# taz.de -- Zukunftsforscher über Sport: „Nah dran an Digital Natives“ | |
> Hologramme, die in Stadien Fußball spielen, und E-Sport als | |
> Massenphänomen? Was sich im neuen Jahrzehnt im Sport ändern wird. | |
Bild: E-Sport-Veranstaltung auf der Paris Game Week | |
taz am wochenende: Herr Schmidt, beginnen wir das Gespräch mit einem | |
Szenario: Sport im Jahre 2029, wie könnte der aussehen? | |
Sascha Schmidt: Sport im Jahr 2029 sieht, was die Großevents angeht, | |
relativ ähnlich aus wie heute. Was sich verändern wird, ist deren Konsum. | |
Heute sehen wir schon erste Versuche mit Augmented Reality, wie bei dem | |
[1][5G-Projekt der DFL im Stadion des VfL Wolfsburg], wo Zuschauer mit | |
einer App in Echtzeit Statistiken und individuelle Werte von Spielern | |
abrufen können. | |
Wie funktioniert das? | |
Die Zuschauer können ihr Smartphone-Display in Richtung Spiel halten und | |
bekommen dann beispielsweise die Schnelligkeit eines Stürmers angezeigt, | |
der gerade aufs Tor zurennt, oder seine Erfolgsquote der letzten | |
Torschüsse. So etwas wird 2029 Standard sein. Sport wird ganz anders | |
konsumiert werden. | |
Was bedeutet das konkret? | |
Im Stadion selbst wird die Realität angereichert. Für 2029 können wir davon | |
ausgehen, dass Datenbrillen nutzerfreundlich sind. Über eine Datenbrille | |
bekommen Sie Leistungsdaten und Statistiken zum Spiel. | |
Will der Kunde so etwas denn? | |
Wir haben kürzlich [2][eine Studie durchgeführt], bei der wir Fußballfans | |
in Deutschland befragt haben. Da sehen wir ganz klar, dass die Generation | |
Z, also Menschen aus den Geburtenjahrgängen 1997 bis 2009, ganz natürlich | |
während des Spiels einen zweiten Bildschirm für Informationen nutzt. | |
Generell könnten technische Hilfsmittel auch im Wettkampf zugelassen | |
werden. Es kann sein, dass bis 2029 zum Beispiel leistungsverstärkende | |
Schuhe zugelassen sind. Oder Kapseln, die man schluckt, und die Auskunft | |
über die körperliche Belastung geben. | |
Solche Kapseln hat es in Katar bei der Leichtathletik-WM schon gegeben. | |
Genau, in Doha wurden sie zu Testzwecken eingesetzt. Bei den nächsten | |
Olympischen Spielen soll die Messung der Kerntemperatur in Echtzeit | |
funktionieren. Dadurch kann man Athleten, die in den roten Bereich kommen, | |
vom Wettkampf ausschließen. Solche Daten könnten auch als | |
Zusatzinformationen im Fernsehen eingeblendet werden. | |
Aus Zuschauerperspektive klingen diese Veränderungen gar nicht so wild. | |
Brauchen heftige technische Veränderungen länger? | |
Ja, es gibt einen zeitlichen Abstand zwischen dem, was technisch möglich | |
ist, und dem Punkt, an dem es dann tatsächlich im Sport umgesetzt wird. | |
Zeitnah wird es aber möglich sein, das Sportereignis in Hologramm-Form in | |
Echtzeit in Stadien quer über den Globus zu konsumieren. Es wäre also in | |
Zukunft denkbar, beispielsweise die Olympischen Spiele im heimischen | |
Stadion zu schauen. Das wäre revolutionär. | |
Demokratisiert solche Technik den Sport oder schafft sie größere Lücken | |
zwischen hoch technisierten Top-Sportarten und dem Rest? | |
Durch die Technik haben zunächst einmal alle Sportarten die Chance, sich | |
eine globale Fan-Community aufzubauen. Das funktioniert in Nischen genauso | |
wie in populären Sportarten. Klettern ist eine Nischensportart, die aber | |
von der Digitalisierung sehr profitiert hat. | |
Klettern, Skateboard oder Parkour kommen völlig ohne Videobeweis und große | |
Stadien aus, sind aber sehr stark gewachsen. Zeigt das eine | |
entgegengesetzte Sehnsucht nach dem Einfachen? | |
