# taz.de -- Arte-Doku zum Jahr 1979: Beginn der Gegenwart | |
> Die Islamische Revolution, Papst Johannes Paul II in Mexiko, Deng | |
> Xiaoping in den USA und Margaret Thatcher im Wahlkampf. Arte reist nach | |
> 1979. | |
Bild: Margaret Thatcher im Wahlkampf 1979 | |
Vielleicht sollte man das mal als Frage bei „Wer wird Millionär?“ | |
einreichen: Welches ist das Jahr, in dem unsere Gegenwart begann? 1945 oder | |
1989 wären zu offensichtlich. Vielleicht 1969? Da ging mit dem Arpanet der | |
Vorläufer des Internets in Betrieb und mit der tödlichen Eskalation des | |
Altamont Free Concert in Kalifornien gäbe es ein Symbol für das Ende der | |
Unschuld und das (bis) heute vorherrschende defätistische Lebensgefühl. | |
Wenn man hingegen Florian Illies glauben soll, war bereits „1913“ das | |
maßgebliche Jahr (und: „Der Sommer des Jahrhunderts“). Der Künstler | |
Christopher Roth und der Journalist Georg Diez haben währenddessen die | |
These verfolgt, die Krisen von heute seien alle auf die Jahre 1980/81 (in | |
ihrer Schreibweise: „80*81“) zurückzuführen – das Jahr des Machtwechsels | |
von Jimmy Carter auf Ronald Reagan. | |
Dass es hier heiß werden könnte, dafür spricht auch ein nur kurz zuvor | |
ansetzender aktueller Sachbuchbestseller des Historikers Frank Bösch: | |
„Zeitenwende 1979“ (Untertitel: „Als die Welt von heute begann“). 79, da | |
war Carter noch Präsident und bezeichnete den von Demokratie einfordernden | |
Demonstranten bedrängten Iran des Schahs zunächst noch als „Insel der | |
Stabilität“. Nur um bald darauf Ajatollah Chomeini ins Flugzeug nach | |
Teheran zu setzen: „Er soll die Wirtschaftsinteressen des Westens sichern“ | |
– heißt es in dem heutigen Arte-Film „1979 – Urknall der Gegenwart“ von | |
Dirk van den Berg und Pascal Verroust, „unter beratender Mitwirkung von | |
Frank Bösch“. | |
1979 also. Das Jahr der konservativ-religiösen Revolutionäre mit den | |
politischen Frühlingsgefühlen im Spätherbst ihres Lebens. Denn, so der | |
Off-Kommentar des Films: „Während Ajatollah Chomeini aus Paris abfliegt, | |
sitzt in etwa 9.000 Kilometer Entfernung ein weiterer Geistlicher in einem | |
Flugzeug. Johannes Paul II. beendet seine erste Reise als Papst in Mexiko | |
mit der klaren Absage an die Befreiungstheologie und ihre angeblichen | |
revolutionären Träumereien. Der Papst vermeidet jeden Hinweis, dass er | |
eigentlich einen Kreuzzug gegen den Kommunismus in seinem Heimatland Polen | |
vorbereitet.“ | |
## Vor der neoliberalen Wende | |
Die Hingabe, mit der sich die Menschen in Polen einem in Polen geborenen | |
Bischof von Rom zuwenden, verwundert noch heute, nachdem wir inzwischen | |
selbst Papst waren, kaum weniger als die Aufnahmen von den Frauen auf den | |
Straßen Teherans: Am Anfang (des Films) tragen sie westliche Mode – am Ende | |
schwarze Schleier. Es sind die Bilder – nur – eines Jahres. „Es kam vor, | |
dass eine Frau ein wenig von ihrem Haar zeigte. Dann fixierten sie ihren | |
Schleier mit einer Sicherheitsnadel hier mitten auf der Stirn, damit sie | |
lernt, ihren Schleier richtig zu tragen“, sagt Haideh Daragahi, 1979 | |
Literaturprofessorin in Teheran und eine von drei Frauen, die den | |
Iran-Erzählstrang des Films kommentieren. | |
Drei weitere Stränge begleiten: Deng Xiaoping auf seinem Staatsbesuch in | |
die USA – zur Besiegelung der Öffnung Chinas gegenüber dem Westen; Margaret | |
Thatcher auf ihrem Wahlkampf in ein wirtschaftlich darniederliegendes | |
Großbritannien vor der neoliberalen Wende und, wie gesagt, den Papst auf | |
seinem Heimatbesuch. | |
„Ohne den Papst wäre der Kommunismus erst sehr viel später blutig | |
zusammengebrochen. So aber wurde das Ende früher und ohne Blutvergießen | |
erkämpft“, sagt Friedensnobelpreisträger Lech Wałęsa – und nennt | |
Verdienste, die hierzulande manche lieber Egon Krenz zuschreiben wollen. | |
In jedem Falle, steile Thesen verlangen nach Diskurs und Kontroverse. | |
Darauf indes kann der Zuschauer in „1979“ lange – vergeblich – warten. | |
Harrisburg, Gorleben, „Boatpeople“, Nato-Doppelbeschluss, Afghanistan, | |
Charney Report. 1979 ist einiges passiert – der Film zählt es auf, reiht | |
beeindruckende Archivaufnahmen aneinander. Und mutet ein bisschen an wie | |
die üblichen Jahresrückblicke: 1979 statt 1919. | |
Islamischer Fundamentalismus und marktliberales Denken, Energiewende und | |
Flüchtlinge. Die Verbindung der Ereignisse des Jahres 1979 mit den Themen, | |
die uns heute umtreiben, liegt ja wirklich auf der Hand. Man müsste es | |
Günther Jauch halt noch ein kleines bisschen mehr erklären. Sonst nimmt er | |
die Frage vielleicht nicht. | |
10 Dec 2019 | |
## AUTOREN | |
Jens Müller | |
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