# taz.de -- Polizei und Sicherheit im Stadion: Weniger ist mehr | |
> In Baden-Württemberg wird die Polizeipräsenz bei Fußballspielen | |
> reduziert, ohne dass die Straftaten zunehmen. | |
Bild: Freiburgs Nordkurve ist gegen das neue Polizeigesetz und gegen zu viel Po… | |
Freiburg taz | Wer die politische Landschaft in Baden-Württemberg verstehen | |
will, sollte sich auf Überraschungen gefasst machen. Der Ministerpräsident, | |
der gerne ein „g’scheites“ Auto fährt und damit einen Diesel meint, Jeans | |
mit Löchern „dekadent“ findet und für Angela Merkel (!) betet (!!), ist �… | |
das lässt sich nachweisen – bei den Grünen. | |
Dafür kommen Vorschläge, wie man Fußballfans mehr Vertrauen entgegenbringen | |
und weniger Polizei an Spieltagen einsetzen kann, von einem leitenden | |
Beamten mit CDU-Parteibuch im CDU-geführten Innenministerium. Hingegen ließ | |
der SPD-Mann in Sachen Fußball, Sascha Binder, in der Vergangenheit kaum | |
eine Law-and-Order-Forderung (personalisierte Tickets, längere | |
Stadionverbote) aus. Und ausgerechnet die Polizei im vermeintlich grünen | |
Idyll Freiburg schießt immer wieder mit Kanonen auf Spatzen. | |
Einen „hoch eskalativen Umgang mit Fußballfans, obwohl der Standort und die | |
Fanszene als unproblematisch gelten“, wirft die SC-Ultragruppe „Corrillo“ | |
der Polizei und ihrem Einsatzleiter dann auch vor und nennt zahlreiche, | |
teils regelrecht groteske Beispiele. Unterstützt werden die Freiburger Fans | |
dabei immer wieder von Gästefans, die sich über das rüde Vorgehen der | |
Freiburger Polizei beschweren – beim jüngsten Pokalspiel Ende Oktober gegen | |
Union Berlin wurde ein Fan mitsamt Zaunfahnen auf die Polizeiwache | |
geschleppt, weil er wie alle zwei Wochen mit seiner Stehplatzkarte kurz in | |
den Gästesitzplatzbereich gegangen war, um dort Zaunfahnen aufzuhängen. | |
Vertreter von Fanorganisationen werfen der Freiburger Polizei denn auch | |
seit Langem vor, immer wieder selbst die Voraussetzungen dafür zu schaffen, | |
dass Fußballspiele demonstrativ mit einer starken Polizeipräsenz | |
abgesichert werden. Dass ein Theatergast, der vor Beginn der Vorstellung | |
für wenige Minuten einen teureren Logenplatz besucht, einen großen | |
Polizeieinsatz nebst Ingewahrsamnahme auslöst, ist jedenfalls schwer | |
vorstellbar. | |
## In Kooperation mit den Klubs | |
Mit seiner Strategie ist der Freiburger Einsatzleiter dann auch inhaltlich | |
auf Konfrontationskurs mit der in Baden-Württemberg seit über zwei Jahren | |
geübten Deeskalationsstrategie. Der für Polizeieinsätze zuständige Beamte | |
im Innenministerium, Uwe Stahlmann, verficht mit Rückendeckung des | |
Ministers Thomas Strobl [1][das Konzept der „Stadionallianzen“] mit dem | |
Ziel, die Polizeieinsätze bei Fußballspielen zu reduzieren. „Vor jedem | |
Spiel treffen sich Polizei, Ordnungsdienst, Kommune und die Vereine mit | |
ihren Fan- und Sicherheitsbeauftragten und entwickeln ein gemeinsames | |
Spieltagskonzept.“ | |
Es gehe darum, „das hohe Sicherheitsniveau zu halten und gleichzeitig den | |
Einsatz von Polizeikräften zu verringern“. Den Eindruck vieler | |
Stadionbesucher, dass bei den Spielen oft zu viele Polizeikräfte Dienst | |
