| # taz.de -- Boxen für GBTQ-Männer: Stark gegen Diskriminierung | |
| > Boxen hat das Image homophob zu sein. Im Village Berlin trainieren | |
| > Schwule, bisexuelle, trans* und queere Männer – auch um sich wehren zu | |
| > können. | |
| Bild: Trainer Wanja Warscheid | |
| Berlin taz | Ein fast nackter Mann in Unterhose hockt auf einer dunklen | |
| Plastikfolie und malt ein Bild. An den Wänden hängen auf buntem Satin | |
| glitzernde Songzitate von Gloria Gaynor, The Supremes und Diana Ross. In | |
| der hinteren Ecke schlagen fünf Männer auf Boxsäcke ein. Willkommen beim | |
| Boxkurs im Village.berlin, einem Communityzentrum für GBTQ (gay, bi, | |
| trans*, queer)-men only. | |
| Wanja Warscheid ist Boxtrainer – und Hetero. Seit 14 Jahren boxt er, seit | |
| zwölf Jahren ist er Trainer, seit zwei Jahren gibt Warscheid jeden | |
| Donnerstag einen Boxkurs für queere Männer im Village in der | |
| Kurfürstenstraße. Warum? „Das ist eine Marktlücke. Wo gibt es sonst Boxen | |
| für schwule Männer? Ich kann mir vorstellen, dass die Jungs keine Lust | |
| haben, in einen ‚normalen‘ Boxkurs zu gehen“, sagt der 27-Jährige. Boxen | |
| hat immer noch das Image, besonders hart und vor allem auch homophob zu | |
| sein. Das soll sich ändern. | |
| Vor zwei Jahren ist das Village auf Warscheid zugegangen, fragte, ob er | |
| einen Boxkurs für queere Männer geben würde. „Meine erste Reaktion war: | |
| Eigentlich nicht, aber ich versuche es einfach mal. Ich bin ja selbst nicht | |
| schwul.“ Warscheid war sich zunächst nicht sicher, ob ein Boxkurs zum | |
| Village passen würde. Oder ein heterosexueller Trainer zu schwulen Boxern. | |
| „Im Village ist ja alles eher soft: Yoga, Meditation … Es geht immer darum, | |
| mit seinen Emotionen in Kontakt zu kommen.“ | |
| Dabei findet sich genau in diesem Punkt die Überschneidung zwischen dem | |
| „soften“ Angebot und dem vermeintlich harten Boxen: An den Boxsäcken, in | |
| der Gruppe, lässt sich Wut kanalisieren, Trauer zum Ausdruck bringen, sich | |
| Glück und Stolz erkämpfen. Die Teilnehmer kommen außerdem, auch wenn es in | |
| erster Linie um den Spaß geht, an ihre Grenzen. Kurz: mit ihren Emotionen | |
| in Kontakt. | |
| ## Mehr als Klischee | |
| Zur Begrüßung umarmen sich die Teilnehmer und der Trainer, reden kurz – wie | |
| geht’s, was machst du so –, und machen sich dann an die Springseile. Fünf | |
| Minuten aufwärmen. Im Hintergrund läuft „Torn“ von Natalie Imbruglia: Ein | |
| vermeintlich schwuler Popsong, der hier ein Klischee füttert, könnte man | |
| meinen – würden danach nicht HipHop und 90er-Rap aus dem Lautsprecher | |
| pumpen. Diversität wird hier ganz groß geschrieben. | |
| Die Stimmung sei ganz anders als in seinen anderen Kursen, berichtet | |
| Warscheid. „Die Leute kommen nicht hierher, weil sie Boxer werden wollen. | |
| Sie möchten hier einfach Spaß beim Sport haben.“ Und sich selbst besser | |
| kennenlernen. | |
| Als schwuler Mann in einer heterosexuellen Gesellschaft kann schnell der | |
| Gedanke aufkommen, dass etwas falsch mit einem sei, dass man nicht | |
| reinpasst. Das wiederum macht es schwer, bedingungslos zu sich selbst und | |
| zu seiner sexuellen Identität zu stehen. Vor allem, wenn man immer wieder | |
| von homophoben Übergriffen liest: Laut der Berliner Staatsanwaltschaft ist | |
| die [1][Zahl der gewalttätigen Angriffe auf LGBTQ-Personen in den | |
| vergangenen Jahren gestiegen] – 2015 waren es noch 97 Angriffe in Berlin, | |
| drei Jahre später über 260. | |
| Boxen bringt nicht nur Selbstvertrauen, sondern auch die Fähigkeit mit, | |
| sich selbst zu verteidigen. Das ist einer der Gründe, wieso der Boxkurs so | |
| gut ins Village passt, findet Thomas. Der 41-Jährige ist knapp zwei Meter | |
| groß: „Ich wurde vor Kurzem mit meinem Freund als ‚Schwuchtel‘ beleidigt, | |
| als wir uns vor einer Bar geküsst haben.“ Seitdem Thomas boxt, fühlt er | |
| sich bereit, sich in solchen Situationen zu wehren. „Ich habe dem Typen, | |
| der uns beleidigt hat, gesagt, dass er uns in Ruhe lassen soll. Ich wusste, | |
| wie ich mich hätte verteidigen können.“ | |
| ## Diverse Kursteilnehmer | |
