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# taz.de -- Illegale Müllhalden im Berliner Umland: Müll im Idyll
> 150 illegale Müllkippen gibt es Brandenburg, im Osten Berlins lagern auf
> einem Grundstück 62.000 Tonnen Abfall. Das Problem: die
> Verantwortlichkeiten.
Bild: Illegale Müllhalde in Brandenburg
Die Bundesstraße B1 in Brandenburg trennt Welten. Sie verläuft zwischen
Einfamilienhäusern, akkurat geschnittenen Hecken und sattgrünem Rasen auf
der einen Seite, Bergen von Autoreifen, Bauschutt und nutzlosem Hausrat auf
der anderen. Die Bewohner von Fredersdorf-Vogelsdorf östlich von Berlin
leben in direkter Nachbarschaft zu einem illegalen Abfalllager: Etwa 62.000
Tonnen Müll lagern auf einem Privatgrundstück am Ortsrand, direkt vor den
Toren der Hauptstadt. Die Zahl geht aus einem Gutachten des Landesamtes für
Umwelt hervor, das der taz vorliegt. 62.000 Tonnen, das entspricht dem
Gewicht von mehr als 200 Flugzeugen des Typs Airbus A380.
Im Juni 2019 gab es allein in Brandenburg etwa 150 illegale
Müllablagerungen, schätzt Axel Steffen, Leiter der Abteilung Umwelt,
Klimaschutz und Nachhaltigkeit im brandenburgischen Umweltministerium.
Dabei handelt es sich nicht um zwei, drei Plastiksäcke am Waldrand.
Illegale Mülllager, das bedeutet tonnenweise Abfall, der weite Flächen mit
bunten Plastikfetzen, schwarzer Schlacke oder staubigem Bauschutt bedeckt.
Und es werden mehr: Allein zwischen Juli 2018 und Juni 2019 kamen laut
einer Antwort der Landesregierung auf eine kleine Anfrage im
brandenburgischen Landtag acht neue Halden hinzu.
Nach der Wende wurde der Osten zum Schauplatz eines wahren Müllbooms. Was
vorher noch als wertlos galt, erwies sich plötzlich als lukrativ. Die
Kombination aus ungenutzter Fläche, einer geringen Bevölkerungsdichte sowie
der Nähe zu Berlin habe speziell Brandenburg attraktiv für die Müllbranche
gemacht, sagt Steffen. In den neuen Bundesländern wuchsen die Abfalllager –
und mit ihnen die zwielichtigen Machenschaften vieler Betreiber.
## Fehlplanung und dubiose Geschäfte
Manche Müllberge entstanden schlicht aus unternehmerischer Fehlplanung: Die
Anlagenbetreiber der Müllkippen verkalkulierten sich, gingen insolvent und
ließen den angehäuften Müll einfach zurück. Viele illegale Abfallhalden
aber sind Überbleibsel dubioser Geschäfte. Die Müllschieber betrieben
oftmals sogar ganz offiziell eine Abfallanlage, nahmen aber mehr Müll an,
als sie durften – oder Müll, der für ihre Anlage nicht erlaubt war.
Andernorts fehlte von vornherein die Erlaubnis für eine Deponie und der
Abfall wurde einfach in die nächstbeste Grube gekippt. Die Gewinne aus der
„Entsorgung“ des Mülls verschwanden in privaten Taschen, während der Abfa…
noch heute auf den unerlaubten Halden schlummert. Der Bund, so heißt es im
Umweltbundesamt, wisse nicht, wie viele illegale Müllberge es in
Deutschland insgesamt gibt. Und doch ist klar, dass das Phänomen längst
nicht nur in Brandenburg oder Ostdeutschland auftritt. Auch in anderen
Bundesländern stoßen die Behörden auf illegale Müllhalden.
Das Problem: Häufig ist es kaum möglich, die Verursacher ausfindig zu
machen. So auch im Fall der Halde von Fredersdorf-Vogelsdorf. Obwohl das
Gelände über die Jahre in mehreren Anzeigen wegen unerlaubtem Umgang mit
Abfällen und unerlaubtem Betreiben einer Abfallbehandlungsanlage auftaucht,
konnte bis heute nicht abschließend geklärt werden, wer verantwortlich für
die illegale Müllkippe ist.
Denn das Geschäft mit dem Müll hat viele Beteiligte: Nach der Wende kaufte
ein privater Investor die alte LPG-Fläche und verpachtete das Gelände oder
zumindest Teile davon nacheinander an drei verschiedene Entsorgungs- und
Recyclingfirmen: bis 1999 an die ABS Recycling GmbH, bis 2002 an die VRZ
Vogelsdorfer Recycling Zentrum GmbH und schließlich an die Firma Der
Stubbenfräser UG. Fragt man den Eigentümer und die damaligen
Geschäftsführer, die noch auffindbar sind, schieben sie sich alle
gegenseitig die Schuld für die meterhohen Müllberge zu.
## Gefährdungslage ist unklar
Unklar ist auch, wie gefährlich die Abfälle für Mensch und Natur sind. Die
Firma Horn & Müller, die vom Umweltministerium Brandenburg damit beauftragt
wurde, die illegale Müllablagerung bei Berlin zu begutachten, kam 2015 zu
dem Schluss, dass von den Ablagerungen „keine akuten Gefährdungen“ für die
„Schutzgüter Wasser, Boden, Luft und Mensch“ ausgehen. Einen Satz später
erwähnt das Gutachten aber doch eine konkrete Gefährdung, und zwar aufgrund
von Asbest und künstlichen Mineralfasern, die offen auf dem Gelände lagern.
