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# taz.de -- Regierungsbildung in Israel: Linke aus dem Winterschlaf holen
> Das erneute Unentschieden bei Israels Parlamentswahlen macht die
> Regierungsbildung schwierig. Denkbar wäre eine Minderheitsregierung.
Bild: Benny Gantz am 2. November bei einer Veranstaltung zum Gedenken an Yitzha…
Israel steckt nach den Neuwahlen erneut in einer Sackgasse. Eine dritte
Wahl binnen kaum einem Jahr wird immer wahrscheinlicher. Nachdem der
konservative Benjamin Netanjahu an der Regierungsbildung scheiterte, steht
nun sein Herausforderer Benny Gantz vom Mitte-Bündnis Blau-Weiß vor
derselben schwierigen Aufgabe. Auch für ihn gibt es nur eher
unwahrscheinliche Optionen:
Eine Große Koalition zwischen Blau-Weiß und Likud ist unwahrscheinlich,
weil Gantz ein Zusammengehen mit dem mutmaßlich korrupten Netanjahu
ablehnt. Eine Regierung mit den beiden ultraorthodoxen Parteien ist
wiederum unwahrscheinlich, denn Gantz ging mit dem Versprechen in die Wahl,
eine weltliche Regierung zu gründen. Außerdem bräuchte er das Okay von
Avigdor Lieberman.
Ginge es nach dem weltlichen und ultranationalen Lieberman, würde Gantz
eine Große Koalition, bestehend aus Blau-Weiß und Likud, bilden, der er
selbst sich mit Freuden anschließen würde. Die dritte Option wäre eine
Minderheitsregierung, die sich zusammensetzt aus Blau-Weiß und mehreren
linksliberalen Parteien und die unterstützt wird von dem arabischen Bündnis
der Gemeinsamen Liste.
Die arabischen Politiker würden zwar nicht in die Koalition einziehen, der
Regierung aber Unterstützung von außen garantieren. Selbst mit der
Unterstützung der Gemeinsamen Liste hätte Gantz noch keine Mehrheit in der
Knesset und wäre, um seine Koalition zu halten, auf die Duldung des
ultranationalen Lieberman angewiesen. Selten zuvor wurde eine so
unwahrscheinliche Variante so erhitzt diskutiert wie die
Minderheitsregierung.
## Eine Minderheitsregierung könnte Israel sehr gut tun
Vor allem Netanjahu macht Stimmung gegen das vermeintliche Schreckgespenst.
Aus seiner Perspektive, so viel muss man dem von Korruptionsvorwürfen
Gebeutelten lassen, wäre eine Regierung ohne seinen Likud ein Desaster. Die
Angst vor der Minderheitsregierung geht derweil in ganz Israel um.
Ynet, das Nachrichtenportal der Tageszeitung Jediot Achronot, betrachtet
eine Minderheitsregierung mit Unterstützung der Gemeinsamen Liste als das
schlimmstmögliche Szenario und als Gefährdung der Sicherheit des Landes.
Gantz würde das öffentliche Vertrauen missbrauchen, heißt es auf Ynet, wenn
er sich auf so etwas einließe.
Tatsächlich müsste Gantz wohl befürchten, sich mit einer solchen Koalition
politisch zu verbrennen und für die nächste (wahrscheinliche) Wahl
wertvolle Stimmen aus dem Mitte-rechts-Lager zu verlieren. Leider. Denn
eine Minderheitsregierung könnte Israel sehr guttun.
Die Arbeitspartei, der nur knapp und nur im Bündnis mit der Kleinstpartei
Gescher der Einzug in die Knesset gelang, strebt unter dem Vorsitz des
früheren Gewerkschaftschefs Amir Peretz einen radikalen Richtungswechsel in
der Wirtschaftspolitik an. Dazu gehören die Neuverstaatlichung der
Gesundheitsdienste, der Mindeststundenlohn von umgerechnet 10 Euro, die
Rentenerhöhung und die Höherbesteuerung einkommensstarker Klassen.
