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# taz.de -- Ausstellung „Hot Stuff“ in Hamburg: Das große Haben-Wollen
> Die Ausstellung „Hot Stuff – Archäologie des Alltags“ zeigt, was
> Schlangestehen fürs neueste Smartphone zu tun hat mit dem Ende der
> Steinzeit.
Bild: 90 Minuten Subtext: Wer sich nicht traute, aber Romantisches sagen wollte…
Hamburg taz | „Papa, hast du denn in der Steinzeit gelebt?“ Das war, glaubt
man Rainer-Maria Weiss, die Urszene, sozusagen. Nun ist der Mann Direktor
des Archäologischen Museums Hamburg im südlich der Elbe gelegenen Stadtteil
Harburg, da wäre die Steinzeit sein ganz gewöhnliches Geschäft, sollte man
meinen.
Die aktuelle Sonderausstellung seines Hauses aber, das sagt Weiss selbst,
sei „ganz und gar ungewöhnlich“. Denn sie beschäftigt sich nicht mit „d…
Steinzeit“, zumindest nur ganz wenig. Dafür geht es um die vergangenen
drei, vier Jahrzehnte: „Hot Stuff“ ist sie betitelt; und der Untertitel
lautet, als wollte er eine Brücke schlagen: „Archäologie des Alltags“.
[1][Gebrauchsobjekte] aus den Jahren 1970 bis 2000 sind da nun ausgestellt,
rund 100 davon „so wertvoll, dass wir sie museal präsentieren“: hinter
Glas, meist jedes für sich, in Vitrinenfächern.
Andere dürfen im Ensemble auftreten, „in Lebenssituationen“: ein typischer
Großraumbüroschreibtisch etwa, mit elektronischer Rechenmaschine, darauf
einem voluminösen Diktiergerät und einem orangefarbenen
Wahlscheibentelefon, das sogar funktioniert: Damit lässt sich im
übernächsten Raum anrufen (und umgekehrt). Also etwa in einem von
Schilfgrün dominierten Wohnzimmer mit dem vollständigen gedruckten
Brockhaus im Regal – auch schon ein Museumsobjekt heutzutage. Eine
Retro-Ausstellung also, ach so ironisch und einladend zum wohlfeilen
Schmunzeln über die geschmacklichen Verirrungen unserer Groß- und Eltern?
## Kein Kuriositätenkabinett
Es sei ausdrücklich nicht darum gegangen, ein Kuriositätenkabinett
aufzumachen, erzählt Weiss. Immer wieder mal müsse man wohlmeinende
Harburgerinnen und Harburger wegschicken, die offenbar mit einem Kofferraum
voller Flohmarkttauglichem vorgefahren kommen. Nein, es gehe schon darum
mit archäologischem Werkzeug an diese scheinbar so vertrauten Objekte
heranzugehen; Objekte, denen man fast schon mit archäologischen Mitteln
nachspüren müsse – weil sie nämlich ausgestorben seien. Die klassische
gelbe Telefonzelle etwa, die in die Ausstellung sollte: auf dem
Gebrauchtmarkt schlicht zu teuer sei die gewesen. Deshalb gibt es nun zwar
einen Wand-Münzfernsprecher, aber eben ohne das markante Gehäuse.
„All das ist für uns kein Irrläufer“, sagt der Museumsdirektor also und
unterstreicht: Diese Ausstellung hat man nicht irgendwo eingekauft, sondern
selbst konzipiert – und wird sie nach der Laufzeit an der Elbe vielmehr
auch anderswo zeigen. Den „Hot Stuff“ übersetzt er auf Nachfrage mit
„heißer Scheiß“, und das erhellt die Konzeption tatsächlich: Es sind nic…
zuletzt [2][Must-haves] von damals, technische Gerätschaften, die
einerseits mehr oder weniger nützlich gewesen sein mögen, die aber vor
allem für etwas Neues standen, etwa die ersten ihrer Art waren.
