# taz.de -- Das war das alte Westberlin: Ein Mann von mittlerer Größe | |
> Wolfgang Otto Albert Waldemar Schwanz, Bordellbesitzer und Ganove, war in | |
> den 80er Jahren eine Symbolfigur für den Berliner Filz. Eine Erinnerung. | |
Bild: Männerfreundschaften: Otto Schwanz (l.) 1987 vor dem Landgericht mit Par… | |
Westberlin war eine skurrile Stadt, streckenweise surreal. Ihre | |
Bewohnerinnen und Bewohner waren allerhand gewohnt, doch was sie 1985 in | |
den Zeitungen über ein Mitglied der Regierungspartei CDU lasen, ging dann | |
doch sehr weit. Es klang eigentlich zu wild, um wahr zu sein – war es aber | |
doch. Otto Schwanz, so hieß der Christdemokrat, war von Beruf Bordellwirt. | |
Er hatte einen CDU-Parteifreund, den Charlottenburger Baustadtrat Wolfgang | |
Antes, mit 50.000 Mark bestochen, um einen Pachtvertrag für das Café im | |
Europacenter zu bekommen. Das hatte die Staatsanwaltschaft herausgefunden. | |
Nomen est omen, der Name ist Schicksal. Wolfgang Otto Albert Waldemar | |
Schwanz, geboren am 11. November 1939 im Kreis Rostock, wurde im Zuge des | |
„Antes-Skandals“ zur Symbolfigur des sprichwörtlichen Berliner Sumpfes, | |
jenes Feuchtgebiets, in dem Politiker, Bauunternehmer und Ganoven | |
zusammenfanden, um staatliche Gelder zu privatisieren. Er trug ordentlich | |
dazu bei, dass 1988 die CDU-Regierung unter Eberhard Diepgen in Berlin | |
abgewählt wurde und erstmals ein rot-grüner Senat an die Macht kam. | |
Im Rahmen der Recherche über Otto Schwanz stieß ich damals auf einen jungen | |
Mann, der „Klunker-Kutte“ genannt wurde und sich im Westberliner Nachtleben | |
rund um den Kurfürstendamm bestens auskannte. Als Treffpunkt schlug | |
Klunker-Kutte das Café Kranzler vor, am Ku’damm Ecke Joachimsthaler. Um | |
Mitternacht. In dem nur noch spärlich von Touristen besuchten Lokal drehte | |
er einen Joint nach dem anderen und redete ohne Punkt und Komma. Hatte | |
wahrscheinlich Koks geschnupft. | |
## Hungrig groß geworden | |
„Der Schwanz?“, legte Klunker-Kutte los. „Der ist original, wie du dir | |
einen Luden vorstellst. Groß, blond, ganz schön massiv gebaut und ein | |
bisschen grobschlächtig. Kloppt gern wilde Sprüche, weil Klappern gehört ja | |
zum Handwerk. Eine mittlere Größe unter den Puffleuten, an sich ’ne nette | |
Type. Noch so’n richtiger Lude, wie er im Buche steht. Einer aus der alten | |
Schule, nach dem Krieg hungrig groß geworden und sich im Milieu | |
hochgedient.“ | |
Otto Schwanz hat ein kaum bekanntes autobiografisches Fragment | |
hinterlassen. Darin heißt es: „Schule habe ich bis zur neunten, zehnten | |
Klasse gemacht. Anschließend eine Lehre angefangen, erst zwei Monate | |
Vulkaniseur, dann Fliesenleger. Habe aber wenig gearbeitet in meinem Job. | |
Und bin 1959 zum ersten Mal in Untersuchungshaft gekommen.“ Mit zwanzig | |
Jahren wurde Schwanz zu zwei Jahren und zwei Monaten Haft verurteilt. | |
1968, als die Studenten in der Halbstadt rebellierten, lernte Schwanz den | |
legendären Bordellkönig Hans Helmcke kennen, der ihn schon wegen seines | |
Namens als Leibwächter anstellte: „Passt ja wie die Butter aufs Brot.“ | |
Aber Schwanz versagte: Im August 1973 fand ein junger Postbeamter auf einem | |
Rastplatz der Autobahn Lübeck–Hamburg eine verkohlte Leiche: die von Hans | |
