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# taz.de -- Hamburger Mojo Club eröffnet neu: Der wahre Underground
> Mit dem Mojo eröffnet nach fast zehn Jahren am Samstag der letzte Club
> Hamburgs mit globaler Strahlkraft neu. An dem Ort, der zu den
> Totengräbern der Kiezkultur zählt: den Tanzenden Türmen.
Bild: Die Tanzenden Türme auf der Hamburger Reeperbahn, unter denen zukünftig…
HAMBURG taz | Nein, es riecht nicht nach Farbe, nicht vordergründig, es
riecht nach Geschichte. Handwerker wuseln durch kahle Waschbetonfluchten,
Dekorateure besorgen den vorletzten Schliff, Elektriker haben noch viel
vor, kein Tresen, keine Flasche, nirgends Musik –und doch weht durch den
kühlen Neubau bereits ein Hauch warmer Erinnerung: Der Mojo Club feiert
Wiedergeburt. Fast genau dort, wo er vor fast genau einem Jahrzehnt
letztmals die Pforten schloss: auf der Hamburger Reeperbahn. An seinem
Ursprung also. Ausgerechnet.
Denn direkt darüber steht das widerlichste Sinnbild dessen, was
Institutionen wie dem Mojo Club nach und nach das Genick bricht: die
Tanzenden Türme, zwei 85 und 75 Meter hohe und schräge Gebilde, entwickelt
vom Architekten Hadi Teherani. Doch zum Glück spürt man sie hier unten
nicht. Noch nicht.
Bislang spürt man nur die Betriebsamkeit zweier Entertainer, deren
Entertainment – man will das zumindest glauben – nicht von Profitsucht plus
Profilneurose gespeist wird, sondern von Hingabe und Leidenschaft.
Sie heißen Oliver Korthals und Leif Nüske, haben einst auch das Original
gegründet, als der Kiez noch von Ludenbanden statt Marke Hamburg
terrorisiert wurde. Und sie wollen nach langjährigem Partyexil im
benachbarten Mandarin nun das Gleiche wie, 1989, als alles begann: „Wahren
Underground“, so beschreibt es Nüske, unterm Pflaster der Stadt.
Denn zwei der drei Stockwerke des Mojo Club liegen unter Tage. Und diese
zwei Kellergeschosse wollen künftig Anker der Randkultur im Ozean des
Durchschnitts sein. Die zugehörige Architektur ist bemerkenswert, fast
kühn. Nachdem man die Scheinrealität der Fetenmeile durch eine aufklappbare
Stahlklappe im Reeperbahnboden verlässt, taucht man über eine Showtreppe
ein in etwas, dass Nüske an Opernhäuser erinnert.
„Inspiriert von der Mailänder Scala“, nennt er sein Wiedergeborenes, windet
sich eine geschwungene Empore rings um die mächtige Bühne darunter. Der
Tanzboden davor ist aus echtem Holz, die lamellenartige Wandverkleidung
auch, alles wirkt weich und kantenfrei, doch voller Ecken.
Denn als Statement gegen die Jägermeisterisierung der hiesigen Eventkultur
verbannen Korthals und Nüske alle Labels, alles Neon, ja selbst die
Etiketten ihrer Drinks in zwei Abseiten, die kaum als Bars zu erkennen
sind. „Die Musik soll im Vordergrund stehen“, erklärt einer von beiden das
Versteckspiel. Sponsoren müssen also draußen bleiben.
Wie lange, das wird freilich die Umsatzentwicklung zeigen. Auch der
berühmteste Club der Stadt muss schließlich seine Miete zahlen. Doch der
Wille ist da. Und mit ihm ein ästhetisches Gesamtkonzept, das Hoffnung
macht.
Wie es wirkt, wenn hier die ersten Feste steigen, ob das neue Mojo den
existenzialistischen Charme des alten Clubs erreicht, ob er die Menschen
ähnlich stark berührt wie in den eineinhalb Jahrzehnten vor seinem
vorläufigen Ende 2003, lässt sich am Rohbau von 2013 noch schwer ablesen.
Doch die Aura von einst ist schon jetzt fühlbar, die von damals, Ende der
80er-Jahre, als der Club aus einer Notlösung in der alten Bowlingbahn am
Millerntor zum einzigen Tanzsaal Deutschlands mit wirklich internationaler
Strahlkraft wurde.
Schon der Eingang war ja legendär: ein Glaskasten unter dem maroden
Überhang des Abrisskandidaten, Café Abstrait genannt, und irgendwas mit
Lounge, als der Mainstream den Begriff noch nicht okkupiert hatte. Dieser
begehbare Präsentierteller war eine Art Vorposten völlig neuer Töne, die
die Hansestadt, ach was: das ganze Land bis dato kaum gehört hatte:
Dancefloor Jazz, Acid House, Breakbeats, Triphop, zuletzt Dubstep in einer
Institution, die schon Club hieß, als die Republik drumherum damit noch
vornehmlich Billardtische und Bundesliga assoziierte.
Gegenüber, hinter kalten Betonsäulen, auch tagsüber rot ausgeleuchtet und
stets von aufgereihten Menschenmengen belagert: der Eingang in die Heilige
Halle, links vorbei am Jazzcafé mit der gemütlichsten Sicht auf den
erblühenden Kiez, die sogar das wärmste Bier der örtlichen Kneipenszene ein
bisschen erträglicher machte.
Hier hing man so rum, nur ein paar Meter zum Haupttresen, die Bässe im
Rücken. Allein bis zum Klo war der Weg weit, durch einen kubischen,
stickigen, tiefschwarzen Raum – optisch schmucklos, Leitfarbe dunkel,
atmosphärisch voller Eindrücke.
Das Mojo verstand sich schließlich als eine Art Hamburger Missing Link zur
Londoner Ursprungsszene des aufkochenden Dancefloor Jazz. Begleitet von
einer Plattenserie, die selbst ihren Ursprungsort überlebt hat. Ein Tempel
moderner Avantgarde, Hamburgs einzig wahres Tor zur Welt steht nun also
unterm Hades architektonischer Schwanzvergleiche, mit denen all die
Größenwahnsinnsfettebeuten à la Teherani Glas und Stahl in der Stadt
verklappen, bis sie zu atmen aufgibt. Blutleer, geldwert, ohne Sound.
Das Betreiben von Clubs, drückt sich Pächter Nüske um klare Worte gegen
seine Vermieter, erfordert immer Pragmatismus. Dennoch sollten die 800
Gäste auch ein wenig gegen die Stromlinie da draußen antanzen. Zu ähnlichem
Repertoire wie einst, denn der Blick, so Nüske, „geht immer nach vorn“. Mit
mehr Konzerten als im kleineren Vorläufer, dafür stehen die Bands bereits
bis ins Londoner Büro Schlange.
Überhaupt wird alles höher, schneller, weiter. Das Jazzcafé im Erdgeschoss
bietet ab elf Uhr Schnittchen, die Garderobe im Zwischenstock scheint
größer als der frühere Rest, die Bühne misst stolze 70 Quadratmeter. Nur
eines wird kleiner: das sonnenumrankte „M“, Mojos Markenzeichen – heute
sagt man „Brand“.
Vor der Schließung hing es meist bis unter die Decke der Rückwand, jetzt
wird es zurückhaltender eingesetzt. „Wir wollen den Erwartungsdruck gering
halten“, erklären die Betreiber das Understatement. Denn die Messlatte
hängt hoch, höher jedenfalls, als auf dem gesamten Restkiez zusammen.
1 Feb 2013
## AUTOREN
Jan Freitag
## TAGS
Club
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