Ich glaube eher, diese Sportarten sind deshalb gewachsen, weil sie tolle | |
Bilder kreieren. Es wird derzeit so viel über Foto und Video kommuniziert, | |
was ihnen entgegenkommt. Outdoor-Sportarten profitieren dadurch massiv von | |
der Digitalisierung. | |
Rüttelt das langfristig die Hierarchie der Sportarten durcheinander? | |
Sicherlich. Es ist absehbar, dass etwa die Rolle von E-Sport weiter | |
zunimmt. Wenn man den Prognosen glaubt, wird es bald eine der größten | |
Sportarten auf dem Globus sein. | |
Welchen Einfluss hat das auf den analogen Sport? | |
Ich denke, er kann davon lernen. Schalke 04 etwa ist sehr bewusst nicht nur | |
in die Fußball-Simulation, sondern auch in das Action-Strategiespiel | |
[3][League of Legends] eingestiegen. Wenn man dort mit den Verantwortlichen | |
spricht, zeigt sich, dass der Fußball schon vom E-Sport gelernt hat: wie | |
Spiele kommentiert, wie sie über Medien transportiert werden. Der E-Sport | |
ist sehr nah dran an den Digital Natives. Von ihm kann man lernen, eine | |
junge Zielgruppe zu erreichen und zu unterhalten. | |
Aber wird E-Sport nicht auch zur mächtigen Konkurrenz für den analogen | |
Sport? Wer zu Hause vor dem Bildschirm klickt, engagiert sich | |
wahrscheinlich weniger im Verein. | |
Das betrifft weniger den E-Sport, denn der bezeichnet nur den turniermäßig | |
ausgeübten Sport. Das, was Kinder von Outdoor-Aktivitäten abhält, ist eher | |
das sogenannte Casual Gaming. Bei E-Sport sprechen wir über Sportler, die | |
nicht den ganzen Tag vor dem Bildschirm hängen, sondern erkannt haben, dass | |
sie sich auch physisch fit halten müssen, um im Wettkampf zu bestehen. Die | |
trainieren auch ihre Physis. Wenn wir über Casual Gaming sprechen, sind wir | |
auch schon ganz nah bei YouTube und anderen elektronischen Medien. | |
Sie sehen eher die elektronischen Medien als Konkurrenz … | |
Wenn man sich das Mediennutzungsverhalten anschaut, sieht man, dass YouTube | |
und Netflix ganz klar in Konkurrenz zur Sportberichterstattung treten. Der | |
Sport muss kürzere und kurzweiligere Formate entwickeln. Die DFL hat gerade | |
zu Testzwecken ein Bundesliga-Spiel im Format 9:16 aufgenommen, für den | |
vertikalen Bildschirm. Das ist beispielsweise für Instagram sehr gut | |
geeignet. | |
Ein Thema haben wir bislang für die Zukunft des Sports außen vor gelassen, | |
nämlich die Klimakrise. Welchen Einfluss könnte sie haben? | |
Sport-Großereignisse müssen wesentlich stärker auf Nachhaltigkeit | |
ausgerichtet werden. Teilweise sieht man das schon in den | |
Austragungskriterien für Olympia. Man will die „weißen Elefanten“ | |
verhindern – Stadien, die gebaut und nach dem Sportereignis kaum noch | |
genutzt werden. | |
Den größten CO2-Abdruck verursacht die massenhafte Anreise. Müsste nicht | |
eher, etwa mit den von Ihnen angesprochenen Hologrammen, das Großereignis | |
im eigenen Land konsumiert werden? | |
Ich denke nicht, dass durch Hologramme das Vor-Ort-Erlebnis ersetzt werden | |
kann. Sportgroßereignisse sind oft das letzte nationale Lagerfeuer. | |
Sportarten, die vor Olympia niemanden interessieren, bekommen da globale | |
Aufmerksamkeit. Das müsste man mit klimaneutralen Spielen zusammenbringen. | |
30 Dec 2019 | |
## LINKS | |
[1] https://www.bundesliga.com/de/bundesliga/news/erstes-bundesliga-stadion-5g-… | |
[2] https://www.dfl.de/de/aktuelles/zukunftsstudie-bundesliga-konsum-generation… | |
[3] https://schalke04.de/esports/league-of-legends/ | |
## AUTOREN | |
Alina Schwermer | |
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