Helmcke. Ein Hamburger Konkurrent vom Kiez in St. Pauli hatte den | |
Bordellbesitzer mit dessen eigener Krawatte erwürgt. | |
Der Karriere von Otto Schwanz schadete das nicht ernsthaft. Er eröffnete | |
zwei Sexbars, das „Troika“ und das „Me and You“. Bald brüstete er sich | |
damit, dass er Verbindungen nach ganz oben habe und dass er jederzeit | |
Zugang zum Zentralcomputer der Polizei bekommen könne. Er sei nämlich mit | |
einem Polizeidirektor befreundet. | |
Da schien etwas dran zu sein. „Der Schwanz hatte eine Bar mit | |
Karibikmädchen, alle illegal“, berichtete ein Kollege von ihm später. „Das | |
Telefon klingelte, die Mädchen zogen sich an und gingen gegenüber einen | |
Kaffee trinken. Eine Viertelstunde später gab es eine Razzia.“ | |
Und auch sonst hatte Schwanz Glück. Seine Verwicklung in kriminelle | |
Fluchthilfe, bei der junge Frauen aus der DDR das Honorar für die Schleuser | |
in Westberliner Puffs abarbeiten mussten, wurde nie aufgeklärt. Da Zeugen | |
eingekauft und eingeschüchtert wurden, wurde auch nie festgestellt, ob | |
daran tatsächlich drei aufstrebende CDU-Politiker mitverdient hatten. | |
Gesichert ist hingegen, dass Schwanz 1978 im Europacenter das Bordell | |
„Blaue Engel“ eröffnete. Das machte ihn für die Boulevardpresse zum | |
„Rotlichtkönig“. Der einstige Fliesenleger warb nun mit einem Foto von | |
Marlene Dietrich aus dem gleichnamigen Film. Er war nun oben angekommen in | |
der Unterwelt. In der deutschen Ausgabe des Playboys hieß es: „Der ‚Blaue | |
Engel‘ hat das gewisse Extra. Schon der Chef Otto Schwanz (kein | |
Künstlername) ist so ein richtiger Al-Capone-Typ. Im schwarzen Smoking | |
thront er inmitten seiner 25 Girls aus allen Ländern der Welt. In den | |
Haaren lässt er sich nur von Brasilianerinnen kraulen, seine Hände | |
streichelt eine Miss Martinique, ihm zu Füßen kauern zwei Filipinas, und | |
den Tanz der sieben Schleier führt eine Inderin vor. Die Piano-Bar im | |
Erdgeschoss ist die Zockerecke. Das Erstgetränk kostet 40 D-Mark, das | |
Gleiche, zum zweiten Mal serviert, 15 D-Mark. Zu einer Flasche Sekt (300 | |
D-Mark) wird als Beigabe auch eine Hausdame, sozusagen als ‚kleine | |
Aufmerksamkeit‘ gereicht.“ | |
Allerdings entpuppte sich der Sultanspalast im Europa-Center als Fata | |
Morgana, zumindest finanziell betrachtet. Einen standesgemäßen | |
Lebensunterhalt für Schwanz warf das Bordell nicht ab. Der Lude mit seiner | |
Tornadobrille und der blonden Matte (Vokuhila) war ein Auslaufmodell in der | |
Westberliner Unterwelt. Wer wirklich schnell viel Geld machen wollte, | |
versuchte es mit Drogenhandel im größeren Maßstab, mit Heroin und Kokain. | |
Nur einen Tag vor der Zwangsräumung des „Blauen Engels“, am 30. November | |
1981, quollen morgens um vier dichte Rauchwolken aus dem Etablissement. Die | |
Feuerwehr konnte nicht mehr verhindern, dass das Bordell vollständig | |
ausbrannte. Als Schaden reklamierte Schwanz, der einen halben Tag vor dem | |
Brand nach München geflogen war, stolze 800.000 D-Mark. Er bekam immerhin | |
160.000. Später allerdings wurde er wegen Versicherungsbetrugs verurteilt. | |
Als auch der Schmuggel mit Schnaps aus der DDR, „Nordhäuser Doppelkorn“, | |
nicht so richtig lief, begann Schwanz damit, Geschäfte mit Asylbewerbern zu | |