## Die Minderheit müsste endlich gehört werden
Überhaupt könnte die Rückkehr linker Politiker in die Regierung die Linke
aus ihrem Winterschlaf wecken. Und nicht zuletzt könnte eine solche
Minderheitsregierung dazu führen, dass 20 Prozent der israelischen
Bevölkerung – denn jeder Fünfte in diesem Land ist arabischer Israeli –
endlich gehört werden müssten und nicht mehr lediglich als
Sicherheitsrisiko betrachtet würden. An die Stelle der von Netanjahu
jahrelang vorangetriebenen Spaltung und Hetze würde wieder eine Kultur des
Dialogs treten.
Die gute Nachricht von den letzten Parlamentswahlen ist, dass die
Gemeinsame Liste eigentliche Gewinnerin war. Nach einer für die arabische
Bevölkerung hohen Wahlbeteiligung ist sie mit 13 Mandaten drittstärkste
Fraktion in der Knesset geworden. Statt dass sie, wie so oft, selbst zum
Thema gemacht werden, setzen die arabischen Israelis derzeit erfolgreich
ihre eigenen Themen und sind mit ihren Forderungen auch in den Medien so
präsent wie selten vorher.
Die zweite gute Nachricht lautet: Der politische Stil von Gantz hat sich
gegen den von Netanjahu durchgesetzt. Zum ersten Mal seit zehn Jahren ist
es nicht mehr an Netanjahu, eine Regierung zu bilden. Trotzdem sollten wir
uns nichts vormachen: Der frühere Generalstabschef ist in Bezug auf die
Siedlungspolitik nicht weit von Netanjahu entfernt. Innenpolitisch verfolgt
Gantz allerdings eine säkulare und liberale Politik. Und die beiden
unterscheidet noch etwas Entscheidendes: die politische Sprache.
So veröffentlichten Blau-Weiß und die Gemeinsame Liste Fotos, auf denen die
beiden arabischen Politiker Ayman Odeh und Ahmed Tibi von der Gemeinsamen
Liste zusammen mit Gantz an einem Tisch sitzen und Koalitionsverhandlungen
führen. Das letzte Mal, dass arabische Parteien zu Koalitionsverhandlungen
eingeladen wurden, war 1999, als sich Ehud Barak gegen Netanjahu
durchsetzte, sich schließlich aber doch gegen eine Koalition mit den
Vertretern der Minderheit entschied.
## Innenpolitisch säkulare und liberale Politik
Blau-Weiß und die Gemeinsame Liste waren sich einig über die „gute und
interessante Atmosphäre“ während des Gesprächs. Es seien eine Reihe von
Themen zur Sprache gekommen, die wichtig für die arabische Gesellschaft
seien und von einer Regierungsbeteiligung „unabhängig angegangen werden
müssen“, wie Gantz versprach. Diese neuen Töne krempeln noch nicht das
politische Klima um. Aber sie geben Anlass zu vorsichtigem Optimismus.
Bei dieser Wahl hat Netanjahu an Einfluss verloren, die arabischen Parteien
haben an Legitimation und politischer Stärke gewonnen, und Gantz hat
gezeigt, dass eine andere Streitkultur als Hetze gegen Andersdenkende
möglich ist. Hat es in den letzten Jahren so ausgesehen, als sei rechts und
ultrarechts die Mitte, so verschiebt sich das Gewicht wieder ein wenig nach
links. Davon hat Israel noch keine Regierung. Doch vielleicht sind diese
Veränderungen der Beginn von weiteren Umwälzungen. Es wäre zu hoffen.
4 Nov 2019
## AUTOREN
Judith Poppe
## TAGS
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Benjamin Netanjahu
Schwerpunkt Nahost-Konflikt
Schwerpunkt Nahost-Konflikt
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