| Die Teilnehmer stehen mittlerweile in drei Reihen aufgestellt. Sie üben | |
| Schlag- und Schrittkombinationen. Den Jap, die Rechte. „Mehr Hüfte!“, | |
| korrigiert Warscheid. „Haltet die Fäuste oben, schützt euch!“ Unter den | |
| Boxhandschuhen blitzen Handbandagen in Grün, Pink, Blau und Rot hervor. Die | |
| Farben sind so divers wie die Kursteilnehmer. Keine Farbe dürfte fehlen, | |
| sonst wäre dieser Kurs, der Akzeptanz und Gewalt für Männer, die schwul, | |
| bi, trans oder queer sind, gleichzeitig ermöglicht, ein ganz anderer. | |
| Denn eigentlich gehört Boxen zu den homophoberen Sportarten, ähnlich wie | |
| Fußball, nur noch verklemmter. Es gibt keinen geouteten Profiboxer. Im | |
| Boxen zählen Härte, Männlichkeit und Stärke. Ein Mann, der mit Männern | |
| schläft, scheint in dieses Bild nicht hineinzupassen. Männer dürfen nicht | |
| passiv sein. Aber das soll sich ändern. | |
| „Boxen ist kein Sport, bei dem wir versuchen, uns auf die Schnauze zu hauen | |
| und so dumm wie möglich zu sein“, so Warscheid. „Das sieht man zwar im | |
| Wettkampf – aber das Training, der Rest, den die große Masse nicht sieht, | |
| macht 99 Prozent aus: Hier entsteht die Magie, hier finden die Menschen ihr | |
| Selbstwertgefühl.“ | |
| Florian Filtzinger, 31, arbeitet für das Village: „Ich glaube, das Boxen | |
| bringt Leuten bei, dass so ein Schlag gar nicht so weh tut und dass sie | |
| selbst auch zuschlagen können. Ich glaube, dass das die Wahrnehmung auf | |
| potenzielle Gefahren verändert.“ Das Village ist ein Ort, der für queere | |
| Männer einen Platz fern aller Gefahren darstellen soll. Hier dürfen sie | |
| intim mit sich selbst werden, sich selbst erforschen, sich ihren Ängsten | |
| stellen. „Das Village-Konzept ist einzigartig in Europa“, erklärt | |
| Filtzinger. | |
| ## Sicherer Raum für Männer | |
| Dem ein oder anderen Teilnehmer fällt sicher auch der Umgang mit | |
| heterosexuellen Männern schwer. Es ist eben nicht immer einfach, als | |
| schwuler Mann in einer heterosexuellen Gesellschaft zu leben. Wäre es nicht | |
| so, würde es das Coming-out so nicht geben, Bücher wie „The Velvet Rage“ | |
| über homosexuelle Scham wären nicht geschrieben worden – und Orte wie das | |
| Village wären wahrscheinlich nicht vonnöten. | |
| „Es gibt sichere Räume für Frauen, für Männer hingegen nicht. Hier im | |
| Village können Männer auch ihre schwachen Seiten zeigen, die man in der | |
| Gesellschaft oft nicht zeigen darf. Dafür sind unsere Workshops und | |
| Festivals da“, so Filtzinger. Es geht im Village zwar um Sexualität, aber | |
| nicht um Sex. Es geht um Spiritualität, um Selbstakzeptanz, um Wachstum. | |
| Und es geht immer um Ambivalenz. Stärke bedeutet nicht, nicht schwach sein | |
| zu dürfen. Das ist eine der Lektionen, die Warscheid verkörpert. Er ist | |
| groß und dünn, er lächelt freundlich. Er sieht nicht aus wie die Henry | |
| Maskes und Klitschkos dieser Welt. Damit sagt er vor allem: Du musst nicht | |
| das eine oder das andere sein, du kannst beides sein. Privat trägt er | |
| Stoffhosen, Hosenträger und Schieberkappe. Diese Ambivalenz verkörpert eine | |
| Selbstsicherheit, die in einer unsicheren Welt wie heute ein Gefühl von | |
| Sicherheit vermittelt, zumindest in der eigenen Haut. Kurz: Du bist okay, | |
| wie du bist. | |
| Nach einer Stunde ist der Kurs vorbei. Die Teilnehmer beenden das Training | |
| mit Partnerarbeit, schlagen auf Warscheid ein, der sich verteidigen und | |
| Schläge abblocken muss. Beim Hinausgehen fällt im Vorraum ein | |
| Winni-Pooh-Teppich auf. Winnie Pooh passt verblüffend gut zum Village und | |
| zum Boxkurs von Wanja Warscheid. Denn wie hat Pooh einst gesagt: „Die | |
| Dinge, die mich anders machen, sind die Dinge, die mich ausmachen.“ Oder | |
| wie Warscheid erzählt: „Ein Schüler von mir hat mal gesagt: ‚Was dich zum | |
| Weinen bringt, bringt dich zum Kämpfen.‘“ | |
| 31 Oct 2019 | |
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| [1] /Homophobe-Gewalt-in-Berlin/!5589742 | |
| ## AUTOREN | |
| Sebastian Goddemeier | |
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