# taz.de -- Mojo-Gründer Leif Nüske über Clubkultur: „Ein ganz eigenes Soz… | |
> Leif Nüske gründete 1989 den Hamburger Mojo Club. Ein Gespräch über Jazz, | |
> Bierpreise und Clubs als Wohnzimmer. | |
Bild: Übernahm lieber die Organisation, als selbst Musik zu machen: Leif Nüske | |
taz: Herr Nüske, „Mojo Club“ – ein Name, der in den 1990er- Jahren als | |
Synonym für einen tanzbaren Genremix von Soul, Brasil und Jazz bis hin zu | |
Funk und Disco galt. Den nannte man „Dancefloor Jazz“. Wie kamen Sie auf | |
diese Namen? | |
Leif Nüske: Der Name „Mojo“ war sofort da – eine Sache von zehn Minuten. | |
Ich habe mich mit meinem Kompagnon hingesetzt und überlegt. Da fiel uns der | |
Songtitel „Got My Mojo Workin'“ ein. Wir wollten etwas Simples, schnell | |
Begreifbares. Genauso wie „Dancefloor Jazz“ – der Begriff kam nicht aus | |
England. Unsere erste Veranstaltung hieß „Mojo Club presents Dancefloor | |
Jazz for Cool Cats“. | |
Begann Ihre Musikbegeisterung als Teenager mit Erfahrungen in eigenen | |
Bands? | |
Ich war komplett unmusikalisch, als Einziger in meinem Freundeskreis. Meine | |
Eltern haben erfolglos versucht, mich im Gitarrenunterricht unterzubringen. | |
Und dann spielten plötzlich alle um mich herum in Bands. Um irgendwie | |
mitmachen zu können, habe ich die Organisation übernommen. Das war der | |
Anfang von allem. | |
Waren Sie denn Jazz-begeistert, als Sie dann eine kleine Plattenfirma | |
gründeten? | |
Wir haben 20 Platten auf eigenem Label veröffentlicht. Mod und Garage, | |
später dann Soul. Dadurch entstand der Wunsch, tiefer in den Jazz | |
einzutauchen. Jazz zum Feiern, nicht zum Zuhören! Tanz-Soul-Allnighter! Das | |
kannte man nur in England. Dort baute der DJ Eddie Piller gerade sein | |
legendäres Acid-Jazz-Label auf. Von dem bekam ich eines Tages ein ganzes | |
Paket voller Platten. Eher simple House-Tracks, über denen jemand ein | |
Saxophon-Solo dudelte. Aber das funktionierte in England. | |
Wie funktionierte es in Deutschland? | |
Damals fing man in der Szene an, Räume zweckzuentfremden und als Club zu | |
nutzen. Wir brauchten 2.000 Mark für die erste Auflage unserer ersten | |
Single auf dem Label. Also veranstalteten wir unseren ersten Soul | |
Allnighter. Das war der Gründungsmoment für den Mojo Club: zwei Abende in | |
einem Kachelraum unter dem Holthusen-Schwimmbad in Eppendorf, mit | |
katastrophaler Akustik. Junge Typen, die DJ-mäßig Jazzplatten auflegten – | |
das wirkte damals, 1983, ziemlich skurril. Aber es war von Anfang an gut | |
besucht. | |
Wann trafen Sie Ihren Kompagnon Oliver Korthals? | |
Das war 1988, beim Auflegen im Club Kir. Er war von Anfang die treibende | |
Kraft, was das Kreative und Inhaltliche des Mojo Clubs anging. Wir wollten | |
nicht nur alte Sachen ausgraben, sondern wild mischen. Auch im Hip-Hop | |
entdeckte man gerade Jazz. Wir haben dann erste Veranstaltungen gemacht und | |
im Oktober 1991 den eigentlichen Mojo Club eröffnet. | |
Der berüchtigte Betonklotz an der Reeperbahn Nummer eins. | |
Genau. Die korrekte Adresse war Zirkusweg 20. Klang natürlich nicht so gut. | |
Aber gegenüber war die Reeperbahn 3–5. Die „1“ gab es nicht, also haben … | |
sie uns einfach selbst verpasst. Unten war ein Musikgeschäft, oben die | |
Bowlingbahn, nebenan ein China-Restaurant und dahinter eine | |
Mercedes-Filiale. Bei Mercedes haben wir regelmäßig Alarm ausgelöst, weil | |
die Fensterscheiben zu wackeln anfingen. | |
