# taz.de -- Rätselhafter Sanddorn-Schädling: Der Tod der Beeren | |
> Sanddorn gilt als Vitamin-C-Bombe, reif sind die Früchte im Herbst. Doch | |
> die Pflanzen sterben, in Mecklenburg wie in China – und niemand weiß, | |
> warum. | |
Bild: Im Westen Mecklenburgs sind die Sanddornpflanzen am häufigsten krank | |
Marlow taz | Benedikt Schneebecke stapft an einem Herbstmorgen über seine | |
Felder, vorbei an kahlen Strauchreihen. Er biegt links in eine Reihe ein, | |
bleibt vor seinen drei Mitarbeitern stehen. Die Männer halten Akkuscheren, | |
die nach den Zweigen greifen. Schneebecke selbst zwackt ein paar Beeren mit | |
zwei Fingern ab, stopft sie sich in den Mund. „Hier habe ich zwei, drei | |
Pflanzen, die sehen super aus“, sagt er. Weiter hinten nicht: Da seien ein | |
paar Sträucher schon tot. | |
Schneebecke ist 39, blond und eigentlich Anwalt. Nach dem Abitur studierte | |
er Jura in Münster, Freiburg, Lausanne in der Schweiz. Dann stirbt sein | |
Vater nach einem Arbeitsunfall auf dem Hof in Marlow. Und Schneebecke | |
übernahm den Betrieb in Vorpommern. Damals war er 31 Jahre alt. „Ich hatte | |
keine Wahl, aber das war für mich auch klar, das zu übernehmen“, sagt er. | |
Heute, acht Jahre später, gehören ihm 600 Hektar Land, auf 60 davon baut er | |
Sanddorn an. Er mag die Frucht, streue morgens gefrorene Beeren in das | |
Müsli seiner Kinder. Doch jetzt steht er vor einem Rätsel. „Uns sterben die | |
Sträucher ab, 15 Prozent meiner Fläche ist befallen, aber das ist ein | |
Problem in ganz Mecklenburg-Vorpommern“, sagt er. | |
Und nicht nur dort. | |
Wissenschaftler:innen und Landwirte beobachten seit mehr als vier Jahren, | |
dass es dem Sanddorn nicht gut geht, sowohl dem auf den Plantagen wie bei | |
Schneebecke als auch den Wildsorten an der Küste. Auch Brandenburg und | |
Sachsen-Anhalt seien bald betroffen, es gebe Pflanzen in Niederösterreich, | |
in China, überall zeige der Sanddorn die gleichen Symptome, sagt Joachim | |
Vietinghoff. Er ist stellvertretender Direktor des Landesamtes für | |
Landwirtschaft, Lebensmittelsicherheit und Fischerei – und in | |
Mecklenburg-Vorpommern zuständig für das Sanddornsterben. Das Amt | |
untersucht die kranken Pflanzen im Labor und forscht nach Pilzen, Viren, | |
Bakterien, die dem Sanddorn zu schaffen machen könnten. | |
## Die Forscher rätseln | |
„Wir beschäftigen uns eigentlich jeden Tag mit Schadorganismen, an den | |
unterschiedlichsten Kulturpflanzen. Mir ist das in meinem Berufsleben noch | |
nie passiert, dass wir einen Erreger haben, der völlig unbekannt ist“, sagt | |
Vietinghoff. Er hat auf dem kranken Sanddorn zwar einen Pilz gefunden und | |
erklärt, dass dieser Pilz die Gefäße des Sanddorns hinaufwandere und | |
verstopfe, sodass die Pflanze keine Nährstoffe und kein Wasser mehr | |
aufnehmen könne. | |
Die Sträucher verdorren also. Aber Vietinghoff sagt auch, dieser Pilz | |
könne eigentlich nicht der Übeltäter sein. „Das sind in der Regel alles | |
Schwächeparasiten, die sich auf geschwächte Pflanzen aufsatteln, aber dass | |
das jetzt die Ursache für das Sanddornsterben ist, das können wir uns nicht | |
vorstellen“, sagt Vietinghoff. | |
Das Sterben auf Schneebeckes Plantage geht schnell. Er sieht, wie die | |
Blätter welken, abfallen, wie die Zweige aufhellen und austrocknen. | |
Manchmal dauere das nur zwei, drei Wochen, sagt er. Aber Benedikt | |
