# taz.de -- Vor der Nationalratswahl in Österreich: Kurz plant blau | |
> Schon vor der Wahl ist klar, dass Sebastian Kurz an einer Neuauflage der | |
> schwarz-blauen Koalition arbeitet. Die Analyse einer Selbstinszenierung. | |
Bild: Lässt Festplatten schreddern und weiß stets von nichts: Sebastian Kurz | |
In Österreich wird am Sonntag, den 29. September gewählt. Die Verhältnisse | |
sind klar und haben sich trotz diverser Skandale umfragetechnisch kaum | |
geändert. Die ÖVP führt einsam mit um die 34 Prozent, danach kommen die | |
Sozialdemokratie (ca. 23 Prozent) und die FPÖ (ca. 20 Prozent) und dann | |
[1][die Grünen (mit 13 Prozent fit für den Wiedereinzug)] und die Neos (ca. | |
8 Prozent). Für den von [2][den Grünen abtrünnigen Peter Pilz] mit seiner | |
Liste JETZT dürfte es mit 2 Prozent keinen Wiedereinzug geben. | |
Damit ist klar, dass [3][Sebastian Kurz von der ÖVP der nächste Kanzler | |
sein wird]. Er ist dabei in der komfortablen Position, sich seinen | |
Koalitionspartner aussuchen zu können, da sowohl eine Neuauflage von | |
Schwarz-Blau, als auch eine große Koalition mit der Sozialdemokratie sowie | |
Neuland mit einer Dreierkoalition mit Grünen und Neos rechnerisch möglich | |
wäre. Doch der Schein trügt, da Kurz klar an einer Neuauflage an der durch | |
den Ibiza-Skandal beendeten Schwarz-Blauen Koalition arbeiten. Dies lässt | |
sich klar an seiner Wahlkampf-Rhetorik erkennen. Hier sechs Beispiele | |
dafür: | |
## 1. Die Bundesregierung hat sehr gut gearbeitet | |
Sebastian Kurz stellt in (fast) jedem seiner Wahlkampfauftritte voran, dass | |
er sehr zufrieden mit der Arbeit der letzten Koalition war. Über die | |
Skandale und Verfehlungen, auch und gerade jene der FPÖ, verliert er kein | |
Wort. Da war zum Beispiel die Zerschlagung des Verfassungsschutzes oder | |
Unsummen an Geld für PR-Aktivitäten blauer Ministerien. Gemeinsam hat man | |
den 12-Stunden-Arbeitstag eingeführt, hat das letzte soziale Netz, die | |
Mindestsicherung, drastisch gekürzt und die Krankenversicherungen zu | |
Ungunsten der Arbeitnehmer_innen zerschlagen. | |
## 2. Alle sind gegen mich | |
Mit dem für Österreich einmaligen Vorgang der Abwahl einer Bundesregierung | |
und eines Bundeskanzlers durch das Parlament hat Sebastian Kurz sehr | |
schnell auch [4][die Rolle in diesem Wahlkampf gefunden: Die des Opfers]. | |
Durch unvorhersehbare Widrigkeiten wurde er unrechtmäßig aus seiner ihm | |
zustehenden Rolle entfernt. Der Subtext ist: Weil er sich gegen den | |
etablierten Politbetrieb stellt. Dieses Narrativ hat schon Jörg Haider | |
erfolgreich für sich verwendet: Sie sind gegen ihn, weil er für euch ist. | |
## 3. Rot-Blau arbeitet gegen mich | |
Insbesondere hat Sebastian Kurz die Sozialdemokratie in der Mangel und | |
unterstellt ihr laufend bösartige Angriffe auf ihn. Dabei spinnt er die | |
Angst vor einer möglichen Rot-Blauen Koalition. Das ist eine Koalition, die | |
sowohl von der SPÖ als auch der FPÖ ausgeschlossen wurde. Die | |
Sozialdemokratie hat sogar Parteitagsbeschlüsse gegen diese | |
Koalitionsvariante. Das hält Kurz nicht davon ab, dieses Schreckgespenst an | |
die Wand zu malen. Damit sollen die Wähler_innen der Sozialdemokratie | |
verunsichert und demobilisiert werden. Das ist eine klassische Strategie | |
des Dirty Campaining. | |
## 4. Silberstein | |
Vermeintliche Fake-E-Mails, die einen Zusammenhang von ÖVP-Funktionären mit | |
dem Ibiza-Skandal herstellen, sowie angeblich professionell geplante Hacks | |
in das Computer-System der ÖVP sind nur zwei Aufreger in diesem Wahlkampf. | |
In den Statements dazu taucht immer wieder eine Figur implizit oder | |
explizit auf: Tal Silberstein. Er ist das große Feindbild der ÖVP und sie | |
scheut sich nicht davor, in die Vollen zu gehen. | |
Der ehemalige Berater der SPÖ, die hinter den Dirty | |
Campaigning-Facebook-Seiten gegen die ÖVP im letzten Wahlkampf steckte, | |
wird auch dieses Mal hinter allem Bösen vermutet. Er sei ein „israelischer | |
Söldner“, einer der „teuersten Berater der Welt“, der auf der ganzen Welt | |
sein Geld mit Dirty Campaigning verdiene. [5][Einen Zusammenhang mit dem | |
Ibiza-Video], dessen Skandal offenbar nicht der Inhalt sondern seine | |
