# taz.de -- Mall of Berlin und die Wanderarbeiter: „Ausbeutung eingeplant“ | |
> Rumänische Arbeiter wurden beim Bau der Mall of Berlin um ihren Lohn | |
> geprellt. Monika Fijarczyk über Folgen des Urteils des | |
> Bundesarbeitsgerichts. | |
Bild: Beim Bundesarbeitsgericht auf Beton gebissen | |
taz: Frau Fijarczyk, Sie beraten ausländische Arbeitnehmer, die in | |
Deutschland ausgebeutet werden. Was sagen Sie zum Urteil in Sachen Mall of | |
Berlin? | |
Monika Fijarczyk: Das Urteil des [1][Bundesarbeitsgerichts] sehen wir | |
kritisch, insbesondere in Bezug auf seine praktischen Folgen. Weder der | |
Gesetzwortlaut noch die Gesetzesbegründung sehen vor, dass Bauherren | |
generell von der Haftung für nicht gezahlte Löhne ausgenommen sind. Durch | |
die Einschränkung der Generalunternehmerhaftung wird der Arbeitnehmerschutz | |
geschwächt. | |
Sind Zustände wie beim Bau der Mall of Berlin aus Ihrer Sicht ein | |
Einzelfall? | |
Wir kennen mehrere Großprojekte in Berlin mit ähnlichen | |
Handlungsstrukturen, auch die Firmennamen wiederholen sich. Die | |
Arbeitnehmer können ihre Forderungen gegen niemanden richten, weil der | |
direkte Auftraggeber verschwunden ist oder insolvent. Die einzige Firma, | |
die zu identifizieren ist, ist der Bauherr. Man muss klar sehen, dass die | |
Baufirmen auch deshalb insolvent werden, weil die Aufträge von vornherein | |
unwirtschaftlich geplant sind. Die Ausbeutung der Arbeiter ist im Voraus | |
eingeplant. | |
Sie haben tatsächlich den Eindruck, das hat System? | |
Ich bin seit 10 Jahren bei unserem Beratungsprojekt und kann bestätigen: | |
Das ist eine Masche. Als ich damals angefangen habe, wurde gerade noch am | |
Flughafen gebaut und es war auch dort ein Standard, dass nacheinander alle | |
Bauunternehmen insolvent gegangen sind. Es kam sogar vor, dass bei den | |
Arbeitnehmern von vornherein damit geworben wurde, dass die Firma zwar kein | |
Geld habe, sie zu bezahlen, aber sie ja dann sicheres Insolvenzgeld von der | |
Bundesagentur für Arbeit bekommen würden. | |
Welches Ausmaß hat die Ausbeutung auf Berliner Baustellen, mit welchen | |
Geschichten kommen die Menschen zu Ihnen? | |
Wir beraten im Jahr mehrere Hunderte Personen, die ausgebeutet werden. Ein | |
Großteil davon arbeitet in der Baubranche. Es sind Menschen aus Rumänien, | |
Bulgarien, Polen, die für zwei oder drei Monate nach Deutschland kommen, um | |
hier zu arbeiten. Häufig bekommen sie weder den versprochenen Lohn, noch | |
werden Sozialabgaben gezahlt. Es kommt auch immer wieder vor, dass der | |
Arbeitsschutz nicht beachtet wird. Da arbeiten auf der gleichen Baustelle | |
die deutschen Arbeitnehmer in voller Ausrüstung, und die lettischen | |
Arbeiter bekommen nicht einmal Arbeitshandschuhe. Die Verletzungsgefahr ist | |
entsprechend hoch. Dazu kommt noch, dass die ausländischen Arbeiter häufig | |
sehr lange arbeiten – 12 und mehr Stunden am Tag. Das ist natürlich nicht | |
zulässig. Der vereinbarte Lohn liegt oft unter dem gesetzlichen | |
Mindestlohn. Und selbst, wenn die Arbeiter einen ordentlichen Vertrag | |
haben, landen sie durch die vielen Überstunden bei 5 bis 6 Euro die Stunde. | |
Was können Sie als Beratungsstelle gegen diese Ausbeutung tun? | |
Im ersten Schritt unterstützen wir die Arbeitnehmer dabei, Nachweise für | |
ihre Ansprüche zu sammeln. Dann versuchen wir, den direkten Arbeitgeber zu | |
kontaktieren. Das ist ja häufig nicht möglich, die Arbeitnehmer kennen oft | |
nur den Vermittler, der sie auf die Baustelle gebracht hat. Also | |
kontaktieren wir weitere Subunternehmer, den Generalunternehmer und auch | |
die Bauherren. Weil wir eben die Auffassung vertreten, dass diese auch | |
haften. Wir versuchen, mit den Firmen zu verhandeln, und können meistens | |
erreichen, dass die Arbeitnehmer zumindest einen Teil von dem bekommen, was | |
ihnen zusteht. Sonst informieren wir auch die Aufsichtsbehörden. | |
Begegnen Ihnen Fälle von Ausbeutung auch bei kleineren Bauvorhaben, etwa | |
einer Baugruppe, die nur ein Wohnhaus für sich baut? | |
Ja, immer wieder. Vor zwei Jahren hatten wir auch den Fall einer kleinen | |
Kirchengemeinde, die ein Haus für sich bauen ließ. Die beauftragte Baufirma | |
hat eine Briefkastenfirma in Polen gegründet, die dann Arbeiter aus Polen | |
hergebracht hat. Sie waren nicht sozialversichert und wurden auch nicht | |
bezahlt. Für uns war klar, das war keine Betrugsabsicht des Auftraggebers. | |
Aber er hat das billigste aller Angebote gewählt und er hat keine | |
Unbedenklichkeitsbescheinigung vom Subunternehmen verlangt, aus der | |
hervorgeht, dass die Arbeitnehmer sozialversichert sind. | |
Sie sehen also jeden Bauherrn in der Pflicht, etwas gegen Ausbeutung zu | |
tun? | |
Unbedingt. Jeder Auftraggeber hat die Möglichkeit, sich einen Überblick zu | |
verschaffen, was auf seiner Baustelle passiert. Er kann Lohnabrechnungen | |
beim Subunternehmen einsehen und die Bestätigungen der Arbeitnehmer | |
fordern, dass sie den Lohn erhalten haben. Er kann sogar einen Teil des | |
Werklohns einbehalten unter der Voraussetzung, dass alles ordentlich | |
abgewickelt wird. | |
Haben Sie Sorge, dass das aktuelle Urteil Tür und Tor öffnet für weitere | |
Ausbeutung? | |
Leider befürchte ich, dass sich viele Firmen durch das Urteil in ihrem | |
Vorgehen bestätigt fühlen. Insbesondere bei Großbauprojekten wird es für | |
einzelne Arbeitnehmer schwieriger, Lohnansprüche durchzusetzen. | |
18 Oct 2019 | |
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## AUTOREN | |
Manuela Heim | |
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