Schneebecke will seinen Sanddorn retten. | |
Er steigt in seinen Geländewagen, steuert ihn über seine Felder, schleift | |
zwischen zwei Sträucherreihen entlang, die Einparkhilfe fiept. Schneebecke | |
zeigt aus dem Fenster auf seine Beeren, links die Sorte Habego, rechts die | |
Leikora, tropfenförmig und prall orange. | |
Die Sorte Leikora – laut dem Ministerium für Landwirtschaft Brandenburg ist | |
sie die am weitesten verbreitete Sanddornsorte in Mitteleuropa, beruht auf | |
der Arbeit des Züchters Hans-Joachim Albrecht. Der Gartenbauingenieur | |
entwickelte in den 1970er Jahren an einer Baumschule in Berlin-Treptow | |
unter anderem die Leikora aus Wildsorten für den Kulturanbau, weil die | |
DDR-Führung auf der Suche nach verlässlichen und erschwinglichen | |
Vitamin-C-Spendern war, jenseits teurer Importe von Südfrüchten. | |
Fünf, sechs Reihen hinter der Leikora liegt eine graue Fläche, voller | |
grauer abgestorbener Sträucher. Das sei der „Befallsherd“, sagt | |
Schneebecke, von dem sich das Sterben wie in Fingerform ausbreite. „Ich | |
mache Befahrungen alle paar Tage, aber im Grunde habe ich keine Lust mehr, | |
durch die befallenen Kulturen zu fahren, weil wir nichts machen können. | |
Deswegen bringt es auch nichts, wenn ich alle zwei Tage neue Pflanzen | |
entdecke, die absterben und tot sind.“ | |
Andere haben den Sanddorn aufgegeben, wie Gerald Fischer. 20 Minuten | |
Autofahrt nördlich von Schneebeckes Hof hatte der Bauer auf 15 Hektar | |
Sanddorn angebaut, um daraus Marmelade und Likör herzustellen. Doch | |
vergangenes Jahr hat Fischer seine Flächen gerodet. Auch ihm waren die | |
Sträucher abgestorben. Fischer hatte versucht, den Sanddorn zu retten, | |
hatte noch einmal neue Stecklinge in den Boden gesetzt, dick wie Bleistifte | |
und etwa zehn Zentimeter hoch, erzählt er. Und die Sträucher seien auch | |
wieder gewachsen, etwa einen halben Meter hoch, nur um doch wieder | |
einzugehen. „Ich habe das als Hobby nebenbei gemacht, für mich war das | |
nicht existenzbedrohend. Andere trifft es härter“, sagt Fischer. | |
## 70.000 Euro verliert ein Hof pro Jahr | |
Benedikt Schneebecke etwa rechnet dieses Jahr damit, 60 Tonnen Sanddorn zu | |
ernten. 20 Tonnen gingen ihm durch das Sanddornsterben verloren und damit | |
etwa 70.000 Euro an Einnahmen im Vergleich zum Vorjahr. Er will | |
expandieren, sein Ziel: jedes Jahr 120 bis 160 Tonnen Sanddorn ernten. | |
Also schreibt er einen Brief an das Ministerium für Landwirtschaft in | |
Mecklenburg-Vorpommern: „Unsere Existenz ist bedroht und eine Kulturpflanze | |
vor dem Aussterben. Und das Ministerium muss etwas tun, es muss eine Stelle | |
schaffen, um am Sanddorn zu forschen. Da reicht ein Mitarbeiter.“ Klar, den | |
müsse man finden und finanzieren. „Aber allein, was ich an Schaden habe, | |
damit hätte ich zwei Stellen finanzieren können“, sagt Schneebecke. | |
Sein Geländewagen lenkt auf den Hof ein. Er habe mehrere hunderttausend | |
Euro investiert, allein in die Schockfrosterzellen, zwei weiße Container, | |
die haushoch auf seinem Hof aufragen. Er steigt aus dem Auto, zieht die Tür | |
der Schockfroster auf, Dampf pufft heraus. Drinnen sind es minus 26 Grad. | |
Weiße Kisten stapeln sich übereinander, Schneebeckes Mitarbeiter versuchen, | |
an einem Tag 48 Boxen mit Sanddorn zu füllen, eine Box misst sieben | |
