# taz.de -- Antisemitismus in Schulen: Es gibt Redebedarf | |
> Antisemitismus an Grundschulen steht wenig im Fokus. Immerhin: Nun gibt | |
> es eine „Handreichung“ der Bildungsverwaltung, die Orientierung bieten | |
> soll. | |
Bild: Senatorin Scheeres (SPD) im Austausch mit Rabbiner Elias Dray und Imam En… | |
Eigentlich beinahe merkwürdig, dass es diese Broschüre, die da am | |
Montagmorgen in der Aula der Friedenauer Gemeinschaftsschule vorgestellt | |
wurde, tatsächlich erst seit gerade eben gibt: „Umgang mit Antisemitismus | |
in der Grundschule“ heißt der Leitfaden, den Patrick Siegele, Direktor des | |
Anne-Frank-Zentrums am Hackeschen Markt, „druckfrisch aus dem Copyshop“ | |
präsentierte. Man habe, sagt Siegele, was die Arbeit an Grundschulen | |
angehe, „eine Leerstelle gesehen.“ | |
Diese Analyse dürfte nicht nur richtig sein,sie drängt sich seit Jahren | |
geradezu auf. Zwar bemüht sich die Bildungsverwaltung schon länger, dem | |
Antisemitismus an Schulen mit Lehrerfortbildungen, diversen | |
Unterrichtsprojekten zu politischer Bildung und Handreichungen für das | |
pädagogische Personal zu begegnen. Doch die meisten dieser Maßnahmen – etwa | |
die Workshops des bekanntesten Akteurs auf diesem Gebiet, der | |
[1][Kreuzberger Initiative gegen Antisemitismus (KIgA)] – richten sich an | |
ältere SchülerInnen ab der siebten Klasse aufwärts. | |
Deshalb, betonte Schulsenatorin Sandra Scheeres (SPD) am Montag bei der | |
Vorstellung des Leitfadens, den das Anne-Frank-Zentrum im Auftrag der | |
Bildungsverwaltung entworfen hat: „Wir müssen frühzeitiger mit den Kindern | |
reden.“ Denn natürlich brächten auch die GrundschülerInnen „als Spiegelb… | |
ihrer Familien“ bereits viel mit ins Klassenzimmer, und LehrerInnen wüssten | |
dann nicht: Wie kontert man das? War das jetzt schon Antisemitismus? Und | |
wie kann man damit in einer pädagogisch sinnstiftenden Arbeit umgehen? | |
„Wir wurden von Lehrkräften immer wieder darauf hingewiesen, dass es da | |
gerade in der Grundschule zu wenige Projekte gibt und man sich überfordert | |
fühlt“, sagte Scheeres. | |
Wie grundsätzlich der Nachholbedarf bei den LehrerInnen zu sein scheint, | |
zeigt sich schon daran, dass die Broschüre zunächst klarstellt, dass es | |
neben dem Post-Schoah-Antisemitismus auch israelbezogenen Antisemitismus | |
gibt, und dazu diesen Hinweis gibt: „Auch in Ihrer Klasse sitzen | |
möglicherweise jüdische Kinder, ohne dass Sie das wissen.“ | |
Mehmet Can, Lehrer an der [2][Neuköllner Rütli-Schule] und seit Jahren in | |
der KIgA aktiv, ist allerdings am Montag, auch mit Blick auf den neuen | |
Grundschulleitfaden, optimistisch, dass sich insgesamt der Blick für | |
Antisemitismus „schärfe“. Die Materialien und Projekte, die den Schulen | |
inzwischen zur Verfügung stünden, würden der Erkenntnis Rechnung tragen, | |
dass man das Thema Antisemitismus „nicht mit der Schoah enden“ lassen | |
könne – die ohnehin im Rahmenlehrplan erstmals im Geschichtsunterricht in | |
der Mittelstufe als Unterrichtsstoff vorgesehen ist. | |
## Israelbezogener Antisemitismus | |
Dass aus Cans Sicht „virulenteste Problem“ an den Schulen sei der auf den | |
Staat Israel bezogene Antisemitismus: „Den muss man angehen.“ Der werde | |
gerne verkürzt als „muslimischer Antisemitismus“ dargestellt, dabei sei | |
Religion nicht unbedingt immer das allein bestimmende Moment, auch die | |
„politische Identität“ spiele eine Rolle. | |
Tatsächlich ist der Grundschul-Leitfaden zunächst zwar auch erst mal nur 67 | |
Seiten bedrucktes Papier – aber er macht immerhin ein paar erstaunlich | |
konkrete Vorschläge für Übungen mit den SchülerInnen und gibt | |
sachdienliche Hinweise, wie man das Thema in welchem Fach am besten in den | |
Lehrplan integrieren könnte. Ein bisschen böse könnte man sagen: Wenn die | |
Zeit für grundsätzliche Fortbildungen fehlt, ist der Leitfaden ein | |
passabler Rettungsanker. | |
Was in der Praxis am besten funktioniert, weiß am Montag Schulleiter Uwe | |
Runkel: „Alle Projekte, die möglichst konkret sind.“ Exkursionen zur | |
Gedenkstätte deutscher Widerstand, ZeitzeugInnen im Unterricht, die | |
„meet2respect“-Workshops, bei denen ein Imam und ein Rabbi gemeinsam | |
Klassen besuchen, kämen „nachhaltig“ an. | |
An Runkels Schule wurde 2017 [3][ein jüdischer Junge von muslimischen | |
Mitschülern dermaßen gemobbt], dass er die Schule wechseln musste. Man | |
stehe noch in Kontakt mit der Familie, dem Jungen gehe es heute gut, sagt | |
Runkel. | |
Wie gut es inzwischen auch dem Schulklima geht, soll dann am Montag noch | |
ein kurzer Unterrichtsbesuch von „meet2respect“ zeigen: Rabbi Elias Dray | |
und Imam Ender Çetin diskutieren mit Jugendlichen darüber, ob Muslime und | |
Juden überhaupt Freunde sein dürfen. Die SchülerInnen gucken irritiert; | |
warum nicht?, scheinen die Blicke zu sagen. Einer sagt: „Es geht um | |
Respekt. Man muss ja nicht immer an dasselbe glauben.“ | |
9 Dec 2019 | |
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## AUTOREN | |
Anna Klöpper | |
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