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# taz.de -- Die Wahrheit: Mörder im geleckten Pelz
> Niederländische Umweltrechtler fordern neuerdings die Leinenpflicht für
> Katzen. Besuch bei einem jungen Kämpfer wider das Leid.
Bild: Immer auf der Jagd nach dem nächsten Reiz: Eine gelangweilte Hauskatze d…
Jasper ist neun Jahre alt und geht auf eine Grundschule in Rotterdam. Er
ist gut in allen Fächern, beliebt bei seinen Mitschülern und spielt gern
Fußball. Sein großes Vorbild ist Rafael van der Vaart, weil der mal mit
Sylvie Meis liiert war und Jasper immer „Let’s Dance“ auf RTL geschaut ha…
bevor die Moderatorin dort geschasst wurde.
Doch seit einer Woche ist der aufgeweckte Junge traurig. Heute ist er nicht
zur Schule gegangen. Er schwänzt, um in Brüssel vor dem Europäischen
Parlament zu streiken. Nicht gegen die Klimapolitik, sondern für die
Leinenpflicht. Katzen sollen seiner Meinung nach an die Leine.
Seine Schularbeiten will Jasper hier trotzdem erledigen, doch immer wieder
tropfen Tränen auf die Belohnungssticker im Hausaufgabenheft. Winzige
Wasserflecken bilden sich nebst lächelnden Marienkäfern und drolligen
Bienchen. Die von seiner Lehrerin hineingeklebte Cartoon-Katze mit dem nach
oben gestreckten Daumen und der Sprechblase „Weiter so!“ hat er
herausgerissen. Das hat einen Grund.
„Katzen haben meinen besten Freund getötet“, schluchzt Jasper. Sein bester
Freund, das war das Zwergkaninchen Jimmy. Es starb einen grauenvollen Tod.
Bei lebendigem Leibe wurde Jimmy von einer freilaufenden Nachbarskatze
zerfetzt, als er im Garten an einem Löwenzahn knabberte. Die Katze jagte
das liebe Zwergkaninchen umher, kratzte ihm die langen Ohren blutig und
nagte das Puschelschwänzchen ab. Am Ende riss sie Jimmy feixend die Aorta
aus dem felligen Körperchen. Jasper musste alles hilflos vom
Wohnzimmerfenster aus mit ansehen.
## Fröschlein auf der Todesliste
140 Millionen Tiere kommen jährlich durch die Pfoten von Hauskatzen ums
Leben – allein in den Niederlanden. Rechnet man das auf die gesamte Welt
hoch, ist man überrascht, dass neben den vierbeinigen Bestien überhaupt
noch andere Tiere existieren. Zauberhafte Singvögel, lustige Fröschlein und
putzige Mäuse stehen auf der Todesliste. Das Perfide: Hauskatzen morden
meist aus Jux und Dollerei, nicht aus Hunger. Sie werden zu Hause
verhätschelt und sind superfett. Wohl aus Selbsthass hetzen sie schwächere
Lebewesen umher, bis diese vom Herzinfarkt erlöst werden oder jämmerlich
verenden.
Umweltrechtler der Universität Tilburg haben nun darauf hingewiesen, dass
die EU dieses Massenmorden verhindern könnte. Denn nach geltendem Recht
dürfen die miauenden Killer eigentlich nicht frei durch die Lande ziehen.
Raubtiere sind an die Leine zu nehmen. Darüber hinaus trägt die
Vogelschutzrichtlinie jedem EU-Staat auf, das Leben einheimischer Piepmätze
zu schützen. Davon ist bislang nichts zu sehen: Ungehindert plündern
blutrünstige Katzenscheusale Nester und rauben Eier. Insgesamt sind mehr
als 300 Arten vom Aussterben bedroht, weil die oft als „Stubentiger“
verharmlosten Barbaro-Kreaturen im geleckten Pelz andersartiges Leben nicht
tolerieren wollen.
## Angst vor der eigenen Katze
Schlimmer als die Horrorhaustiere sind in der Regel nur ihre Frauchen und
Herrchen. Unempfänglich für Argumente, versuchen sie oft zu rechtfertigen,
was nicht zu rechtfertigen ist. „Meine Bella lässt sich niemals an die
Leine nehmen“, erzählt eine Frau aus Pirmasens, die wahrscheinlich aus
Angst vor ihrer Katze anonym bleiben möchte: „Da beißt und kratzt sie!
Dreht völlig durch! Keine Chance!“ Soweit ist es also schon gekommen: Vor
der unberechenbaren Gewalt dieser rücksichtslosen Brutalmonster haben
mittlerweile sogar ihre Halter mächtig Schiss.
Die untätige Europäische Union verweist beim Thema Leinenpflicht indes auf
das Gesetz über die allgemeine Freizügigkeit von Unionsbürgern. Dieses
gelte auch für Katzen. Ein Schlag ins Gesicht des kleinen Jasper. Fragt man
ihn, ob er wegen Jimmys Hinscheiden wütend auf die Regierung sei, kullern
ihm zunächst wieder ein paar Tränen über die roten Wangen. Dann besinnt er
sich und spricht mit fester Stimme mutig aus, was viele denken: „Es liegt
nicht an einzelnen Personen oder Parteien. Die weitverbreitete und durch
das Internet nochmals befeuerte Idolatrie der gemeinen Hauskatze Felis
silvestris catus muss enden. Diese Untiere sollten hic et nunc mit
katonischer Strenge bestraft und mindestens an die Leine genommen, wo nicht
gar ausschließlich im Zoo gehalten und von einer Einfriedung an ihrem
Schlachtzug wider die Freiheit gehindert werden. Alles andere wäre,
exkulpieren Sie bitte meine Wortwahl, eine Riesenscheiße.“
Bei allem Ingrimm weiß Jasper aber auch: Selbst das härteste Durchgreifen
bringt ihm sein geliebtes Zwergkaninchen nicht wieder. Deshalb setzt sich
der kluge junge Mann dafür ein, dass nie mehr ein Kind wegen einer Katze um
seinen besten Freund trauern muss.
Was von seinem Jimmy übrig ist, liegt in Rotterdam unter der Erde, im
Garten des Hauses von Jaspers Eltern, begraben neben Tulpen aus Amsterdam.
Jasper hat eine Gedenktafel angebracht. Die Aufschrift: „R. I. P. Jimmy.
Ermordet von Medien, Politik und Inkompetenz.“
Als er uns das erzählt, erspäht er in der Nähe Ursula von der Leyen, die
aus einer Limousine steigt. Bevor Jasper sein Anliegen zum Vortrage bringen
kann, erstarrt er: Wie zum Hohn bückt sich die Präsidentin der Europäischen
Kommission und streichelt eine Katze.
4 Dec 2019
## AUTOREN
Cornelius Oettle
## TAGS
Leinenpflicht
Stubentiger
Katzen
Schwerpunkt Coronavirus
Umzug
Wintersport
Brandenburg
Gefängnis
Gedicht
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