Kubikmeter. Ventilatoren pressen die Luft zwischen die Beeren. „Die Umluft | |
muss eingedrückt werden in die Ernteboxen, damit die Beeren sich leichter | |
von den Ästen lösen lassen“, ruft Schneebecke in das Umluftbrummen und | |
greift nach den Zweigen in einer Box, die knacken wie in einem Lagerfeuer. | |
Orangefarbene Beeren rieseln hinab. „Wie kleine Perlen“, sagt Schneebecke. | |
Ein Gabelstapler zieht eine Box heraus, fährt sie zu der Erntemaschine, die | |
ist eine Art Trog, in den der Gabelstapler die Beeren hineinkippt. So | |
rüttelt und schüttelt die Maschine die Beeren des Sanddorns von den Zweigen | |
und Blättern nach und nach ab. Die Beeren landen dann auf einem Fließband, | |
das sie auf ein Sieb spuckt, in die Hände von Schneebeckes Mitarbeitern. | |
Die ruckeln das metallene Sieb hin und her, um die letzten Blätter von den | |
Beeren zu trennen, ein wenig so, wie Goldgräber ihre Siebe im Wasser | |
waschen. | |
Die Mitarbeiter verpacken sie in knisternde Lebensmittelfolie, dann warten | |
die Beeren auf einen Lkw, der sie in eine Mosterei transportieren wird. | |
Eine digitale Waage zeigt: 355 Kilo, jede Kiste enthalte 350 Kilo Beeren, | |
sagt Schneebecke. „Hier freut sich der Kunde, wenn wir ein bisschen mehr | |
reinpacken.“ Er zwinkert und sein Mitarbeiter schaufelt schnell wieder ein, | |
zwei Kellen der Beeren wieder aus der Kiste hinaus. | |
## West-Ost-Gefälle des Sterbens | |
Till Backhaus, SPD-Landwirtschaftsminister in Mecklenburg-Vorpommern, sagte | |
im vergangenen Jahr zum Sanddornsterben: „Das ist dramatisch. Wir müssen | |
uns dieses Problems jetzt verstärkt annehmen.“ Sein Ministerium schreibt, | |
es prüfe im Moment finanzielle Unterstützung für betroffene Landwirte. Es | |
habe außerdem entlang der Ostseeküste kartografiert, wie krank der Sanddorn | |
sei. Eine Ursache haben das Ministerium und das ihm unterstehende Landesamt | |
für Landwirtschaft nicht gefunden. | |
Joachim Vietinghoff, den Forscher vom Landesamt, wurmt es, dass er keinen | |
Erreger findet. „Das kratzt an unserer Ehre, das gebe ich zu. Es gibt kein | |
Muster, keine Analogien zu anderen Schadorganismen. Das Einzige: Es gibt | |
ein West-Ost-Gefälle der Wildbestände an den Küsten.“ Soll heißen, das | |
Ausmaß des Sterbens nimmt vom Westen Mecklenburgs bis nach Osten | |
Vorpommerns ab, aber kranke Pflanzen stünden überall. Auf Hiddensee zum | |
Beispiel, sagt Vietinghoff, während der Sanddorn an der Ostküste Rügens | |
völlig unbeeindruckt wachse. Deswegen hat das Ministerium das | |
Julius-Kühn-Institut mit dem Sanddornsterben beauftragt, das ist das | |
Bundesforschungsinstitut für Kulturpflanzen. | |
Deshalb liegen jetzt Blätter des Sanddorns aus Mecklenburg-Vorpommern bei | |
Wilhelm Jelkmann in Dossenheim, Baden-Württemberg. Er ist Leiter des | |
Kühn-Instituts und forscht daran, wie und warum Obst und Weinreben an | |
Bakterien, Viren und anderen Erregern erkranken. Jelkmann hat zwei seiner | |
Mitarbeiter auf den Sanddorn angesetzt. Die ermitteln unter anderem mittels | |
einer DNA-Sequenzierung einen genetischen Fingerabdruck der Sanddornproben, | |
identifizieren also alles, was sich in und auf der Pflanze befindet, bevor | |
sie diese Datenmengen an einen Rechner mit einer bestimmten Software | |
füttern. Der ordnet die einzelnen Daten zu: der Pflanze, den Bakterien, | |
Viren, vielleicht den Schuppen eines Menschen oder eines Insekts, erklärt | |
