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# taz.de -- Britische Künstlerin „Afrodeutsche“: Maschinenfunk im magische…
> „Afrodeutsche“ ist das Alias der Elektronikproduzentin Henrietta
> Smith-Rolla. Ihr Debütalbum „Break Before Make“ offenbart vielfältige
> Wurzeln.
Bild: Nennt sich als Künstlerin „Afrodeutsche“: Henrietta Smith-Rolla
Es gibt die Idee, dass die Suche nach Identität das Leben einfacher macht.
Dass die Aussage, woher man kommt und was man deshalb ist, einen von der
Bürde befreit, herauszufinden, was man werden könnte. Aber meistens macht
die Suche nach der eigenen Identität die Dinge komplizierter – so wie bei
der britisch-ghanaischen Musikerin Henrietta Smith-Rolla, die unter dem
Künstlerpseudonym Afrodeutsche elektronische Musik produziert.
„Alles begann, als ich nach meinem Vater gesucht habe. Mein Onkel hat mir
erzählt, dass er als Ghanaer den Großteil seines Lebens in Deutschland
verbracht hat und dort in den 1950ern künstlerisch tätig war“, erzählt sie
in einem Café in Manchester, wo sie wohnt. „Bei der Recherche tauchte das
Wort Afrodeutsche auf. Ich habe dann gedacht, das muss etwas bedeuten, da
gibt es eine Verbindung.“
Diese Verbindung führt aber nicht nur über die Nordsee nach Deutschland,
sondern auch über den Atlantik nach Detroit, der Heimat von Techno. Dort
wurde 1998 auf dem Label [1][Underground Resistance] der Track
„Afrogermanic“ veröffentlicht, den Smith-Rolla als wichtigen Einfluss auf
ihre Musik anführt. US-Techno-Produzenten wie Drexciya fanden in den
reduzierten, unterkühlten Zukunftsvisionen von Kraftwerk aus Düsseldorf
eine Metapher für ihre Existenz als Afroamerikaner im deindustrialisierten
Detroit der 90er Jahre: den Afrofuturismus.
20 Jahre später findet er einen Widerhall in Manchester, wo im 19.
Jahrhundert Baumwolle aus den britischen Kolonien in der Karibik den
Grundstock für den Wohlstand des britischen Empires gelegt hat. „Freunde
von mir aus Manchester wollten wissen, ob ich die Detroiter KünstlerInnen
Drexciya und Dopplereffekt kenne“, erzählt Afrodeutsche. „Dann haben sie
mir deren Musik gegeben, und als ich das gehört habe, hat es klick gemacht.
Ihr Afrofuturismus hat sich angefühlt, als käme er aus mir selbst heraus.“
Henrietta Smith-Rolla taucht damit ein in die Geschichte des „schwarzen
Atlantiks“, der niemals endenden Neukonfiguration afrodiasporischer
Identitäten.
Für Zukunftsgläubigkeit ist dabei in ihrem Selbstentwurf nicht viel Platz.
Tracks von Afrodeutsche verbreiten [2][gedämpfte Melancholie]. Die Drums
sind spärlich und voller maschinellem Funk, die Synthesizermelodien
verlieren sich im Nirgendwo. „Ich habe versucht, fröhlichere Musik zu
kreieren“, sagt Afrodeutsche und lacht. „Aber ich musste akzeptieren, dass
meine Musik melancholisch ist. Damit versuche ich zu übersetzen, was
jenseits all dieser Positivität abgeht.“
In Manchester ist diese Haltung neu. Denn der Sound der Stadt war lange von
lärmenden Indiejungs dominiert, deren Songs Hymnen sein wollten: fürs
Fußballstadion, für die Sauftouren am Wochenende, Hymnen für eine Stadt,
die sich nach dem Niedergang der Baumwollindustrie als Popmetropole
wiedererfunden hat. Afrodeutsches Musik ist der Soundtrack zur Melancholie
der Post-Boom-Jahre.
Zur Heimfahrt im überteuerten Nachtbus, zu den Obdachlosen, denen die
Feierwütigen nachts auf der Straße begegnen, zu den Baukränen, die einen
ökonomischen Aufschwung versprechen, aber auch dafür gesorgt haben, dass
die Clubszene das Stadtzentrum fast vollständig verlassen musste. Sie steht
für eine Generation von Musikern, die nicht mehr an die Zukunft glauben,
weil das letzte Zukunftsversprechen, der kreditfinanzierte Boom der nuller
Jahre, sie enttäuscht hat.
Im Zuge dessen hat sich in Manchester eine Do-it-yourself-Szene gebildet,
von der auch Afrodeutsche ein Teil ist. „In Manchester sind alle Leute
stabil, und wenn das jemand nicht ist, dann wird er höflich ignoriert. Man
muss nicht live spielen“, sagt sie. „Als ich nach Manchester gezogen bin,
um Musik zu machen, gab es immer Leute, die mir geholfen haben. Man kümmert
sich hier umeinander.“ Ihre Heimat hat diese Szene in den vielen
Kellerclubs des Northern Quarter und im White Hotel, einer ausrangierten
Autowerkstatt im Industriegebiet von Salford, wo auch Afrodeutsche
regelmäßig auftritt.
„The White Hotel ist ein magischer Raum. Man weiß nie, was einen dort
erwartet“, sagt sie. „An einem Tag wird bis morgens um 7 Uhr getanzt, am
nächsten Tag gibt es Kammermusik. Es ist der beste Ort für sicheren und
total durchgeknallten Spaß.“ Ein Safe Space für Identitätsexperimente also,
in dem vor allem Raum für Veruneindeutigung ist. Wie in der Musik von
Afrodeutsche.
28 Oct 2019
## LINKS
[1] /Detroit-Techno-in-einem-Fotoband/!5298869
[2] https://www.youtube.com/watch?v=TgzO1BsXLfI
## AUTOREN
Christian Werthschulte
## TAGS
Henrietta Smith-Rolla
Afrodeutsche
Manchester
Spiritual Jazz
Wahlen in Großbritannien
Warp Records
elektronische Musik
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