Also zeigt man [3][das erste Walkman-Modell], das in Deutschland auf den
Markt kam. Oder das erste, von heute aus so schrecklich mobil natürlich
nicht mehr wirkende – Mobiltelefon. „Insbesondere technische Geräte waren
Ausdruck des Lifestyles und der Abgrenzung zur älteren Generation“,
schreibt das Museum. „Aber auch der Overhead-Projektor, das Telefax-Gerät
oder die Floppy-Disk als Speichermedium waren technische Neuerungen, die
die Welt veränderten.“
In einer Vitrine aufgereiht ist ein halbes Dutzend elektronischer
[4][Gadgets]; in der Mitte das erste iPhone, 2007 auf den Markt gekommen,
das ja auch schon wieder ziemlich wenig mit den aktuellen Verwandten
verbindet. Von den Rändern her sind Geräte angeordnet, die einst einzelne
der Funktionen anboten, die das Proto-Smartphone heute in sich vereint: Aus
der einen Richtung also der erste Sony-Walkman, ein tragbarer CD-Spieler,
auch ein frühes Beispiel für die spätere Sackgasse namens Minidisc. Aus der
anderen Richtung: mehrere Generationen mehr oder minder tragbarer Telefone.
Einerseits also beschert der Gang durch die Sonderausstellungsfläche, ein
paar Meter abseits des eigentlichen [5][Museums], manches Aha-Erlebnis, und
die Macher*innen empfehlen, mit den eigenen Kindern zu kommen; oder mit den
eigenen Eltern. Apropos: Der eingangs zitierte entgeisterte Ausruf mit der
Steinzeit entfuhr Weiss’ Tochter, als der gerade davon erzählt hatte, wie
das zu seiner Zeit gewesen sei, eine Abschlussarbeit zu schreiben mit
Endlospapier und Nadeldrucker – was für heute Um-die-20-Jährige offenbar
klingt wie ein Höhlenmenschendasein.
„Bei uns geht es nicht um Moden“, auch das sagt Weiss zur Frage der
Konzeption und deren Präzisierung. Wenn er Leuten erzählt habe vom Konzept
der kommenden Ausstellung, dann hätten die gerne gesagt: „Ah, ja, das
Bonanza-Rad. Hatte ich auch.“ Oder: „Schlaghosen!“ Es seien aber weder das
Fahrrad noch die Hose verschwunden oder überflüssig geworden; worauf sich
da ein möglicherweise nostalgischer Blick richtet, das sind demnach
temporäre Ausprägungen – Moden.
Und noch eine Art Brückenschlag von der Archäologie, also einer, die nicht
erklärungsbedürftig ist, zu den nun gezeigten Objekten ist in der
Ausstellung versteckt. Nach dem Reinkommen gleich links gibt es
reproduzierte Pfeilspitzen sowie eine Replika des Flintschwerts aus dem
dänischen Åtte, beides ungefähr von 1600 vor Christus. Auch damals schon
hat es also eine Konkurrenz gegeben darum, wer was wie früh hat, es sich
leisten kann, bevor die anderen es können. Als die Bronzezeit ihren
Schatten voraus warf mit ihren gegossenen und also sehr scharf zu machenden
Klingen, was taten die Anbieter der absehbar obsolet gewordenen Klingen aus
Flintstein? Sie produzierten Schwerter, die so aussehen sollten wie die
Innovation, es aber gar nicht waren. Und das ist ja wirklich wie beim
iPhone und all seinen Kopien.
Wenn Sie den aktuellen Hot Stuff aus dem Elektronikmarkt tragen, wissen Sie
beim Überschreiten der Schwelle, dass durch den Hintereingang schon der
Nachfolger reingetragen wird: Auch wenn sich heute der Takt zunehmend
erhöhe, die Halbwertzeit von Innovation immer kürzer werde: Immer Neues
haben zu wollen, im Kern also ein Haben-Wollen, bezeichnet Weiss als Motor
der Menschheitsentwicklung an sich.
Und da ist man dann plötzlich doch ziemlich weit weg vom Plüsch-[6][Alf] im
Jugendzimmer oder dem Schlagermove-Appeal orangefarbener
Buchhaltungsutensilien.Und wenn der letzte Raum der Ausstellung eine
Virtual-Reality-Umgebung bereitstellt, so Weiss: „Das ist heute Hot Stuff
bei Autohauspräsentationen – und in fünf Jahren vermutlich schon wieder
schrecklich peinlich.“
Es gebe ja schon „so manches Verbrechen an der Menschheit“ zu sehen, das
sagte ein vielleicht besonders geschmackssicher sich wähnender Fotograf
beim Presserundgang (und weil er seine eigene Idee so gut fand, vermutlich,
sagt er es gleich mehrfach); die knallroten Hosenträger des Mannes
freilich: Wie werden wir darüber reden in 30, 40 Jahren?
7 Nov 2019
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## AUTOREN
Alexander Diehl
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