tun, teilt Stahlmann: „Wenn laut einer Studie der Uni Potsdam alle | |
Befragten, egal ob Fanszene, Vereine oder Zuschauer, sagen, dass an den | |
Spieltagen zu viel Polizei da ist, muss man sich hinterfragen.“ | |
So sieht man es im schwarz-grün regierten Baden-Württemberg, und auch in | |
einigen SPD-geführten Landesregierungen scheint die Bereitschaft groß, | |
Polizei dort einzusetzen, wo sie auch nach Ansicht vieler neutraler | |
Beobachter weit dringender gebraucht wird als beim Fußball. Anders sieht | |
man es beispielsweise in Nordrhein-Westfalen, wo Innenminister Herbert Reul | |
(CDU) die von Rot-Grün eingeforderte Kennzeichnungspflicht für | |
Polizeibeamtinnen und Beamte aufhob, die Polizei großflächig zu Betretungs- | |
und Aufenthaltsverboten für Fußballfans greift und schon bei kleinsten | |
Ordnungswidrigkeiten wie dem kurzzeitigen Betreten einer Straße Strafen | |
verhängt. | |
Dabei steht die Zahl der Straftaten bundesweit in krassem Gegensatz zu der | |
landläufigen Meinung, es sei gefährlich, ein Fußballspiel zu besuchen. | |
Baden-Württemberg kommuniziert das neuerdings auch genau so: „Wir haben | |
über die Jahre hinweg zwischen 0,5 und 1 Verletzten pro Spiel in den ersten | |
drei Ligen und im Schnitt etwa fünf Straftaten pro Spiel. Im Vergleich zu | |
anderen Großveranstaltungen ist das sehr niedrig.“ | |
## Kapazitäten für andere Aufgaben | |
Eine Erkenntnis, aus der im Stuttgarter Ministerium die entsprechenden | |
Schlüsse gezogen wurden. „Wir haben seit Einführung der Stadionallianzen | |
35.000 Einsatzstunden eingespart, das sind nahezu 20 Prozent.“ So sei die | |
Partie Stuttgart–Frankfurt jahrelang als Hochrisikospiel eingestuft worden. | |
„Jetzt arbeiten wir da mit der Hälfte der Kräfte.“ Bei | |
Hoffenheim-Leverkusen kam man zuletzt mit 65 statt wie früher mit 110 | |
Kräften aus. Dass es nicht einen einzigen Zwischenfall gab, wundert | |
Stahlmann nicht: „Weil wir uns mit der Fanseite und dem Verein enger | |
abstimmen, können wir die Kräfte zielgerichteter einsetzen.“ | |
Einiges deutet darauf hin, dass im Südwesten Außergewöhnliches gelungen | |
ist: Bei den Fußballspielen kommt es nicht zu mehr Straftaten, und die frei | |
gewordenen Einsatzkräfte können sich um andere Aufgaben kümmern. In letzter | |
Zeit ist die Aufklärungsquote von Wohnungseinbrüchen gestiegen, heißt es | |
im Innenministerium. Ein direkter Zusammenhang mit den Stadionallianzen | |
sei nicht beweisbar – aber nicht unwahrscheinlich. | |
Allerdings ist nicht jeder bereit, den Umstand zu nutzen, dass es derzeit | |
im Südwesten politische Rückendeckung für einen [2][Deeskalationskurs] | |
gibt. Bundesweit gelten Fußballspiele im Freiburger Schwarzwaldstadion als | |
friedliche Veranstaltungen. Es gibt allerdings zumindest einen Menschen, | |
der meint, dass das an der Omnipräsenz der Freiburger Polizei liegt. | |
Fatalerweise ist es deren Einsatzleiter. | |
11 Nov 2019 | |
## LINKS | |
[1] https://www.baden-wuerttemberg.de/de/service/presse/pressemitteilung/pid/ei… | |
[2] /Reaktion-auf-Fangewalt/!5019692 | |
## AUTOREN | |
Christoph Ruf | |
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