Existenz ist, stellte Kurz gleich zu Beginn seines Statements fest, indem | |
er Neuwahlen ausgerufen hat. | |
Dieser Zusammenhang wurde ihm mittlerweile gerichtlich untersagt. Nach wie | |
vor spielt die ÖVP aber das gefährliche Spiel mit antisemitischen | |
Ressentiments und einer bösartigen Figur aus Israel, die für viel Geld der | |
ÖVP schaden möchte. | |
## 5. Ich habe gelitten | |
Neben der Opferrolle gibt Sebastian Kurz auch die Rolle des Märtyrers. Er | |
habe sehr gelitten in der letzten Koalition. Vor allem unter den Skandalen, | |
die die FPÖ laufend auch außerhalb der Regierungszusammenarbeit | |
produzierte, [6][etwa das Rattengedicht] (ein hoher FPÖ-Funktionär verglich | |
in Gedichtform Ratten und Menschen) oder Überschneidungen zu den | |
Identitären. Sebastian Kurz projiziert diese politischen Skandale auf ihn | |
persönlich und bastelt daraus eine Leidensgeschichte, die er zum Wohle der | |
Regierung, die ja so hervorragend gearbeitet hat, erdulden musste. | |
Damit macht er aus der politischen Verfasstheit der FPÖ eine Stilfrage, die | |
ihm nicht gefällt und die er erträgt, die aber nichts mit seiner Koalition | |
zu tun hat. Denn an sich ist die FPÖ ein guter Partner, wenn sie sich nur | |
ein wenig benehmen würde. Er fordert also Manieren ein statt eine andere | |
Politik. Mit diesem rhetorischen Kniff macht er auch die Opfer dieser | |
menschenverachtenden Politik unsichtbar. | |
## 6. FPÖ und ÖVP werden angegriffen | |
In den letzten Wahlkampftagen bastelt Kurz auch noch an einer gemeinsamen | |
Opferstrategie für ÖVP und FPÖ. So ortet er, dass vor allem ÖVP und | |
FPÖ-Wahlkampfplakate beschädigt worden seien. Dies vor allem im roten Wien. | |
Implizit macht er damit die SPÖ und ihr Wahlkämpfer_innen verantwortlich. | |
Mediengerecht werden dann junge ÖVP-Wahlkämpfer_innen präsentiert, die | |
beschädigte Plakate für ÖVP und FPÖ parteiübergreifend überkleben. Darüb… | |
dass SPÖ-Wahlplakate vor allem antisemitisch beschmiert wurden und mit | |
Worten wie „Silberjud“ bedacht wurden, verliert er kein Wort. Auch eine | |
politische Verantwortung zum bedachteren Umgang mit Worten, die | |
Antisemitismus befeuern, leitet er davon nicht ab. | |
## Alles schon mal da gewesen | |
Sebastian Kurz macht einen klassischen Haider-Wahlkampf: Er ist der | |
Angegriffene, der von allen Getriebene. Die vereinten bösen Mächte haben es | |
auf ihn abgesehen und wollen seinen Erfolg verhindern. Schaffen sie das mit | |
legitimen Mitteln nicht, so greifen sie zu jedem bösartigen Trick. Dabei | |
wird ihnen auch noch aus dem Ausland und von Söldnern geholfen. Sebastian | |
Kurz steht dies aber alles für uns durch, damit sein so erfolgreicher Weg | |
weiter geht. | |
Er inszeniert sich also als Underdog, der mit dem regulären Politbetrieb | |
nichts zu tun hat. Das ist insofern beachtlich, als dass die ÖVP Millionen | |
Euro von Millardär_innen und Großunternehmen erhalten hat, deren Politik | |
die ÖVP in der kurzen Regierungsperiode auch großzügig umgesetzt hat. Es | |
ist also die Selbstinszenierung einer Elite als Unterdrückte, und | |
gleichzeitig auch die Übung der Rebellenpose. Jedes kritische Wort wird als | |
illegitimer Angriff gewertet, denn es ist ein Frevel an sich Kurz für | |
irgendetwas [7][zu kritisieren oder verantwortlich zu halten]. Diese Art | |
der polit-medialen Inszenierung hat die ÖVP nicht erfunden. Das ist etwas, | |
dass das tägliche Brot der FPÖ und Garant ihres Erfolges war und ist. | |
Nicht nur inhaltlich passen FPÖ und ÖVP gut zusammen, sondern auch in der | |
Art wie Politik verstanden wird: Als permanenter Inszenierungszirkus für | |
eine Führungsperson, die unhinterfragt und unkritisierbar bleibt. Dieser | |
Wahlkampf zeigt nicht nur, dass Österreich genau das wieder bekommt, was | |
die Basis der politische Verwerfungen der letzten Monate war: eine | |
Koalition der Ibiza-Skandal-Parteien. Er zeigt auch, dass eine bürgerliche, | |
christ-demokratische Partei sich des Rhetorik- und Inszenierungsarsenals | |
der Rechtsextremen bedient. | |
27 Sep 2019 | |
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## AUTOREN | |
Natascha Strobl | |
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