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# taz.de -- Die Wahrheit: Verpeilte Perspektiven
> Die Jugend von heute lacht zwar viel und gern, ist aber nicht albern. Am
> meisten gackern Jüngere, wenn sie etwas falsch gemacht haben.
Immer, wenn ich am Juweliergeschäft an der Ecke vorbeikomme und die
Schaufensterwerbung sehe, juckt es mich, unserem Kiez durch einen winzigen
Buchstabendreher neue Perspektiven zu eröffnen. Mal schauen, wer dann im
Laden verstohlen nach den „Luxushuren“ fragt. Es wundert mich eh, dass die
Schweizer Uhrenmarke IWC, die vor Jahren durch eine besondere Kampagne
aufgefallen war (Bild von einer Armbanduhr, darüber: „Fast so schön wie
eine Frau. Tickt aber richtig.“ Oder: „Männer haben mehr Tiefgang als
Frauen. Jetzt bis 2.000 Meter.“), sich dieses misogyne Schmankerl damals
hatte entgehen lassen.
Aber die Menschen nehmen ja ohnehin kaum noch Witze mit, die auf der Straße
liegen. Seit Wochen hängt in den Flotten der Berliner Verkehrsbetriebe zum
Beispiel die Posterwerbung „Fahren und fahren lassen“. Und noch niemand,
kein einziger junger Mensch mit Edding, hat bislang das Wort „einen“ vor
das zweite „fahren“ geschmiert. Obwohl da genug Platz wäre. So etwas macht
mich traurig.
Diese fehlende Bereitschaft zur Albernheit mag sich einerseits dadurch
ergeben, dass die Welt momentan so schlimm ist und es keine Aussicht auf
Besserung gibt – aber hey, wenn ich schon untergehe, dann ja wohl mit einem
blöden Spruch auf den Lippen! Und nicht mit diesen verkniffenen
Mundwinkeln, die mir gestern die Kassiererin im Elektroladen zeigte, als
ich auf ihre Frage nach meiner Postleitzahl antwortete: „Wieso, wollen Sie
mich besuchen?“ Die Kassiererin bekam wahrscheinlich Angst vor der Alten
mit der irren Lache, die statistische Kundeninfos mit einem
Annäherungsversuch verwechselt.
## Total verpeilte Jugend
Andererseits ist es eine Generationenfrage. Jüngere Menschen lachen zwar
viel und gern, sind aber nicht albern. Denn die Art des Humors ist
relevant: Die Mittzwanzigerinnen, mit denen ich aus beruflichen Gründen
viel zu tun habe, gackern am meisten, wenn eine von ihnen etwas falsch
macht oder vergessen hat und daraufhin freudestrahlend ausruft: „Typisch
ich! Total verpeilt!“ Jedes Mal denke ich dabei heimlich: Na, dann pass
doch besser auf, du faules Stück! Aber die Mittzwanziger-Clique kriegt sich
vor Kichern nicht mehr ein.
Dabei ist „verpeilt“ eigentlich ein Ausdruck aus meiner Generation, einer,
der stark mit der jointinduzierten Albernheit verbunden ist, die ebenfalls
keinen Anlass braucht. Diese Jüngeren dagegen finden sich schon „verpeilt“,
weil sie den letzten Zumba-Termin vergessen haben oder gerade merken, dass
statt Goji- tatsächlich Acaibeeren im Tuppertopf warten.
Um dem Mischmasch Herrin zu werden, habe ich jedenfalls angefangen, Witze
zu sammeln, die nicht nur doof und altmodisch, sondern auch noch streng in
ihrer Zeit verwurzelt sind, etwa diesen: „Kleinanzeige: Tausche schwer
verständliches Buch über Empfängnisverhütung gegen gebrauchten
Kinderwagen“. Kleinanzeige! Buch! Empfängnisverhütung nicht verstehen! Ach
Gottchen, früher war alles so harmlos.
6 Dec 2019
## AUTOREN
Jenni Zylka
## TAGS
Verpeilt
Albernheit
Humor
Schwerpunkt Coronavirus
Blumen
Nikotin
Spam
Enkeltrick
Airbnb
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