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# taz.de -- Journalismus versus Aktivismus: Der Objektivitäts-Schwindel
> Journalist*innen als Aktivist*innen zu diskreditieren hat Konjunktur.
> Aber was ist damit gemeint?
Bild: Die wenigsten Journalist:innen haben schon mal eine Fabrik von innen gese…
Googelt man „Journalismus und Aktivismus“, finden sich derzeit 141.000
Ergebnisse. Es erscheinen dann Überschriften von Artikeln mit Worten wie
„Idealisten“, „Fahnen runter“ oder „[1][Haltungs-Schäden“], in den…
darüber geschrieben wird, dass Journalist*innen sich mit keiner Sache
gemein machen sollten. Dass sie neutral, objektiv, haltungsfrei bleiben
müssen. Da wird das Eintreten für Menschenrechte schon als politische
Positionierung der Autorin oder des Autors gesehen.
Das Bekennen, selbst zu einer sogenannten Minderheit zu gehören, wird als
störend und zu persönlich deklariert. Kurzum, wird es unbequem für den
Journalismus, der diese Überschriften fabriziert, ist schnell das
Totschlagargument zur Hand, es handele sich bei den Schreibenden um
Aktivist*innen, nicht Journalist*innen. Es sind oftmals ältere
Journalist*innen etablierter Blätter, die diese Meinung vertreten. Die
diskursiv bestimmen möchten, wo der Journalismus aufhört und so etwas wie
Aktivismus anfängt. Also auch, wer dazugehört und wer nicht.
Dieser Modus der Diskreditierung sollte genauer betrachtet, also selbst
Gegenstand journalistischen Schreibens werden. Denn was steckt eigentlich
hinter diesem vermeintlichen Ideal des Journalismus? Und aus welcher Zeit
stammt die Vorstellung, dass [2][Haltung im Journalismus] nichts zu suchen
habe?
Auch wenn es zunächst wie das Totschlagargument der „anderen Seite“ klingen
mag: Der Journalismus in Deutschland war die längste Zeit vor allem weiß,
männlich, heterosexuell. Die Sicht dieser Majorität formte die Redaktionen,
die Formate, die Diskurse. Die Perspektive sogenannter Minderheiten hatte
kaum Platz in dieser Welt, wurde wahrscheinlich als unnötig gesehen, denn
Journalismus muss ja neutral sein. Die marginalisierten Menschen fanden
höchstens in der Außensicht statt: Dann schrieben Journalisten über diese
Menschen, aus sicherer Distanz. Diskriminierung und Benachteiligung war
also etwas, das man beschreiben konnte, ohne es selbst jemals erlebt zu
haben. Und diese Sicht auf die Dinge wurde dann neutral genannt
haltungsfrei, objektiv – normal.
Sicherlich: Journalismus muss möglichst neutral bleiben, möglichst
objektiv. Er muss Dinge beschreiben, wie sie sind. Sie nicht umformen, der
eigenen Narration unterwerfen, sie passend machen. Gerade in der Reportage
sollten keine großen Erzählungen fabriziert werden, keine Stringenz und
Zielrichtung da hineingedichtet werden, wo im wirklichen Leben der bloße
Zufall herrscht. Und natürlich dürfen nicht Dinge behauptet werden, die
nicht passiert sind, oder Menschen Worte in den Mund gelegt werden, die sie
nicht gesagt haben. Oder die Worte, die sie gesagt haben, aus dem Kontext
gezupft werden. Natürlich dürfen Journalist*innen sich nicht bezahlen
lassen von den Organisationen, über die geschrieben wird. Objektivität –
das sollte bedeuten, all diese Dinge nie zu vergessen.
Doch sollte dieser Journalismus auch immer mitverhandeln, dass eine
hundertprozentige Objektivität nicht existiert, da ein Sachverhalt immer
aus der Perspektive eines Menschen erzählt wird – der des Schreibenden. Was
in der Geschichtswissenschaft längst anerkannt ist, wird im Journalismus
immer noch geleugnet: Da gibt es sie noch, die absolute Objektivität.
Nun: Es gibt sie eben nicht. Und die Sicht eines Unbeteiligten, ohne
Diskriminierungserfahrung, ist daher nicht wahrer als die eines Menschen,
der Diskriminierung erlebt hat. Das Reflektieren dieser Perspektive kann
sogar die Stärke eines modernen Journalismus sein. Wenn etwa [3][ein
queerer Mensch] erkennen lässt, dass er eben nicht unbeteiligt sein kann,
da der Zustand der Gesellschaft eine solche Haltung gar nicht zulässt. Oder
Journalist*innen zu erkennen geben, dass sie aus einer Arbeiterfamilie
kommen, dass diese Erfahrung ihre Texte nicht aktivistischer macht, sondern
reicher.
Bei aller gebotenen Warnung davor, dass Journalismus auf Tatsachen basieren
muss, auf wissenschaftlichen Erkenntnissen, auf Zeugenberichten, auf tief
gehender Recherche. Bei der Diskussion des Begriffes Aktivismus, bei dessen
Problematisierung, bei alldem sollten wir aufpassen, dass das Verneinen von
Haltung nicht vor allem bedeutet, dass die Sicht von Menschen, die selbst
Diskriminierung und Benachteiligung erlebt haben, als fehlerhaft deklariert
wird, da sie subjektiv sei.
## Haltungsfrei oder Privileg?
Wenn nur Menschen die Welt beschreiben sollen, die keine Angst haben
müssen, da sie weiß sind oder heterosexuell, oder die selbst nie erfahren
mussten, was es heißt, mit einer Behinderung zu leben. Wenn nur solche
Menschen Journalismus machen, die nie zwei Nebenjobs jonglieren mussten, um
sich ein Praktikum, eine Ausbildung leisten zu können. Wenn also nur die
Menschen Journalismus machen sollen, die selbst komplett unbeteiligt sein
können, die sich diesen Luxus auch erlauben können, da für sie selbst
nichts auf dem Spiel steht – ist das dann wirklich ein differenzierter, ein
reichhaltiger Journalismus? Und wenn wir diese unbeteiligte Position dann
objektiv und haltungsfrei nennen, dann ist das nicht die Darstellung von
„dem, was ist“, sondern Privileg.
Ist Aktivismus also der Moment, in dem Journalist*innen aus einer Position
der eigenen Diskriminierungs- und Marginalisierungserfahrung schreiben,
würde Journalismus bedeuten, dass weiterhin nur jene Stimmen relevant sind,
die selbst nichts davon kennen. Dann wäre Journalismus weiterhin die Sicht
weißer, heterosexueller Männer. Journalist*innen, die selbst anerkennen und
verhandeln, dass sie Teil der Diskurse sind, die sie beschreiben, dass sie
nicht außen vor stehen, dass sie selbst arm, queer, person of colour sind.
Das ist dann eben nicht Aktivismus, sondern die Darstellung von
Lebensrealitäten.
Das ist Teilhabe.
17 Dec 2019
## LINKS
[1] https://meedia.de/2018/08/06/haltungs-schaeden-falsch-verstandener-aktivism…
[2] /Buzzard-App-fuer-Meinungspluralismus/!5646104
[3] /Coming-out-und-Journalismus/!5643773
## AUTOREN
Matthias Kreienbrink
## TAGS
Journalismus
Aktivismus
Diskriminierung
Lesestück Meinung und Analyse
Schwerpunkt Fridays For Future
Lost in Trans*lation
Feminismus
Kolumne Flimmern und Rauschen
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