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# taz.de -- Konzert von Nubya Garcia in Berlin: Volle Ölkanne Sound
> Die junge Londoner Saxofonistin Nubya Garcia gastierte am Montag für ein
> Konzert im Berliner Club „Gretchen“. Ihr Sound verbindet Jazz mit
> Dancefloor.
Bild: Nubya Garcia mit ihrem Tenorsaxofon am Montag in Berlin
Erst mal ein Selfie. Der Berliner Club Gretchen ist gut gefüllt am
Montagabend, es ist stickig, einige ZuschauerInnen dokumentieren ihre
Präsenz beim Warten auf die Künstlerin mit Selbstporträts. Früher hätte man
ein Getränk zu sich genommen, jetzt werden die Köpfe nah vor die Kamera
gerückt und Influencer-Gesichtszüge gemacht. Anderen entgleiten diese beim
Rauchen lustiger Zigaretten. Einfach nur warten ist offenbar schwer
geworden, obwohl feiner Jazz aus der Anlage läuft.
Gegen halb zehn kommt der Star des Abends, die britische Saxofonistin Nubya
Garcia, in Begleitung dreier Kollegen an E-Piano, Bass und Drums, auf die
Bühne. Als Erstes rührt Drummer Sam Jones den Trommelstock und landet bei
einem Upbeat-Skankrhythmus, der das Ganze verortet: im London der
Gegenwart, einem Schmelztiegel aus Clubsounds, Soundsystem-Kultur und Jazz.
KünstlerInnen wie die Afroband Kokoroko und eben Nubya Garcia jammen dort
mit Elektronik-Produzenten wie [1][K-15]. Was der BBC-Radio-DJ Gilles
Peterson seit Langem in seinen Sendungen amalgamiert – in der Musik der
27-jährigen Nubya Garcia ist es anschaulich geworden.
Das spiegelt sich auch im properen Berliner Publikum wider, in dem
mindestens so viele Frauen wie Männer sind, die Mehrheit jung. Ältere
Jazzfuzzis lehnen hinten am Tresen, aber es ist schön zu sehen, dass Jazz
hierzulande inzwischen auch von Jüngeren goutiert wird, die extraweite
Hochwasserhosen tragen, damit die Sneaker mit den Luftkissensohlen besser
zur Geltung kommen.
## Markerschütternder Klangstrahl
Nubya Garcia nimmt ihr Tenorsaxofon und reckt es durchaus athletisch,
frontal ins Publikum, als sei es eine Ölkanne, dabei den rechten Fuß vor
den linken schiebend. Ihr Ton ist kräftig, sauber, und ihre Sidemen
reichern Garcias markerschütternden Klangstrahl aus klassischen,
Bebop-artigen Licks mit Elementen an, die klar von Post-Dubstep und anderen
Dancefloor-Stilen infiziert sind. Wobei manchmal die Trennschärfe verloren
geht und es ein bisschen an Dynamik gebricht. Kaum ein Moment, an dem am
Montagabend Zurückhaltung waltet und mal der Fuß vom Gaspedal genommen
wird.
Nubya Garcia gibt das Flygirl: Baggytrousers in Orange mit Bündchen, weißes
Tanktop, geflochtene Zöpfe. In Interviews kommt sie gern auf ihre
karibischen Wurzeln zu sprechen und mosert über Kritiker, die ihr Alter
falsch recherchieren. Wenn sie nicht Saxofon spielt, zappelt und tanzt sie
am Rand der Bühne. Aufgewachsen ist sie in Camden im Norden Londons.
[2][„Pace“] heißt einer der sechs 20-minütigen Songs. Und dazu erklärt s…
etwas umständlich, aus der Puste, wie anstrengend das Leben in London sei,
man könne da nicht nonstop arbeiten, der Alltag sei „viel zu aufreibend.
Das will ich gar nicht.“
Allein im September hatte Garcia Engagements in Bogotá (Kolumbien) und
Addis Abeba (Äthiopien), seit Jahresbeginn war sie pausenlos unterwegs. In
Berlin wird der Tourstress bemerkbar. An einer Stelle im Set zündet Nubya
Garcia ein Räucherstäbchen an, atmet durch und verlässt schweißgebadet die
Bühne. Was dem Kontrabassisten die Möglichkeit eröffnet, ein Basssolo zu
spielen, das statt aufdringlicher Virtuosität geradewegs in die tiefe
Meditation zweier Molltöne führt, bis E-Piano und Drums mit einsteigen.
Am überzeugendsten gerät das Finale: [3][„Lost Kingdoms“], Auftakt von
Garcias Debütalbum „5ive“ (2017). Aus der siebenminütigen Studiofassung
wird auf der Bühne eine epische Version, bei der Sam Jones mit einem
verschleppten HipHop-Beat Garcias Bop-Melodie als Geisel nimmt und sich
Garcia mit dem Kidnapper solidarisiert. So überwältigend klingt das
Stockholm-Syndrom!
22 Oct 2019
## LINKS
[1] https://www.youtube.com/watch?v=MFYfLPo5_q8
[2] https://www.youtube.com/watch?v=POJonfHLWQY
[3] https://www.youtube.com/watch?v=OYQcsoTD87A
## AUTOREN
Julian Weber
## TAGS
Nubya Garcia
Jazz
Tenorsaxofon
Spiritual Jazz
Jazzfest Berlin
Blaxploitation
Damon Locks
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