finde, bei | |
Menschenleben ist aufgeben einfach keine Option! Natürlich scheitert man | |
auch: Wir haben zum Beispiel acht Menschen verloren, die nach Afghanistan | |
deportiert wurden, davon sind drei mittlerweile tot! | |
Waren die aus Berlin? | |
Nein, wir arbeiten ja mittlerweile bundesweit. Das kam so: Wir haben 2015 | |
am Lageso gearbeitet und zusammen mit anderen Organisationen, vor allem | |
Moabit hilft, mit denen wir bis heute freundschaftlich verbunden sind, die | |
Leute durch den Registrierungsprozess begleitet. Weil viele von ihnen dann | |
per Königsteiner Schlüssel auf andere Bundesländer verteilt wurden, haben | |
wir ein Netzwerk von Organisationen in der ganzen BRD aufgebaut, die | |
„unsere“ Fälle vor Ort übernehmen – und wir nur noch im Hintergrund | |
versuchen ihnen weiter zu helfen. | |
Sie verfolgen die Schicksale Ihrer „Schützlinge“ auch nach einer | |
Abschiebung weiter? | |
Ja, wir arbeiten auch mit einer afghanischen Organisation zusammen und mit | |
der Internationalen Organisation für Migration (IOM), die die | |
„Rückführungen“ macht, bei denen die Leuten ja angeblich mit Geld | |
ausgestattet werden und in Kabul Unterkunft haben sollen – was aber | |
inzwischen nicht mehr passiert, die Menschen landen wirklich auf der | |
Straße. Da wird von der Bundesregierung viel Augenwischerei betrieben. | |
Es gibt ja für Flüchtlinge mit subsidiärem Schutz ein Kontingent von 12.000 | |
Familienangehörigen, die pro Jahr nachgeholt können. Wie klappt das aus | |
Ihrer Sicht? | |
Haha, sagen wir mal: bescheiden. Am Anfang waren die Zahlen ja deutlich | |
unter den avisierten 1.000 pro Monat. Mittlerweile werden die Zahlen zwar | |
eingehalten, aber ansonsten ist es eine Vollkatastrophe. Schon das | |
Auswahlverfahren, wer in den Glückstopf reinrutscht, ist überhaupt nicht | |
nachvollziehar. Dann: Die Leute müssen in der Türkei ihre Papiere bei der | |
IOM abgeben, die gibt sie weiter an die deutsche Botschaft. Auf dem Weg | |
gehen aber schon mal Akten verloren, so ist es übrigens auch Familie | |
Kamurgi passiert. | |
Betreuen Sie Familien, die noch auf Zusammenführung warten? | |
Ja, in der Türkei zum Beispiel sechs. Was uns aber derzeit noch größere | |
Bauchschmerzen macht, ist die Situation in Griechenland. Die Zustände in | |
Moria auf Lesbos sind ja bekanntermaßen katastrophal: In einem Lager, das | |
für 3.500 Menschen ausgelegt sind, leben jetzt 14.000. Unter solchen | |
Bedingungen Zusammenführungen organisieren, ist äußerst schwierig. Dabei | |
gibt es ein Urteil des Europäischen Gerichtshof, das besagt, nach drei | |
Monaten muss eine Familie zusammen gebracht werden, wenn ein Angehöriger | |
sein Asylverfahren in Deutschland hat. | |
Die Behörden dort wissen wahrscheinlich gar nicht immer, wer in Moria lebt, | |
oder? | |
Die Kids, die es – auf welchen Wegen auch immer –, von dort hierher | |
schaffen, wissen natürlich, dass ihre Eltern dort sind. Aber manche müssen | |
in Moria bis zu drei Jahre auf ihre Registrierung warten, weil die | |
Bürokratie in Griechenland völlig überfordert ist! Und ohne Registrierung | |
können sie natürlich nicht mit Angehörigen in Deutschland zusammengeführt | |
werden. Ich will damit nicht sagen, dass Griechenland Schuld ist: Europa | |
hat das Land seit dessen Finanzkrise alleine gelassen. Und auch jetzt ist | |
es eigentlich nur ausführendes Organ einer Flüchtlingspolitik, die von | |
Europa gewollt ist. | |
Wenn Sie einen Weihnachtswunsch frei hätten: Was wäre das? | |
Asylgesetze auf dem Stand der Genfer Konvention: Flucht ist ein | |
Menschenrecht. Oder um es praktisch zu sagen: Meine Großeltern sind als | |
Juden im KZ umgekommen. Wenn sie vorher hätten flüchten können, hätte ich | |
mit ihnen aufwachsen können. Also was kann für uns nur eine logische | |
Forderung sein? Sichere Fluchtwege und die Möglichkeit, hier ein neues | |
Leben anzufangen. | |
24 Dec 2019 | |
## AUTOREN | |
Susanne Memarnia | |
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