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# taz.de -- Die „FAZ“ wird 70 Jahre alt: Happy Birthday, alte Schachtel
> Die „Frankfurter Allgemeine Zeitung“ hat Geburtstag. Drei
> kritisch-würdigende Grüße aus der taz-Redaktion.
Bild: Hier verstecken sich Carsten Knop, Chefredakteur Digitales, und Berthold …
Vor genau 70 Jahren kam die erste „FAZ“ aus dem Druck, da war selbst die
Bundesrepublik noch kein halbes Jahr alt. Nun, da beide in die Jahre
gekommen, sei ein kritisch-würdigender Blick gestattet. Genauer gesagt,
drei Blicke. Die taz-Redakteur:innen Jan Feddersen, Ambros Waibel und
Ulrike Herrmann über Streitlust, Ästhetik und ökonomische Standpunkte bei
der „Frankfurter Allgemeinen“.
## Jan Feddersen: „Die ‚FAZ‘ muss sich behaupten“
Diese Zeitung ist unbedingt zu loben, ja, ihr ist sogar zu danken. Weil ihr
Journalismus oft ein großes Ärgernis ist. Und Freude zugleich. Die FAZ ist
bekennenderweise eine bürgerliche Zeitung. Elitär, standesbewusst,
tonangebenwollend.
Heute vor 70 Jahren, am 1. November 1949, erschien sie erstmals in
Frankfurt am Main, der Beinahe-Hauptstadt und dem über die meisten Jahre
der Nachkriegszeit sogenannten Zentrum der intellektuellen und ökonomischen
Macht: Suhrkamp, Adorno, Joschka Fischer, Börse, Banken, Kunst. Die
[1][Frankfurter Allgemeine Zeitung] war Stimme der Bundesrepublik in die
Welt.
So viel zur Selbstreklame.
Für Menschen, die ungern dauernd sich selbst bestätigt sehen und also auf
Lektüre weltanschaulich gegensätzlicher Blätter angewiesen sind, ist diese
Zeitung pures Gold. Sie leistet sich einerseits Oppositionsgeist wider die
Konservativen, was sie sich leisten kann, denn eine Stiftung trägt sie, was
sie nicht besonders abhängig machte von angedrohten Anzeigenboykotten.
Andererseits war und ist sie gegen alles, was irgendwie politisch links
ist: [2][Mietendeckel], Reichensteuer, sozialstaatliche Besserungen. Aber
immer alles wahnsinnig kenntnisgesättigt argumentiert.
Andererseits kämpft auch die FAZ seit Jahren darum, sich ökonomisch
halbwegs erschütterungsfrei zu halten. Das heißt, man muss journalistisch
etwas hermachen, investigativ, diskursiv im durchaus marktschreierischen
Sinne. Man muss sich ja nicht mehr gegen Zeit und SZ behaupten, sondern
gegen die Informiertheiten im Internet.
Dafür war [3][Frank Schirrmacher] der Richtige, der als Herausgeber teils
irre Debatten führen ließ (die Rechtschreibreform, herrje!), teils aber
auch im besten journalistischen Sinne den Riecher für kommende Themenlagen
hatte (das ärgerte die Feinstgeister). Die grandiosen
Digitalisierungsdebatten zählen dazu. Dass Schirrmacher 2014 starb,
bedeutete die Verflachung der Diskurserregungskurven. Andererseits hat
jetzt das Feuilleton mit Jürgen Kaube den klügsten Texteschreiber überhaupt
als Kopf.
taz-Freund Schirrmacher prophezeite vor zwölf Jahren, die Krise der
Papierzeitungen würden nur zwei Blätter überleben: taz und FAZ – beide
recht unabhängig von Anzeigen. Letztere verliert nicht enden wollend
Auflage und damit Einfluss, was auch nicht dadurch aufgehalten zu werden
scheint, dass immer noch keine Frau ins Herausgebergremium rekrutiert
wurde.
Ambros Waibel: „Der Flirt mit den Völkischen“
Es war vor vielen Jahren, ich war noch so jung – Sie sehen, ich hole
FAZ-typisch weit aus und schmuggele, nicht minder frankfurtisch, ein
Funny-van-Dannen-Zitat ein –, da saß ich in einem Literaturseminar an der
Uni in Venedig. Es ging um Heroen der klassischen Moderne. Die Moderne,
hörte ich, sei nicht zuletzt eine negative Moderne, die die Hässlichkeit
des Lebens im Kapitalismus grandios zum Ausdruck bringe; wir sollten
achtgeben, dass wir die Literatur nicht mit dem wirklichen Leben
verwechselten, das schön und lebenswert sei.
