| # taz.de -- Die Wahrheit: Botschafter mit Schweißflecken | |
| > Die Anwerbung ausländischer Fachkräfte für den deutschen Arbeitsmarkt | |
| > scheitert oft an deren ausgeprägten Kenntnissen über das Zielland. | |
| Jürgen Münsterwald war nass. Der Schweiß wollte nicht aufhören, aus all | |
| seinen Poren zu strömen. Münsterwald lag in seinem Hotelzimmer und starrte | |
| an die Decke, an der ein Ventilator hing, der sich so langsam drehte, dass | |
| er dem Schwitzenden keine Linderung verschaffte. Die Hitze in dieser | |
| gottverdammten Ecke dieser Welt, sie würde ihn eines Tages noch umbringen, | |
| da war er sich sicher. Nicht zum ersten Mal hatte er in der vergangenen | |
| Nacht davon geträumt, im eigenen Schweiß zu ertrinken. Schon kurz nachdem | |
| er in dem Land angekommen war, hatte er begonnen, Indien zu hassen. | |
| Er dachte an Albanien und musste lächeln. Auch in Albanien hatte er sich | |
| selten wohlgefühlt. Das Essen dort hatte ihm zu schaffen gemacht und er | |
| hatte über einen Zeitraum von mehreren Monaten keinen festen Stuhlgang | |
| mehr. Da war es selbst in Vietnam besser, obwohl er dort den vielleicht | |
| unangenehmsten Brechdurchfall seines Lebens hatte, ein wenig schlimmer noch | |
| als jener, der ihm in Brasilien einen dreiwöchigen Krankenhausaufenthalt | |
| eingebrockt hatte. Dass er einmal mit einem wohligen Lächeln auf dem | |
| Gesicht an seine Zeit im Land der Skipetaren zurückdenken würde, er hätte | |
| es seinerzeit nicht für möglich gehalten. Aber in Albanien hatte er eben | |
| seine größten Erfolge. | |
| Es war sein erster Einsatz im Auftrag der Bundesregierung. Als eine Art | |
| Headhunter im Staatsauftrag hatte man ihn nach Albanien geschickt. Zuvor | |
| hatte er eine Ausbildung als Fachkraft für Fachkräfteansprache absolviert. | |
| Man hatte ihm beigebracht, wie man Fachkräfte gezielt anspricht, um sie | |
| nach Deutschland zu locken. Es war damals viel gelacht worden über den | |
| Vorschlag des Bundesgesundheitsministers, Pflegepersonal aus Albanien | |
| anzuwerben. Doch als die ersten Alten an den Folgen eines Stromschlags | |
| starben, weil der Pflegeroboter, der ihnen gerade die Windeln wechselte, | |
| einen Kurzschluss verursacht hat, wurde der Ruf nach Pflegekräften aus dem | |
| Ausland wieder lauter. Sogar Albaner waren plötzlich gefragt. | |
| Ganz geheuer war ihm angesichts seiner Vermittlungen seinerzeit nicht. | |
| Münsterwald hatte lange gebraucht, bis die Angst wich, die ihn plagte, | |
| nachdem er zwei Altenpflegerinnen aus Tirana an „Heiko’s Pflegeservice“ in | |
| Bedburg vermittelt hatte. Er kannte den Ort im Rhein-Erft-Kreis gut genug, | |
| um ermessen zu können, dass es reichlich Gründe gab, ihm wegen seiner | |
| Vermittlungstätigkeit nach dem Leben zu trachten. Was, wenn die Brüder der | |
| Pflegeschwestern Rache üben wollten, weil er die beiden Frauen in dieses | |
| elende Kaff vermittelt hatte. Was, wenn ihm deshalb zwei finstere Albaner | |
| mit gezückten Messern vor seiner Tür auflauern würden? Auch an Münsterwald | |
| war nicht vorübergegangen, was man sich so über Albaner erzählte. | |
| ## Höchste Rollatordichte | |
| Gottlob waren nie Racheengel gekommen. Stattdessen bekam er seit Jahren zum | |
| Jahreswechsel Grußkarten aus Bad Oeynhausen. Ein albanischer Altenpfleger | |
| bedankte sich ein ums andere Jahr bei ihm, dass er ihn dorthin vermittelt | |
| hatte. Münsterwald lief jedes Mal ein Träne über die Wange, wenn er am | |
| Jahresende die Karte des Albaners in seiner Post entdeckte. Bad Oeynhausen! | |
| Ausgerechnet. Die Ort gewordene Ödnis. Die Stadt mit der wahrscheinlich | |
| höchsten Rollatordichte in der gesamten OECD. Es war die Erinnerung an | |
| diese Neujahrsgrüße, die Münsterwald für einen Moment das Elend vergessen | |
| ließ, in dem er sich befand, seit er seinen Dienst in Neu-Delhi angetreten | |
