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# taz.de -- Die Wahrheit: Blutfehde beim Køpknack
> Die Norwegen-Woche der Wahrheit: Die bedeutendste Minderheit des
> Nordlands schlägt zurück. Die Trolle kommen! Ganz gewaltig!
In meinen Adern fließt Trollblut, so dick und schwarz wie frisch gezapftes
Rohöl aus der Nordsee“, behauptete unlängst der norwegische Politiker
Fritjof Store Frøen bei einer Wahlkampfveranstaltung in der Nähe von
Stavanger und erntete stürmischen Beifall. Noch vor wenigen Jahren hätte
ein solches Bekenntnis die vollständige soziale Ächtung bedeutet, ganz wie
es schon Henrik Ibsen in seinem dramatischen Debüt „Når trollet humrer“ am
Beispiel des unglückseligen Volksschullehrers Hovstad beschrieben hat, der
wegen seines intensiven Körpergeruchs unter Trollverdacht gerät und bei
Familienfeiern deswegen immer am Kindertisch sitzen muss.
Zwar gilt Norwegen dem Rest der Welt als Vorreiter in Sachen Demokratie und
Gleichstellung, doch hütet das stinkreiche Streberland ein schmutziges
Geheimnis in seinen undurchdringlichen Wäldern. Seinen Trollen, kauzigen
Ureinwohnern mit malerisch triefenden Kartoffelnasen, denen die karge
Fjord-Heimat in grauer Vorzeit von einem durchreisenden Kurzwaren-Wikinger
im Tausch gegen ein paar Maulschellen im trendigen Dänen-Design abgeluchst
wurde, räumt das Königreich trotz aller Lippenbekenntnisse bis heute kaum
Rechte ein.
Ja, nicht einmal die Existenz der marginalisierten Minderheit wird
offiziell anerkannt, dabei zeugen Volkskunst und Sagas von einer langen,
wenn auch problematischen gemeinsamen Geschichte von Trollen und Norwegern.
Schon immer nahmen die auch geistig äußerst grobschlächtigen Gesellen den
untersten Rang in der gesellschaftlichen Hackordnung Skandinaviens ein,
waren sie doch bis in den letzten Winkel der verregneten Halbinsel als
sackdoof, hinterfotzig und schlecht gekleidet verschrien. Kein Wunder, dass
die Norweger irgendwann begannen, ihren Frust über die erfahrenen
Diskriminierungen an unschuldigen Wald- und Stollentrollen auszulassen.
Traditionell durften Trolle weder kopfrechnen noch Marmelade einkochen und
mussten im Langschiff ganz hinten sitzen. Unter der Regentschaft des ersten
norwegischen Königs Harald Schönhaar konnten sie zwar gegen Preisaufschlag
erstmals an den beliebten Plünderfahrten teilnehmen, mussten auf dem
Heimweg aber immer die schweren Sachen tragen. Trotzdem gilt die Ära der
Wikinger als vergleichsweise tolerante Phase der Koexistenz, wie der
Runenstein von Trålala beweist. In den erfrischend obszönen Knittelversen
des Gammelnorsk werden darauf die Vorzüge der Trollkönigin Rafnahir
gepriesen, die Zweitkönig Harald Strapazierthaar beim Køpknack geschlagen
haben soll, einem altnordischen Gesellschaftsspiel, das mit den Schädeln
erschlagener Feinde gespielt wird und meist in einer Blutfehde oder
Hochzeit endet.
## Mythen wie Orgasmen
Erst die bürgerliche Gesellschaft Norwegens verlegte sich darauf, die
Existenz der nordischen Ureinwohner dreist zu leugnen, und verwies Trolle
ins Reich der Mythen wie den weiblichen Orgasmus oder den Mann im Mond.
Dabei ist der Beitrag der Trolle zur norwegischen Nationalkultur kaum zu
übersehen. Warum sonst sollte das Land über derart blutrünstige Volkstänze
oder seinen unübertroffenen Variationsreichtum an Flechtfrisuren für
Nasenhaar verfügen?