Wenn ich die FAZ in die Hand nehme, dann stellt sich ebendieses Gefühl ein:
Gewiss, die Welt ist ein Schlachthaus, ist es immer gewesen und wird es in
der Sicht der dort Schreibenden, außer bei Dietmar Dath, wohl auch für
immer bleiben. Jedoch, es ist auch faszinierend da draußen, und vor allem
können wir etwas dagegensetzen: Kultiviertheit, Schönheit in der
Gestaltung, Texte, die nicht der Aktualität hinterherrennen.
Fast duftet die FAZ noch ein wenig nach dem letzten Zigarettenrauch,
Dandytum und Snobismus umweht sie ohnehin. Derweil schlägt einem beim
Aufschlagen der Konkurrenz aus München eher der Geruch einer Sportumkleide
entgegen – die Süddeutsche ist und bleibt eben doch eine Lehrerzeitung.
All die disinvoltura bei der FAZ hat dabei eine solide Grundlage, hier ein
Beispiel im Original-Sound: „Der rüstige Senior ist durch Arbeit und Fleiß
zu Ansehen und Wohlstand gekommen. Er besitzt alles, was zum Leben in
besseren Kreisen nötig ist: eine Frau, zwei Autos, drei Immobilien und vier
Millionen Euro auf dem Konto.“ Und gerade heute stellen wir an das Organ
der herrschenden Klasse die drängende Frage, welchen Preis man zu zahlen
bereit ist, um seine Privilegien zu sichern. Die FAZ aufmerksam zu lesen
bedeutet nicht zuletzt, [4][den Stand des Flirts der Eliten mit den
Völkischen] zu erfahren. Diese Information kann lebensrettend sein.
Ulrike Herrmann: „Die Wirtschafts-Profs beim Leiden erleben“
Die taz muss der FAZ dankbar sein. Nirgendwo lässt sich besser nachlesen,
wie Neoliberale die Welt sehen. Manches ist zwar arg vorhersehbar: So wurde
der Mietendeckel in Berlin als „Sozialismus à la DDR“ gegeißelt. Aber ganz
so platt bleibt es nicht im Blatt. Sobald es ums Geld geht, ist niemand
genauer als der FAZ-Wirtschaftsteil. Gleich mehrere Artikel haben höchst
kenntnisreich dargestellt, dass sich durch den Mietendeckel schon jetzt
nicht mehr risikofrei mit Immobilien spekulieren lässt. Eines der Ziele ist
also bereits erreicht, lässt sich zwischen den Zeilen lernen.
Der Wirtschaftsteil kann auch überraschen. Wer hätte gedacht, dass die FAZ
kürzlich fordern würde, dass die Regierung die [5][Porsche-Fahrer und
SUV-Liebhaber] ordentlich zur Kasse bitten soll? Ganz so deutlich stand es
zwar nicht in dem Kommentar.
Aber die Richtung war klar: „Man kann genau ausrechnen, wie viel Tonnen CO2
etwa der Verkehr noch emittieren darf, um die Klimaziele zu erreichen.
Genauso viele Zertifikate sollten mit abnehmender Menge pro Jahr
versteigert werden. Das wäre eine effiziente Steuerung, die Mehreinnahmen
könnten in den sozialen Ausgleich, die Forschung und anderes fließen.“ Dies
hätte auch in der taz stehen können, nur anders formuliert.
Der Wirtschaftsteil berichtet zudem nicht nur über Unternehmen, Börsen oder
Wirtschaftspolitik. Auch die theoretischen Debatten der Ökonomenzunft
werden liebevoll abgebildet. In der FAZ lässt sich kleinteilig verfolgen,
wie sehr die neoklassischen Mainstream-Professoren an ihrer eigenen Theorie
leiden. Der Schock der [6][Finanzkrise 2008] sitzt tief, zeigte sie doch,
dass die Annahmen der Konservativen falsch sind. Finanzmärkte sind nicht
effizient, stattdessen folgen die Spekulanten der Herde. Auch funktioniert
der „Markt“ nicht am besten ohne Staat – sondern der Staat wurde zum Rett…
der Banken.
Der britische Ökonom Keynes hat die Exzesse auf den Finanzmärkten übrigens
schon 1936 richtig beschrieben. Ins Lager der Keynesianer will die FAZ
dennoch nicht wechseln. So bleibt sie das Organ, das am besten erklärt, wie
die andere Seite denkt.
Die taz wünscht alles Gute zum Geburtstag!
31 Oct 2019
## LINKS
[1] /!t5010467/
[2] /Mietendeckel-in-Berlin/!5634033
[3] /Die-FAZ-nach-Frank-Schirrmacher/!5034057
[4] /FAZ-wuerdigt-Kolonialgeneral/!5577886
[5] /Obskure-Liebe-zum-VW-Bus/!5624698
[6] /Banker-zehn-Jahre-nach-Lehman-Crash/!5535764
## AUTOREN
Jan Feddersen
Ambros Waibel
Ulrike Herrmann
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