| hat. | |
| ## Messingschild vom Minister | |
| Dabei war er beinahe ein wenig stolz, als er das Messingschild, das ihm der | |
| Wirtschaftsminister persönlich mit auf die Reise gegeben hatte, neben der | |
| Tür zu seinem Büro angebracht hat. „Bundesamt zur gezielten Ansprache von | |
| Fachkräften zwecks Anwerbung für ein Beschäftigungsverhältnis in der | |
| Bundesrepublik Deutschland – Außenstelle Neu-Delhi“ stand darauf | |
| geschrieben. Er kam sich vor wie ein kleiner Botschafter, als er sich das | |
| erste Mal hinter seinen Schreibtisch setzte. Was ihn störte, war allein die | |
| schwüle Hitze. Und so war das Erste, was er an seinem neuen Arbeitsplatz | |
| tat, eine Googlerecherche anzustrengen. Er wollte wissen, welche Deos User | |
| zur Bekämpfung von Schweißflecken unter den Achseln empfehlen. Schon am | |
| zweiten Arbeitstag wollte er hinaus und voller Tatendrang tun, weswegen man | |
| ihn nach Indien geschickt hatte – Fachkräfte gezielt ansprechen. | |
| Weit musste er sich dafür nicht aus dem Hotel fortbewegen, in das man ihn | |
| untergebracht hat. Nachdem er festgestellt hatte, dass die Klimaanlage in | |
| seinem Zimmer nicht funktionierte, hatte er einen Elektriker angefordert. | |
| Als er den Mann sah, der sich daran machte, das Gerät, das noch aus der | |
| Kolonialzeit zu stammen schien, zu reparieren, breitete er sich innerlich | |
| auf die gezielte Ansprache vor. „Mein Name ist Münsterwald“, sagte er, „… | |
| ich möchte Ihnen eine Stelle als Elektriker in Deutschland anbieten.“ Der | |
| Angesprochene erwiderte das Angebot mit einem freundlichen „Heil Hitler!“. | |
| ## Elektriker mit Formular | |
| Münsterwald bewahrte Ruhe und machte einfach weiter im Text. „Ein | |
| Personaldienstleister in Zwickau hat ein schönes Angebot“, sagte er im | |
| besten Englisch, das ihm zur Verfügung stand. „Dort könnten Sie morgen | |
| anfangen. Sie brauchen vorher nur einen Deutschkurs zu machen, müssen dann | |
| ihre Sprachkenntnisse in einem Test nachweisen, und wenn Sie Ihre Frau | |
| mitnehmen wollen, dann muss auch die nichts weiter tun, als Deutsch zu | |
| lernen. Wie wär’s?“ Er reichte dem Elektriker ein Formular zur konkreten | |
| Anwendung des Fachkräfteeinwanderungsgesetzes. „Zwickau?“, fragte der | |
| Elektriker, und: „Sie wissen schon, dass wir in Indien hier Internet | |
| haben?“ Dann referierte er alles, was er über den NSU wusste, über das | |
| Versteck des Terrornetzwerks in Zwickau, dass dort im Fußballstadion schon | |
| einmal „NSU!“ skandiert worden ist und erst jüngst ein Baum, der zum | |
| Gedenken an die Mordopfer der Terrorbande gepflanzt worden sei, zersägt | |
| worden ist. | |
| ## Chancenlos in Neu-Delhi | |
| Münsterwald sah schnell, dass er hier keine Chance hatte. In den folgenden | |
| Wochen erlebte er bei seinen gezielten Ansprachen immer wieder | |
| vergleichbare Situationen. Der Sanitärtechniker, den er nach Bad Homburg | |
| vor der Höhe vermitteln wollte, wusste alles über Nazis in der hessischen | |
| Polizei, und der Zerspanungsmechaniker, für den er eine Stelle in | |
| Brandenburg hatte, referierte ihm die Neonazivergangenheit eines | |
| Fraktionsvorsitzenden im Potsdamer Landtag. Schnell wurde er im ganzen | |
| Viertel mit „Heil Hitler!“ begrüßt. Und ebenso schnell wusste er, dass er | |
| wohl nie einen Inder nach Deutschland vermitteln würde. | |
| Der Elektriker, jener Mann, den er als Ersten gezielt angesprochen hatte, | |
| war übrigens nicht in der Lage, die Klimaanlage zu reparieren. Die sei wohl | |
| nach aus der Kolonialzeit, witzelte er und montierte stattdessen einen | |
| Ventilator an der Zimmerdecke. Münsterwald starrte die sich langsam | |
| drehenden Rotorblätter an und schwitzte. | |
| 4 Jan 2020 | |
| ## AUTOREN | |
| Andreas Rüttenauer | |
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