Mittlerweile entdecken jedoch vor allem junge Norweger den Reichtum des
autochthonen Erbes. In den frisch gerodeten Trendbezirken der Hauptstadt
Oslo eröffnen immer mehr Cafés, die traditionelle Trollgerichte wie
Knorpelkompott oder Zwergbirke Müllerin neu interpretieren, indem sie die
Zutaten durch Avocado oder Quinoa ersetzen und die Preise versalzen.
Auch die alten Trollsprachen, die zwar weder Begriffe für Intimhygiene
noch für Nettokreditaufnahme kennen, aber dafür mit 146 verschiedenen
Bezeichnungen für betrunkenen Gelegenheitssex mit Verwandten aufwarten
können, erfreuen sich großer Beliebtheit. Zwar gibt es keinerlei Zeugnisse
dieser Sprachen, doch hat der norwegische Linguist Øyvind Leibvind
mittlerweile eine Grammatik erstellt, die zu gleichen Teilen auf
Autosuggestion wie der Einnahme eines hochkonzentrierten Fliegenpilzsuds
basiert.
## Tolle Trolls
Doch nicht nur das Kulturerbe wird gepflegt, immer mehr norwegische Bürger
identifizieren sich selbst als Trolle. „Ich habe mir jahrelang eingeredet,
ich sei einfach nur so scheiße“, erklärt etwa der arbeitslose Anstreicher
Quisling Arsbjørn aus Freydal erleichtert. „Dabei bin ich ein Troll. Und
damit gehört das Absetzen anonymer Hasskommentare im Netz zu meiner
schützenswerten kulturellen Identität.“ Doch es melden sich auch ganz
andere Stimmen aus der stetig wachsenden Troll-Community. Ein
Unternehmertroll aus Bergen forderte jüngst die zügige Erteilung von
Casino-Lizenzen in eigens ausgewiesenen Schutzgebieten, das
anarchosyndikalistische „Trollektiv A“ aus Hammerfest hingegen die
Herausgabe der Gasförderplattform „Troll A“, um dort eine freie
Trollrepublik zu gründen.
Norwegens führender Kryptozoologe Vidkun III Vidkunson bestreitet die
Legitimität all dieser Forderungen. Als weisungsberechtigte Vertretung der
norwegischen Trollkultur gilt ihm allein ein bemooster Steinkreis unterhalb
des Polarkreises bei Tromsø. „Wenn Sie die Augen zukneifen, sehen ein paar
der Felsbrocken wirklich aus wie Trolle“, untermauert er seine
wissenschaftliche Argumentation, als wir den hochprozentigen Spirituellen
an seinem Aussichtsposten ganz in der Nähe des Hains besuchen.
Dort soll 1923 die letzte amtlich beglaubigte Trollsichtung stattgefunden
haben, wenn man den Schilderungen des einzigen Augenzeugen Glauben schenken
mag. Vidkunson präsentiert ein zerfleddertes Dokument aus Birkenrinde, das
ihn selbst zum Verhandlungsführer über Restitutionsforderungen der Trolle
macht. „Das haben sie mir gestern im Traum diktiert. Ich erwarte nichts
weniger als die Überweisung des kompletten norwegischen Staatsfonds auf
mein Girokonto.“
Für den Politiker Fritjof Store Frøen, der politisches Kapital aus der
Trollbegeisterung schlagen wollte, hat sich die ganze Angelegenheit jedoch
als Bumerang erwiesen. Ein DNA-Test ergab zweifelsfrei, dass sein Erbgut
zwar Spuren von Haselnüssen und ein paar versprengte Gnom-Genome aufweist,
ansonsten aber bloß aus den in Norwegen höchst ungeliebten
Schweden-Molekülen besteht. Seine Karriere dürfte damit endgültig beendet
sein.
19 Oct 2019
## AUTOREN
Christian Bartel
## TAGS
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