Große Namen waren regelmäßig zu Gast: Kruder und Dorfmeister, Moloko, | |
Massive Attack. | |
Ich habe solche Konzerte nie als besonderen Moment abgespeichert – es war | |
einfach der Normalzustand. Jeden Freitag und Samstag gab es lange | |
Schlangen. Ein Club hatte eine ganz andere Funktion. | |
Nämlich? | |
Ein Club war eine Begegnungsstätte. Und er sagte etwas über das soziale | |
Standing aus. Sag mir, wohin du gehst, und ich sage dir, wer du bist! Die | |
Leute hatten das Gefühl, etwas zu verpassen, wenn sie eine Woche einmal | |
nicht kamen. Die Eintritts-Hemmschwelle war niedrig, Stammgäste kamen | |
sowieso umsonst rein. Für viele war es ein Wohnzimmer, man brauchte sich | |
nicht einmal verabreden. Das war ein ganz eigenes Soziotop. | |
Immer wieder gab es in den Neunzigern Schließungs-Gerüchte, wirklich | |
abgerissen wurde das Gebäude dann erst 2009. Sie mussten lange um eine | |
Akzeptanz als Kulturort kämpfen. | |
In den Nullerjahren entstand nur langsam das Bewusstsein, dass es so etwas | |
wie eine Musikwirtschaft gibt. Bis dahin sprach man nur von | |
„Medienwirtschaft“, bei Treffen saßen Verlagsmenschen mit den Bossen der | |
großen Majorlabels zusammen. Das war völlig losgelöst von jeglicher | |
Clubkultur. Hier die Clubs, da die großen Konzerne, das war kein | |
Miteinander. | |
Schon vor der [1][Wiedereröffnung im Jahr 2013] wurden Sie mit | |
Vorschusslorbeeren überschüttet. „Die Popkultur kehrt auf den Kiez zurück�… | |
lautete eine Überschrift. | |
Das habe ich gehasst. Die Erwartungen waren unmöglich zu erfüllen! Jeder | |
hatte damals seine individuelle Erinnerung an den Club. Egal, was wir | |
vorhatten, es konnte nicht funktionieren. Das war einer der Gründe, warum | |
wir alles anders gemacht haben. | |
Nämlich? | |
Zum Beispiel ist unser Logo viel weniger präsent: das große „M“ prangt nur | |
auf den Bodentoren, durch die man in den Club kommt. Ansonsten findet man | |
es an nur an sehr wenigen Stellen. Es machte im alten Mojo Spaß und Sinn, | |
diesem abgerockten Gebäude eine eigene Corporate Identity zu geben. Früher | |
war alles mit dem Logo gebrandet. Hinter der Bühne, vor der Bühne, auf dem | |
Rücken der Türsteher. Heute hat jede Imbissbude eine CI. Wenn man in | |
unserer durchdesignten Welt mit einem kräftigen Designauftritt in ein neues | |
Gebäude zieht, kann das wirken wie bei einer Kaffeehauskette. In einem | |
Neubau muss man zurückhaltender sein. | |
Wurde das neue Konzept gut aufgenommen? | |
Beim Testbetrieb vor der Eröffnung war der einzige Kritikpunkt der 50 | |
eingeladenen Freunde die mangelnde Beschilderung. Wir hatten also alles | |
richtig gemacht. Das Mojo ist ja kein Flughafen. Die Leute sollen | |
miteinander reden! | |
Nicht nur der Mojo-Look ist ein anderer … | |
Auch die musikalischen Vorlieben haben sich geändert. Das neue Mojo ist | |
viel mehr durch Liveshows geprägt. Eine funktionierende Bühne war uns | |
deshalb noch wichtiger als früher. Es gab vor der Eröffnung | |
Kooperationspartner, die sahen den Club schon als Wodka-selige | |
internationale Partylocation – das waren wir natürlich nie gewesen. Keine | |
Ahnung, wo die das her hatten! Bei uns geht’s mit dem Bier durch die Nacht, | |
die Musik genießend. | |
Auch der Musikkonsum hat sich verändert. | |
Heute organisieren sich die Leute ihre Freizeit anders. Obendrein gibt es | |
nicht mehr das Hoheitswissen eines DJs. Musik ist immer und überall | |
zugänglich via Streaming, damit ist die originäre Funktion eines Clubs | |