Jelkmann. | |
Sein Ansatz ist nun, das Sterben des Sanddorns mit dem Sterben von | |
Weinreben zu vergleichen. Diese von Pilzen verursachte Esca-Krankheit ist | |
der Wissenschaft seit Jahrzehnten bekannt. Forschende gehen davon aus, dass | |
sich auf Trieben, Blättern und Holz der Reben verschiedene Pilze tummeln, | |
die unter bestimmten Bedingungen wie Stress, Dürren, Hitzeperioden auf die | |
Reben wirken und schließlich den Wein austrocknen. Aber: „Der Klimawandel | |
ist oft eine viel zu einfache Erklärung, die man aus dem Hut zaubert. In | |
der Regel gibt es keine einfachen Erklärungen“, sagt Jelkmann. Es könne | |
also ganze Forscherkarrieren dauern, bis sie die Ursachen des | |
Sanddornsterbens ermittelten. Es fehlten noch viele Puzzlesteine, um das | |
Gesamtbild zusammenzusetzen. | |
## Ein Netz gegen den unbekannten Schädling | |
Keine guten Aussichten für den Landwirt Schneebecke in Marlow. Er versucht | |
also, sich selbst zu helfen, hat Leitungen durch den sandigen Boden seiner | |
Felder gelegt, ab und zu ragt ein Stöckchen aus der Erde, dort blinzeln | |
Wasserhähne heraus. Es ist ein Netz auf 25 Hektar, das Benedikt Schneebecke | |
unter der Oberfläche gespannt hat, nur auf einem Teil der Fläche, auf dem | |
er Sanddorn anbaut. Alle 50 Zentimeter dringen durch ein Loch ein paar | |
Tropfen Wasser heraus, unterirdisch. Schneebecke hofft, dass das seinen | |
Sanddorn besser gegen die Krankheit wappnet, sich wie ein Schutzschild vor | |
den unbekannten Erregern aufstellt. Er hat Angst, dass sich der Erreger | |
über die Wurzeln verbreitet, also reißt er außerdem das Wurzelwerk der | |
kranken Pflanzen heraus. | |
Nur: Der Sanddorn setzt sich flach, aber breit in der Erde fest. Wurzeln | |
strecken sich bis zu zehn Meter aus, reichen bis drei Meter in die Tiefe. | |
Unwahrscheinlich, dass er alle befallenen Enden herausrupfen kann. Auf | |
einem Hektar stehen 1.500 Pflanzen. Setzt Schneebecke dann neue Stecklinge | |
in die Erde, hält er mindestens einen Kilometer Abstand zu den befallenen | |
Flächen. Schneebecke braucht den Sanddorn. | |
30 Prozent seines Umsatzes macht der aus, im Winter verkauft er | |
Tannenbäume, die neben dem Sanddorn wachsen. „Ich will dahin kommen,50 | |
Prozent des Umsatzes mit dem Sanddorn zu machen. Ich kann nicht nur auf | |
Weihnachtsbäume setzen – ich könnte nicht mehr ruhig schlafen, wenn ich | |
denken würde, dass meine komplette Existenzgrundlage verlorengeht“, sagt | |
Schneebecke. | |
14 Nov 2019 | |
## AUTOREN | |
Katharina Elsner | |
## TAGS | |
Schädlinge | |
Mecklenburg-Vorpommern | |
Ostsee | |
Lesestück Recherche und Reportage | |
Schwerpunkt Klimawandel | |
Trockenheit | |
Naturschutz | |
## ARTIKEL ZUM THEMA | |
Klimaschutz beim Weinanbau: Der Doppel-null-Riesling | |
Mit einem gewagten Experiment hat das Weingut Burg-Martini einem | |
„Klimaschutzwein“ erzeugt. Jetzt reift er im Keller und wartet aufs | |
Frühjahr. | |
Bäume und Wälder in der Dürre: Bis an den Rand der Todeszone | |
Werden die Wälder überleben? Nur wenn die Bäume und die Waldökosysteme Zeit | |
und Raum haben, sich ans veränderte Klima anzupassen. | |
Bekämpfung von Raupen: Haarige Zeiten für märkische Spinner | |
Brandenburg hat den Eichenprozessionsspinner erfolgreich bekämpft: Dank | |
Gifteinsatz wird die Raupe nimmer satt. Berlin kann auf solche Mittel | |
verzichten. |