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# taz.de -- Roman „Wie Frau Krause die DDR erfand“: Eine zahnlose Satire
> Kathrin Aehnlichs Roman behandelt den stereotypen Blick von Wessis auf
> Ossis – und von medialen Konstruktionen. Das Ergebnis ist leider
> enttäuschend.
Bild: Spielende Kinder in Eisenhüttenstadt, 1974
Es spricht für sich, wenn eine Hamburger Wochenzeitung eine 12-teilige
Artikelserie zum 30. Jahrestag des Mauerfalls unter das Motto „Erklär mir
den Osten“ stellt und fragt: „Was lief da schief?“ Dass die Dinge
vielleicht schiefgelaufen sind, weil der Westen den Osten gar nicht erklärt
haben will oder schon viel zu viel ritualisiert erklärt worden ist, wären
Überlegungen, die der Moral von Kathrin Aehnlichs Roman „Wie Frau Krause
die DDR erfand“ nahekommen.
Die Heldin mit dem vorbildlichen Durchschnittsnamen fristet als
Schauspielerin ihr Dasein in prekären Verhältnissen, indem sie gelegentlich
einen Auftritt als Animateurin im Altenheim oder Aktrice in einem Werbespot
ergattern kann.
Als sie bei einem Casting in der Hauptstadt vorspielt, verliert sie
angesichts der Dämlichkeit des Spots die Contenance und legt ihre „Rolle“
in übertrieben breitem Sächsisch an. Die Provokation führt aber nicht zum
Rausschmiss, sondern zu einem wesentlich lukrativeren Auftrag. Die
Produktionsfirma, die den Spot dreht, plant die TV-Serie „Wild-Ost“, in
der, nun ja, der Osten „erklärt“ werden soll: „das ganz normale Leben in
den Familien und den Betrieben“, anhand als typisch geltender DDR-Bürger.
Genau die soll Isabella Krause nun engagieren. Das ist für sie kein
Problem, denn natürlich kennt sie jede Menge exemplarischer DDR-Menschen:
ehemalige Arbeiter aus dem natürlich längst abgewickelten Stahlwerk, eine
Kindergärtnerin, die Wirtin einer Bahnhofsgaststätte. Sie sind auch alle
bereit, vor der Kamera zu erzählen, wie es so war, damals im
Arbeiter-und-Bauern-Staat. Normal nämlich, und unpolitisch: „Die Familie
war sich selbst genug und hatte das Land ringsherum als notwendiges Übel
betrachtet.“
## „Die sehen ja alle so fröhlich aus“
Dass die Zeitzeugen vor allem von ausgelassenen Festen erzählen, harmlosen
Freuden im Privaten, von durchschnittlichen Alltagsbeschäftigungen, wie es
sie auch im Westen gab, enttäuscht die Filmleute. „Die sehen ja alle so
fröhlich aus“, staunt der Autor der Serie, als ihm die Kindergärtnerin alte
Fotos mit heiteren DDR-Kindern zeigt. „Vielleicht wurden sie gezwungen“,
sagte die Assistentin.
Man hatte halt mehr an telegene Systemopfer gedacht, die darunter litten,
dass sie nicht reisen durften, ihre Meinung nicht sagen konnten: „die
Mangelwirtschaft und die Bevormundung durch den Staat. Sie wissen schon.“
Es versteht sich von selbst, dass die Serienmacher aus dem Westen sind, vom
Osten keine Ahnung haben und auch nicht ansatzweise an seiner Geschichte
und Bevölkerung interessiert sind. Sie wollen Klischees, und die bekommen
sie: Frau Krause nutzt ihre Verbindungen im Schauspielermilieu und
erledigt ihren Auftrag, indem sie die DDR erfindet.
## Schablonenhaft und vorhersehbar
Dieser Plot ist durchaus vielversprechend, man kann einiges damit anfangen
und auf unterhaltsame Weise Vorurteile und Sprachlosigkeiten entlarven und
vielleicht überwinden helfen. Doch was Kathrin Aehnlich aus dem Potenzial
ihres Stoffs macht, ist eine zahnlose Satire, und zwar nicht nur auf
Ost-West-Missverständnisse, sondern auch auf eine Medienlandschaft, die
sich nicht mehr an der Realität abarbeitet, sondern es ausschließlich auf
Affekte abgesehen hat.
Das alles ist viel zu schablonenhaft und vorhersehbar angelegt, und neu ist
es auch nicht unbedingt. Zudem ist Aehnlichs Konstrukt nicht stimmig: Dass
sie ihre Frau Krause zunächst lediglich unpolitische Menschen aufbieten
lässt, die nichts an der DDR zu beanstanden haben, mag die „Logik“ der
Story erfordern, plausibel wird es dadurch nicht.
Dabei weiß Kathrin Aehnlich, wovon sie erzählen könnte, nicht nur, weil sie
als 1957 in Leipzig Geborene viel DDR-Leben erfahren hat. Sie hat als
Autorin, Journalistin und MDR-Redakteurin in zahlreichen Büchern,
Dokumentarfilmen und Rundfunksendungen unterschiedliche Aspekte der
DDR-Alltagskultur recherchiert und aufbereitet – vom Buchbeitrag „Frauen in
der DDR“ bis zum Film „Blauhemd – Bluejeans – Beatmusik. Jugend und Mus…
in der DDR“. In diesen Funktionen mag sie den Osten, seine Geschichte und
Gegenwart, erklärt haben, und auch, was schiefgelaufen ist.
In ihrem auch sprachlich wenig ambitionierten Roman ist ihr das nicht
gelungen: „Das Gedächtnis war ein Kaufmannsladen, in dem Erinnerungen
feilgeboten wurden. Einige gab es umsonst, andere waren bereits nach kurzem
Nachdenken zu haben.“ Aehnlichs Angebot ist viel zu wohlfeil geraten.
25 Oct 2019
## AUTOREN
Thomas Schaefer
## TAGS
DDR
Medien
Ost-West
Mauerfall
Buch
radix-Blätter
Buchmarkt
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