aufgehoben. Geblieben ist der Genuss, die Musik laut hören zu können. | |
Heute müssen Sie sicher sorgfältiger wirtschaften als noch vor 30 Jahren, | |
oder? | |
Wir haben eine gewisse Größe und dadurch wirtschaftlichen Druck. Würden wir | |
den Club mit der jugendlichen Intoleranz, mit der wir damals vorgegangen | |
sind, betreiben, würden wir wahrscheinlich für nicht einmal 200 Personen | |
öffnen können. Damals gingen die Schlangen regelmäßig einmal um den Block �… | |
heute passiert so etwas nur, wenn besondere Events stattfinden. | |
Den Begriff „Dancefloor Jazz“ hört man kaum noch. 2019 treten im [2][Mojo | |
Club] auch Rockbands und Singer/Songwriter auf. | |
Wir wollen immer Neues machen, wir schauen nicht zurück. Eigentlich ist es | |
so: Im alten Mojo spielte die Hülle keine Rolle, der Inhalt umso mehr. | |
Heute ist die Hülle spektakulär, der Inhalt hängt aber sehr stark vom | |
jeweiligen Künstler ab. Wir haben noch immer eine Linie und erlauben uns | |
auch, Künstler abzulehnen, die bei uns spielen wollen. Die Bandbreite ist | |
allerdings viel größer geworden. | |
Die Zahl der Touristen in Hamburg wächst ständig. Ist es schwerer geworden, | |
die angesichts der Musical- und Elbphilharmonie-Konkurrenz in den Club zu | |
kriegen? | |
Touristen sind für uns kein Thema. Die Elbphilharmonie betrifft uns, weil | |
sie ein neuer, hochsubventionierter Player ist. Es gibt etliche Konzerte im | |
Jahr, die bei uns laufen würden, wenn es das Konzerthaus nicht gäbe. Unsere | |
Auflagen sind enorm, die unterscheiden sich kaum von denen von Theatern – | |
und wir sind komplett privatwirtschaftlich finanziert. Was wir alles | |
bewegen könnten, wenn wir einen Bruchteil der Unterstützung hätten, die die | |
Elbphilharmonie bekommt! | |
Vor einem Jahr wurde das Problem der Kiosk-Trinker viel diskutiert. Viele | |
Nachtschwärmer haben nicht mehr die Bereitschaft, Geld für Drinks im Club | |
zu auszugeben. | |
Irgendwas ist immer. Früher war der Preisunterschied zwischen einem Bier am | |
Kiosk und einem Bier im Club nicht so groß. Aber heute müssen die Clubs | |
eine viel umfangreichere Struktur bereithalten! Der Bierpreis trägt somit | |
auch zur Struktursicherheit bei. | |
Den Charme des Mojo machen die Details aus. Zum Beispiel eine eigene Cola | |
und eine Toiletten-Kabine, in der manchmal DJs auflegen. | |
Ein Club ist eine Spielwiese, die bedient werden will. Es muss uns Spaß | |
machen, und wir suchen immer nach neuen Möglichkeiten. Die Rezeptur für die | |
Cola haben wir auf Basis der alten Afri-Cola-Rezeptur entwickelt. Wir haben | |
dann das Maximum an Kohlensäure hinzugefügt. Auf dem Klo hat übrigens schon | |
Jan Delay aufgelegt. | |
Sie gehörten im Jahr 2004 auch zu den Gründern der | |
[3][Interessensgemeinschaft der Hamburger Musikwirtschaft] (IHM). | |
Hamburg ist nicht nur Hafen und Airbus. Eine funktionierende Stadt braucht | |
Popkultur. Heute ist die IHM der größte örtliche Musikverband. Musik wird | |
als Faktor wahrgenommen, das war vor 15 Jahren nicht der Fall. Da hängt | |
nicht nur Musik dran, der Bereich Games wird zum Beispiel immer größer. | |
Alles hängt zusammen – hast du keine Clubs, hast du irgendwann auch keine | |
Programmierer mehr. Alles befruchtet sich gegenseitig. Die Politik hat das | |
mittlerweile verstanden. | |
14 Oct 2019 | |
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## AUTOREN | |
Jan Paersch | |
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