machen. Über einen Strohmann pachtete er 1982 ein ehemaliges | |
Krankenhausgebäude. „Da wurden die Asylanten bis unter den Schornstein | |
gestapelt“, fand der zuständige Sozialstadtrat später heraus. Acht Mann in | |
einem Zimmer von 20 Quadratmetern, 160 im ganzen Haus. Bei einem Satz von | |
32 D-Mark pro Tag und Kopf kassierten Schwanz und Co. über 150.000 D-Mark | |
im Monat. Mal wieder das Westberliner Beuteschema: Steuergelder abfassen. | |
Auf die Frage, wie er denn Mitglied bei den Christdemokraten im | |
Kreisverband Charlottenburg geworden sei, meinte Otto Schwanz später: „Man | |
muss halt bei den Gewinnern sein.“ Die CDU hatte 1981 die Wahlen zum | |
Abgeordnetenhaus gewonnen, nachdem die SPD – vom Skandal um den bankrotten | |
und flüchtigen Architekten Dietrich Garski geschüttelt – endgültig | |
abgewirtschaftet hatte. Allerdings hätten seine CDU-Parteifreunde, meinte | |
Schwanz, „keine Konzepte, aber eine große Klappe“ gehabt. | |
Bald kam Schwanz mit dem korrupten Charlottenburger Baustadtrat Wolfgang | |
Gerhard Antes ins Geschäft und sammelte für ihn auch Schmiergelder ein. Im | |
November 1985, als der Antes-Skandal hohe Wellen schlug, verhaftete die | |
Kripo auch den Luden. Die CDU schloss ihn aus der Partei aus, und im April | |
1987 verurteilte ihn das Landgericht Berlin zu sechseinhalb Jahren Haft. Im | |
Jahr darauf verlor die CDU die Wahlen zum Abgeordnetenhaus. | |
Die Mauer fiel, Westberlin ging unter, und Schwanz buk kleine Brötchen. | |
1998 stand der einstige Bordellbesitzer wieder vor Gericht. Er hatte einem | |
Druckereibesitzer Hunderte von gefälschten BVG-Karten abgekauft. Laut | |
Anklage sollte er ihn auch mit dem Druck von vietnamesischen Pässen und | |
US-Dollarnoten beauftragt haben. Als notorischen Berufsverbrecher | |
verurteilte ihn das Landgericht Berlin zu vier Jahren und drei Monaten | |
Haft. | |
Im Tegeler Knast machte der einstige Lude eine Lehre als Buchbinder, einen | |
legalen Job fand er – wieder in Freiheit – aber nicht. Schwanz bekam | |
Arbeitslosenhilfe. Und schließlich Pankreas-Krebs. | |
## Politisches Soziotop | |
Ein taz-Redakteur versuchte schließlich in einem Nachruf auf Schwanz im | |
August 2003 die Verklärung des Bordelliers zu korrigieren: „In Wirklichkeit | |
war Schwanz ein kleiner, schmieriger Ganove, mehr nicht, den die Stadt | |
hinter der Mauer und ihr politisches Soziotop groß gemacht hatten.“ Das | |
stimmte: Otto Schwanz war Westberlin, auch in seinem provinziellen | |
Mittelmaß. | |
Als Klunker-Kutte ihn 1986 im Café Kranzler beschrieb, hörte sich das schon | |
fast wie ein Nachruf an: „Ist eigentlich schade um den Schwanz. Weil er | |
echt ’n anständiger Kumpel ist, so von der Sorte Clique aus dem Boxverein. | |
Wenn der dir sein Wort gegeben hat, dann war det Wort klar. Aber hatte halt | |
zu wenig Niveau. Der Schwanz hat sein Lebtag Nutten gefickt. ’tschuldigung, | |
dass ick det so sage.“ | |
Die Asche von Otto Schwanz wurde im August 2003 in einer schwarzen Urne | |
bestattet, die mit weißen Rosen geschmückt war, auf dem evangelischen | |
Friedhof an der Rixdorfer Straße in Mariendorf, in Westberlin. | |
4 Nov 2019 | |
## AUTOREN | |
Michael Sontheimer | |
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