Die winzigen und langlebigen Fasern erhöhen das Risiko für Lungenkrebs.
Hinzu kommt, dass die Müllberge bereits mehrere Male Feuer fingen und daher
durchaus ein konkretes Risiko für die Menschen in ihrer Umgebung
darstellen. Das Landesamt für Umwelt erklärt auf Anfrage: Die „bloße
Lagerung“ des Asbests sei noch kein Grund, dass die Behörde einschreiten
und das Material entsorgen müsste.
Das Land fühlt sich also nicht verpflichtet, das Gelände zu räumen. Die
Gemeinde wiederum könne die Kosten für die Beseitigung des Mülls nicht
allein stemmen, sagt der Bürgermeister der Brandenburger Kommune, Thomas
Krieger, im Mai 2019. Die ABS GmbH und die VRZ GmbH sind schon lange pleite
und können deshalb nicht mehr zur Kasse gebeten werden.
Im Jahr 2017 wurde der Eigentümer des Geländes per Verwaltungsverfahren
dazu verpflichtet, die Abfälle vollständig zu beseitigen. Doch bevor es so
weit kommen konnte, präsentierte der im Juli 2018 plötzlich einen Investor,
der das Grundstück samt den 62.000 Tonnen Müll erwerben wollte.
## Hohe Beseitigungskosten
„Ich weiß nicht, wer so einen Müll kauft“: Das, sagt Bürgermeister Krieg…
sei seine erste Reaktion gewesen, als er von dem Interessenten erfuhr. Doch
tatsächlich: Die Sorbus GmbH, die die Sanierung von Altlasten zu ihrem
Geschäftsmodell erklärt hat, kaufte das Grundstück und erklärte sich noch
dazu bereit, den Abfall vollständig zu beseitigen. Das, so steht es in
einer Antwort der brandenburgischen Landesregierung auf eine kleine Anfrage
im Landtag, kostet voraussichtlich 19 Millionen Euro.
Wieder reinholen wolle die Firma diese Kosten, indem sie eine
Abfallbehandlungsanlage auf dem Areal errichte, erklärt Geschäftsführer
Patrick Reissner während eines Telefonats im Juni 2019. Doch der Plan
scheiterte im September 2019 an der Gemeindevertretung von
Fredersdorf-Vogelsdorf. Es habe bereits zwei Versuche von zwei anderen
Unternehmen gegeben, die Fläche mit Aufbereitungsanlagen zu beräumen,
erklärt Ralf Haida, Gemeindevertreter und Vorsitzender des
Nabu-Ortsverbands in Fredersdorf-Vogelsdorf. Beide seien gescheitert.
„Deshalb befürchten wir hier ein drittes Desaster“, sagt er der taz.
Zwar liegt das Gelände im Zuständigkeitsbereich des Landesamtes für Umwelt.
Dennoch gebe es niemanden, der das Vorgehen auf dem Gelände regelmäßig
kontrolliere, sagt Haida. Das Umweltministerium und seine untergeordnete
Behörde, das Landesamt für Umwelt, wehren sich gegen die Vorwürfe. Sehr
wohl habe man Kenntnisse über Zahl und Gefahrenpotenzial der Halden, sehr
wohl kontrolliere man die Ablagerungen.
Benjamin Raschke, Grünen-Abgeordneter im Brandenburger Landtag, beobachtet
schon seit Jahren die illegalen Müllhalden in seinem Bundesland. Er sagt,
der Personalmangel bei den zuständigen Behörden, Staatsanwaltschaften und
Gerichten führe dazu, dass Deals ausgehandelt würden und Verursacher mit
Bagatellstrafen davonkämen. Sowohl das brandenburgische Umwelt- als auch
das Justizministerium bestätigten, dass ihnen das Problem der personellen
Ausstattung bekannt sei. In beiden Fällen wolle beziehungsweise habe man
bereits angefangen, das Personal aufzustocken.
Schafft es das Land nicht, sein Abfalldilemma in den Griff zu kriegen, wird
es immer teurer für die Steuerzahler, hinter den Müllschleppern
aufzuräumen. Denn wenn die illegalen Müllberge erst eine Gefahr für
Grundwasser, Boden und Luft darstellen, muss die öffentliche Hand ran – und
das kostet. Das Umweltministerium hat mittlerweile einen eigenen
Haushaltsposten für die illegalen Abfalllager eingerichtet,
2,4 Millionen Euro habe man dafür bereitgestellt, hieß es im Juni 2019.
Wollte das Ministerium alle Abfalllager in Brandenburg räumen, wäre das
„unter 500 Millionen Euro nicht zu machen“, sagt Axel Steffen vom
brandenburgischen Umweltministerium. Die Allgemeinheit, kritisiert Ralf
Haida, müsse dafür aufkommen, dass ein paar wenige sich an dem Müllgeschäft
bereichert haben. „Gewinne privatisieren, Ausgaben verstaatlichen – das sag
ich dazu.“
19 Nov 2019
## AUTOREN
Alisa Schröter
## TAGS
Müll
Brandenburg
Abfallwirtschaft
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Recycling
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Konsum
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